

Corona-Krise: Gewinner und Verlierer
9. Juni 2020 um 13:35- dossier
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Digital Channels Forum: Schweizer IT-Dienstleister, Distributoren, IT-Handel und Software-Unternehmen ziehen eine erste Bilanz der Auswirkungen der Pandemie.
Die ICT-Branche gilt als die Gewinnerin der Corona-Krise. Exponenten wie Also-Boss Gustavo Möller-Hergt versprühen Optimismus. Doch natürlich muss es angesichts der massiven Wirtschaftskrise auch in der IT-Industrie Verlierer geben. Als Einleitung zum Digital Channels Forum 2020 werfen wir einen Blick auf die Schweizer ICT-Branche in Krisenzeiten.
Die von der Covid-19-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise ist heftig: Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco erwartet den "stärksten Einbruch des BIP seit Jahrzehnten". Schon für das erste Quartal 2020 ermittelte es einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 2,6% und schreibt von "Rückgängen in historischem Ausmass" im Handel und dem Gastgewerbe. Die Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich rechnet damit, dass die Wertschöpfung im zweiten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahr sogar um etwa 33% einbrechen werde.
Ein düsteres Bild ergibt deshalb auch der neuste Swico ICT Index, den der Anbieter-Verband Ende Mai veröffentlicht hat. Die Prognosen für Auftragseingang, Umsatz und Bruttomarge sind über alle Sub-Branchen hinweg negativ. Die Stimmung der Branche hat sich angesichts der zunehmenden Lockerungen zwar gegenüber April verbessert, ist aber immer noch sehr pessimistisch. Am schlimmsten trifft es gemäss Swico das Consumer-Electronics-Business und den Bereich Printing & Imaging. Im B2B-Geschäft seinerseits sind die Prognosen im Bereich IT-Technology am pessimistischsten. Kein Wunder: In der Krise werden Investitionsvorhaben, die keinen direkten Rationalisierungseffekt haben, erst mal aufgeschoben, wenn nicht gar gestoppt. Und Bund, Kantone und Gemeinden werden sich bald mehr verschulden müssen, um die Krise-bedingten Zusatzausgaben zu finanzieren. Auch hier sind Sparmassnahmen absehbar.
Diese Grafik aus dem Swico ICT Index , Sonderausgabe April, ist selbsterklärend: Die ganze ICT-Branche blickt düster in die Zukunft. Am pessimistischsten sind die Sub-Branchen Imaging und Consumer Electronics. Grafik: Swico
Etwas weniger dramatisch, aber immer noch schlimm genug, sieht die Situation in den Sub-Branchen IT-Technologie, Software, IT-Services und Consulting aus. Schweizer IT-Technologie-Anbieter, also die klassischen Infrastruktur-Bauer und -Betreiber, gehen gemäss Swico davon aus, dass der Auftragseingang um über 13% schrumpfen werden. Weltweit sieht es nicht besser aus: HPE und IBM haben Entlassungen angekündigt, Dell Technologies will bei den Boni und Benefits einsparen. Etwas weniger pessimistisch schauen Schweizer Software-Firmen (Auftragseingang minus 6,5%), IT-Service-Anbieter (minus 6,5%) und Beratungshäuser (- 8,4%) in die nahe Zukunft.
Oder ist alles doch nicht so schlimm?
Spricht man mit einzelnen Exponenten der Branche, sieht die Lage ganz anders aus. Also-Konzernchef Gustavo Möller-Hergt stellte noch im März 2020 in einer Pressemitteilung fest: "Die IT-Branche erhält durch Corona einen weiteren Wachstumsschub." Der Also-Konzern steigerte den Umsatz weltweit bis 20. März um 11% und hielt an den Vorkrisen-Gewinnprognosen fest. Die Börse honorierte den Optimismus: Der Kurs der Also-Aktie stieg nach einem kurzen und heftigen Taucher im März auf Rekordhöhe. Ähnlich gut sehen die Zahlen des IT-Dienstleistungsriesen Bechtle aus. Das paneuropäische Vorzeigeunternehmen steigerte den Umsatz im ersten Quartal ‒ Corona hin, Corona her ‒ um über 9%, und der Gewinn legte sogar um 15% zu. Nach einem Einbruch Mitte März stieg die Aktie des IT-Dienstleisters auf ein Allzeit-Hoch.
Giancarlo Palmisani, Swico.
Swico trotz allem "verhalten positiv"
Auch beim Branchenverband Swico sieht man die Lage trotz allem "verhalten positiv", wie sich Giancarlo Palmisani ausdrückt. Als Leiter Verbandsdienstleistungen spürt Palmisani den Puls der Branche gut. Er habe keine Signale für eine bevorstehende Restrukturierungswelle in der Branche, so Palmisani. Und erste Zeichen aus dem stationären Handel zeigten, dass die Menschen seit den Ladenöffnungen am 11. Mai tatsächlich wieder ICT-Produkte im stationären Handel kaufen. "Wenn das Verhalten im B2B-Geschäft gleich ist, sehe ich positiv für die Branche."
Interessant ist Palmisanis Empfehlung an den Channel. ICT-Dienstleister seien seitens der Kunden nun rasch unter Druck gekommen, sofort Cloud-Services anbieten zu können. Wer nicht alle nötigen Kompetenzen habe, solle nun Kooperationen mit möglichen Partnern suchen. Als Beispiel erwähnt Palmisani die Kooperation des RZ-Betreibers Green mit dem ICT-Dienstleister und Individual-Software-Entwickler Ti&m.
Trivadis, Netcetera, Axians: Krisenresistente IT-Dienstleister
Palmisanis "verhaltener Optimismus" widerspiegelt sich im Gespräch mit den drei mittelgrossen, projektorientierten ICT-Dienstleistern Trivadis, Netcetera und Axians. Am wenigsten bekannt dürfte Axians sein. Die Tochterfirmen des französischen Vinci-Konzerns sind in der Schweiz als Telekom-Infrastruktur-Provider (Axians Schweiz), als ICT-Dienstleister und Cloud-Provider (Axians GNT und Axians Redtoo), als Gemeindesoftware-Anbieter und -Outsourcer (Axians IT&T) und als Automatisierungsdienstleister (Actemium) unterwegs. Kurzarbeit gab es im IT-Bereich von Axians keine, so Axians-Schweiz-Chef Stefano Camuso zu inside-channels.ch. Und auch Stellenabbau ist als Reaktion auf die Krise nicht geplant.
Einzelne, wenige Kunden hätten zwar Projekte verschoben, so Camuso. Dramatisch waren die Auswirkungen aber nicht. "Unser Geschäft hat einen guten Mix aus Managed Services, Support und Projektgeschäft. So waren wir von den verschobenen Projekten nicht betroffen." Ausserdem habe die Krise auch neue Projekte ausgelöst, so der ehemalige T-Systems-Manager, der im Dezember 2019 zur Vinci-Gruppe gestossen ist. "Corona-Projekte" sieht Camuso im Bau und Betrieb von Netzwerken, im Cloud-Bereich und bei Managed Services: "Einige Kunden haben festgestellt, dass nicht alle Mitarbeitenden Remote arbeiten konnten. Sie wollen nun vermehrt Managed Services von uns."
Erstaunlich positiv ist auch Netcetera-Chef Andrej Vckovski gestimmt: "Die Krise hat bis jetzt fast keine negativen Auswirkungen auf unser Business." Kein einziger Kunde habe wegen der Corona-Krise Projekte gestoppt. "Wir sind immer noch eher überlastet," so Vckovski. Mit ein Grund ist der Online-Boom: "Einige Kunden unserer Payment-Lösungen haben starkes Wachstum im E-Commerce. Das ist gut für uns," so Vckovski. Während man da und dort hört, der Verkauf sei schwierig geworden, weil man die Kunden nicht besuchen konnte, sagt der Netcetera-Chef das Gegenteil. "Die Distanz zum Kunden ist mit der Online-Kommunikation kleiner geworden. Wir haben unseren ersten grossen Kunden in den USA gewonnen. Früher hätten wir in die USA reisen müssen. Jetzt kann man nach wenigen Wochen Gespräch bereits online eine Demo-Lösung zeigen."
Trivadis-Co-CEO Ana Campos.
Noch besser gestimmt erreichten wir Trivadis-Co-CEO Ana Campos. Auf die Frage, wie Trivadis die Corona-Krise bis jetzt überstanden habe, sagt sie: "Erstaunlich gut. Wir haben unsere Ziele im März und April bei weitem übertroffen." Campos verschweigt nicht, dass auch sie auf eine harte Zeit zurückblickt: "Es war viel Angst im System. Es gab Kunden, die Projekte abgebrochen haben und solche, die sie verkleinerten." Aber es seien rasch neue Kunden dazugekommen und solche, die Projekte vergrösserten. Die Corona-Krise werde die Umsetzung der Strategie von Trivadis beschleunigen, sagt Campos. Da passt es, dass das Trainings-Geschäft, das in der Corona-Krise besonders gelitten hat, seit eineinhalb Jahren kein strategisches Geschäftsfeld mehr ist.
IT-Handel: Schlaflose Nächte bei den Distributoren
Dass der Online-Handel der grosse Gewinner der Corona-Krise ist, ist Allgemeinplatz. Selbst das sonst nicht gerade wirtschaftsaffine Online-Magazin ‘Republik’ schilderte in einer Reportage, wie die Logistik von Roland Bracks Competec-Gruppe im März in der der Flut von Bestellungen unterging: "Was im März hier im Lager passierte, brach ihm (Roland Brack) das Herz". Bei Interdiscount muss es ähnlich ausgesehen haben. Die Coop-Tochter, so Sprecherin Monika Sachs, führte in 180 Filialen Kurzarbeit ein und rund 200 Mitarbeitende wurden in Online-Logistik und -Service verlegt.
Die Zahlen der Marktforscher sind klar: Der Umsatz der Online-Händler mit IT und Multimedia legte im März um 50%, im April um 82% zu, während der stationäre Handel vom 17. März bis 11. Mai schlicht und einfach eingestellt worden war.
Auch die Logistik der Distributoren ächzte, denn sie fungieren für manche Online-Händler als Lager- und Logistik-Dienstleister. Sie mussten den Bestellungsstop der stationären Händler und die Bestellungsflut durch die Online-Händler bewältigen und gleichzeitig alle ihre Prozesse auf Homeoffice umstellen. Die Situation massiv verschärft hat der Grosskunde Media Markt, der konzernweit und einseitig einen Zahlungsaufschub verfügt hat, wie 'Bilanz' im April berichtet hat. Aus der Disti-Szene hört man, dass die Verhandlungen mit Media Markt noch nicht abgeschlossen seien. Eine Media-Markt-Sprecherin bestätigt: "Wir sind auf bestem Wege, die Verhandlungen mit den wichtigsten Partnern für beide Seiten positiv zu finalisieren." Das Cash-Management der Distis geriet noch mehr unter Druck, weil Kreditversicherer ebenfalls mitten in der Corona-Krise die Deckung von Deals reduziert haben. "Es gab die eine oder andere schlaflose Nacht," ist aus der Disti-Szene zu hören.
Malte Polzin, Geschäftsführer Steg Electronics.
Rückkehr des stationären Handels?
Ein interessanter "Zwitter" im Handel ist die Schaffhauser PCP Gruppe mit einem Gesamtumsatz von rund 100 Millionen Franken. Die Schweizer Gesellschaften PCP.ch und Steg Electronics unter der Leitung von Malte Polzin führte für die Mitarbeitenden der 16 geschlossenen stationären Steg-Filialen Kurzarbeit ein, während gleichzeitig der Online-Umsatz von PCP / Steg gemäss Polzin im März über 50% und im April über 90% wuchs.
Seit dem 11. Mai sind die Filialen wieder offen und die Nachfrage gemäss Polzin "besser als ich erwartet hätte". Zudem gab es eine starke Nachfrage nach den Services in den Steg-Filialen, so Polzin.
Ganz ähnlich die Stellungnahme von Media Markt und Interdiscount. Das Geschäft habe sich besser als erwartet entwickelt, so die Sprecherin des Flächenmarkts. Der stationäre Umsatz seit 11. Mai sei "sehr positiv" schreibt die Interdiscount-Medienstelle.
Marktforscher Luca Giuriato von gfk bestätigt. Der kombinierte Online-Offline-Umsatz in den Bereichen "Computer" sei in den Wochen nach dem 11. Mai über dem Vorjahr gelegen. Giuriato: "Die Nachfrage ist da. Auch der stationäre Handel hat angezogen."
Umstritten ist die Frage, ob der Umsatz, der zum Online-Handel gewandert ist, wieder zum stationären Handel zurückkehren wird. Giuriato ist vorsichtig: "Den Trend zum Online-Handel gab es schon vorher. Es ist möglich, dass die Kurve nun steiler wird." Werden also die grossen Player des stationären Handels beschleunigt Standorte schliessen? Die Antwort von Media Markt auf diese Frage ist kurz: "Nein." Interdiscount hält sich bedeckt: Man verfolge die Strategie der Kombination von stationärem Handel und Online-Angeboten weiterhin. Malte Polzin von Steg / PCP schüttelt den Kopf auf die Frage, ob er nun Filialen schliessen werde. "Aus heutiger Sicht ist meine Antwort nein. Aber wir bewerten die Situation von Woche zu Woche. Wenn es zu dauerhaften Verschiebungen kommt, muss man sicher zuerst das Konzept anpassen."
Markus Brunold, CEO BSI.
Die Software-Branche stöhnt
International zeigen die ersten Quartalszahlen 2020 unmissverständlich, dass die Corona-Krise gerade die Software-Branche deutlich getroffen hat. Bei IBM kamen im März Software-Transaktionen fast abrupt zum Erliegen. SAP musste eine bedeutende Zahl von Neuabschlüssen verschieben und konstatiert einen erheblichen Rückgang der Erlöse aus Softwarelizenzen. Auch Konkurrent Salesforce senkte die Jahresprognose. Allenthalben herrscht Unsicherheit beim Blick aufs Gesamtjahr.
Kaum anders sieht es in der Schweiz aus. Unisono heisst es, die Krise sei real. "Wir erleben gerade eine nie dagewesene Ausnahmesituation", so Markus Brunold, CEO beim Software-Hersteller BSI. Gerade im Retail-Umfeld mit stationärem Handel pausieren die Projekte. Aber Kurzarbeit sei nicht angemeldet worden, "wir stellen sogar weiterhin ein".
Anders sieht es bei Branchenprimus Abacus aus, wie wir Anfang Juni berichteten. Abacus erwartet eine Rezension und drückt deshalb auf die Sparbremse. So sind rund 15% der Mitarbeitenden in Kurzarbeit, Dividenden und Chef-Gehälter wurden gekürzt.
Laut Silvan Wyser, Marketing-Chef beim SAP-Spezialisten und IT-Dienstleister GIA Informatik, sind auch SAP-Hana-Projekte gestoppt worden und für ein kleines Team von zehn Mitarbeitenden wurde Kurzarbeit angemeldet, wenn auch nicht voll beansprucht. Als eine grosse Herausforderung nennt Wyser die Meisterung der plötzlichen Umstellung auf Homeoffice für alle.
Ohne Kurzarbeit ist bisher Axept Business Software ausgekommen. Wie CEO Raphael Kohler erklärt, ist der IT-Dienstleister mit voller Projekt- und Betreuungspipeline in die Krisenmonate März, April und Mai 2020 "gerutscht". Es habe kaum Lücken bei der Auslastung gegeben, Projekte habe man fast ausnahmslos weiterführen können. Doch auch Kohler geht aktuell davon aus, dass das Projektgeschäft im 2021 schwieriger werden könnte.
Digital Channels Forum ‒ so geht es weiter:Corona-Krise und die neue Welt des Channels: "Ménage à trois"
Am Mittwoch, 10. Juni, folgt Teil zwei unserer Übersicht zur Corona-Krise und ihren Auswirkungen auf die Schweizer ICT-Branche.
Podcast: Corona-Krise und die ICT-Infrastrukturprovider
Am Freitag, 12. Juni, folgt der erste Podcast im Rahmen des Digital Channels Forum: Corona-Krise und die ICT-Infrastrukturprovider. Hören Sie, wie der sehr grosse Player Bechtle und wie der mittelgrosse Infrastruktur-Spezialist Infoniqa die Krise überstanden haben. Alltron CEO-Markus Messerer sagt uns, wie es den KMU-Fachhändlern geht, und Andrej Golob (Xerox) und Daniel Tschudi (Ricoh) erzählen vom Wohl und Wehe der besonders getroffenen Output-Dienstleister.
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