Prantl behauptet: Unternehmens­führung schlägt Politik

23. Dezember 2020 um 10:06
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Die politische Führung in den vergangenen Monaten zeigte Fallstricke auf, die Firmen vermeiden müssen.

Noch bevor das Corona-Chaos über uns hereinbrach schrieb ich am 28. Januar dieses Jahres "Führungskräfte scheuen die Verantwortung nicht selten wie der Teufel das Weihwasser" und zielte damit primär auf das Management in Unternehmen, egal ob gross oder KMU. An den zwei Beispielen von Johannes Läderach und Michael Jost von VW gelang es mir ganz gut, meine These ausreichend plausibel zu machen.
Damals hatte ich allerdings noch keinerlei Vorstellung davon, welch katastrophalen Job die politische Führung in unserem Land in den nächsten Monaten in Sachen Kommunikation und Verantwortung abliefern würde.
Wenn ich nämlich in diesem Jahr eines gelernt habe, dann ist es, dass die politische Führung in der Schweiz (natürlich auch in vielen anderen Ländern, was aber nicht Thema dieser Kolumne ist) um Faktoren dilettantischer versagt hat als alle Unternehmen des Landes in Summe. Corona hat sie schonungslos entblösst. Doch, wieso ist das so und was können wir als Führungskräfte daraus lernen?
Natürlich funktionieren Politik und die Führung unserer Gemeinwesen nicht nach den gleichen Prinzipien wie unsere Unternehmen. Es gibt aber unübersehbare Parallelen und vor allem Fallstricke, die wir in unseren Firmen unbedingt meiden sollten.
Erklärung Nummer 1: In den vergangenen Wochen war der ständige Hinweis auf den tief verankerten Föderalismus in unserem Land, despektierlich oft als "Kantönligeist" bezeichnet. Um die regionalen Besonderheiten bestmöglich zu berücksichtigen und für eine ausgewogene Balance der Machtverhältnisse sei es unumgänglich, dass die Kantone selbst entscheiden und handeln. 
Diese Argumentation lässt allerdings vollkommen ausser Acht, dass wir uns in einer der grössten gesundheitlichen Krisen des letzten Jahrhunderts befinden, die weder auf Regionalität noch auf Ländergrenzen Rücksicht nimmt und, die auch nicht wartet, bis irgendeine Regierung am kommenden Freitag entscheidet. Das Virus "frisst" sich durch die Bevölkerung und tötet wahllos Menschen. Nicht nur die über siebzig oder achtzigjährigen, sondern nach dem Zufallsprinzip auch wesentlich jüngere. Gerade gestern rief mich der CEO eines grösseren Schweizer IT-Dienstleisters aus dem Kantonsspital an mit heiserer Stimme und immer noch hörbar ausser Atem und erzählte mir von seiner Corona-Infektion. Ich schätze ihn auf Mitte Fünfzig.
Was empfiehlt man üblicherweise einem Unternehmen, das kurz vor dem Abgrund steht? Alle Mitarbeitenden nach ihrer Meinung zu fragen, wie das Problem zu lösen sei? Entscheidungen zwar ständig anzukündigen, in der Sache aber aufzuschieben? Heute das eine für richtig zu erklären, morgen das andere und übermorgen wieder etwas anderes? Sich laufend aus der Verantwortung zu stehlen und den schwarzen "Entscheidungs-Peter" zwischen CEO, den Bereichsleitern, den Teamleitern und dem VR ständig hin- und herzuschieben? Wohl kaum! In der Krise ist klare und auf wenige mutige Personen reduzierte Führung das einzige Mittel, um überleben zu können. Was im Umkehrschluss zur Erkenntnis führt, dass Föderalismus in Pandemiezeiten schlicht und einfach das falsche Rezept ist.
Weiter stach mir die extensive Interessenpolitik zahlreicher Verbände und ihrer politischen Vertreter ins Auge. Auch das ein System, welches in einigermassen ruhigem Fahrwasser durchaus funktioniert und für Ausgleich und Frieden im Lande sorgen kann. In Krisenzeiten gehört sie aber in die Abstellkammer. Jetzt zählt nicht der Ausgleich von Interessen, sondern einzig das Bewältigen des Ausnahmezustands, im konkreten Fall die Rettung unseres Gesundheitssystems. Wem das gelingen will, sollte – im Gegenteil – frei von Interessen sein. Das trifft aber nur (einigermassen) auf den Bundesrat zu und keinesfalls auf das Parlament und die kantonalen Institutionen. Übertragen auf Unternehmen heisst es, und das weiss jeder Chef nur zu genau, dass Partikulär-Interessen in der Krise zugunsten ganzheitlicher Lösungen weit hinten anstehen müssen.
Eine weitere Erklärung für das Versagen der Schweizer Politik finde ich einerseits in ihrem Milizsystem und andererseits in der Tatsache, dass Politiker regelmässig wiedergewählt werden müssen und sich daher die meisten mehr auf ihre Beliebtheit und Popularität, als auf ihre Wirksamkeit im Dienste der Öffentlichkeit konzentrieren. Im Milizsystem erkenne ich zwar durchaus Vorteile, wenn auch hier nur in ruhigen Zeiten und nicht während einer veritablen Jahrhundertpandemie.
Aus Unternehmensperspektive würde das nämlich heissen, dass unsere Führungskräfte auch Amateure sein dürfen und, dass wir sie alle vier Jahre zur Wahl stellen sollten. So nach dem Motto, "haben sie in der vergangenen Periode versagt, dann können wir sie ja jetzt abwählen". Sofern es das Unternehmen dann noch gibt.
Wie dem auch sei, die Corona-Pandemie ist eine absolute Ausnahmesituation, welche nicht mit Schönwetterführung und Jekami bewältigt werden kann. Das sollten sich auch unsere Unternehmen hinter die Ohren schreiben und sich davor hüten, in die oben beschriebenen Fallen zu tappen.
Wer mir jetzt entgegnet, dass die Schweiz eine Demokratie mit Rechtsstaat sei und sich der Staat deshalb nicht allmächtig in die Angelegenheiten seiner Bürger einmischen und sie dermassen massiv beschränken dürfe, der soll mal einen Blick in das seit 2016 neu geltende Pandemiegesetz werfen. Er wird feststellen, dass der Bundesrat von Gesetzes wegen, alle nötigen Kompetenzen besitzt. Und übrigens, ein Bundesgesetz repräsentiert in der Schweiz die höchste Stufe von Rechtsstaatlichkeit. Es wurde direkt im Parlament beschlossen und indirekt von allen Bürgern in der Form des fakultativen Referendums gutgeheissen.
Last but not least hoffe ich inständig, dass die Lernkurve bei Bund und Kantonen mittlerweile doch soweit fortgeschritten ist, dass wir wenigstens bei der Impfaktion der kommenden Monate einigermassen über die Runden kommen werden. Auch wenn mich aktuelle Schlagzeilen wie "Impfung: Zulassung überrumpelt Bund und Kantone", nicht wirklich optimistisch stimmen.
Urs Prantl war über 20 Jahre Softwareunternehmer. Seit 2012 begleitet er IT- und Software-Unternehmen auf ihrem Weg zu nachhaltig gesundem Wachstum und ist als M&A-Transaktionsberater in Nachfolgesituationen tätig. Er äussert als Kolumnist für inside-channels.ch seine persönliche Meinung.

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