SATW insights: Digitaler Zwilling – Der Nutzen im Fokus

31. August 2021 um 09:18
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Das Konzept des digitalen Zwillings eröffnet grosse Chancen. Schief geht es, wenn in der schieren Vielfalt der Möglichkeiten der Nutzen aus dem Fokus gerät.

Das Konzept des digitalen Zwillings eröffnet, im Rahmen der Digitalisierung der Industrie, grosses Potenzial und viele Chancen. Dabei erhält das reale Produkt ein virtuelles Ebenbild, mit dem Nutzen für die Kundinnen und Kunden oder auch interner Nutzen kreiert wird. Dies ist eine äusserst interdisziplinäre Aufgabe, denn es gilt die Daten zu genieren, zu übermitteln und zu analysieren. Ein solches Vorhaben birgt neben den Vorteilen auch gewisse Tücken, die es zu berücksichtigen gilt. Gewissermassen handelt es sich um eine Produktentwicklung, bei welcher Mechanik, Elektronik, Software und Analysealgorithmen geeignet zusammenspielen müssen. Dabei muss der Nutzen im Zentrum stehen und Datenschutz sowie Cybersecurity müssen als Produktfunktion sichergestellt werden.

Nutzen

Der Nutzen ist der Dreh- und Angelpunkt jedes digitalen Zwillings, wobei es hier zwei Hauptrichtungen gibt. Einerseits kann der Nutzen intern sein: Man spart Zeit und Ressourcen im Entwicklungsprozess ein, steigert die Produktivität und die Produktqualität und kann im Service eine schnelle Lösungsfindung unterstützen. Ein Unternehmen wird damit konkurrenzfähiger und gewinnt an Spielraum bei der Preissetzung. Die Investition in den digitalen Zwilling ist also mit dem Effizienzgewinn gegenzurechnen. Es gilt nicht zu tun, was möglich ist, sondern was tatsächlich Einsparungen bringt oder zumindest den Markenwert steigert. Ein neues Produkt auf Lastprofilen abstützen, Nachverfolgbarkeit garantieren, Anomalien in der Produktion (Stichwort Downtime) und potenzielle Qualitätsreduktionen wahrnehmen, Lieferzuverlässigkeit erhöhen und Zeit- und Aufwandsreduktion bei Gewährleistungsfällen, das sind nur ein paar Gebiete, in denen der interne Nutzen liegen kann.
Anderseits kann der digitale Zwilling auch einen direkten Nutzen für die Kundinnen und Kunden hervorbringen. Dies können beispielsweise Informationen über das Produkt selbst sein. Zudem kann ein digitaler Zwilling Sekundärfunktionen ermöglichen, die über die Produkthauptfunktionen hinausgehen, sowie Transparenz, Vorhersage und Selbstadaption des Produkts im Sinne des "Industrie 4.0 Maturity Index" schaffen. Oft hilft bei der Gestaltung von Nutzen für die Kundinnen und Kunden folgende Leitfrage: "Mit welchen Daten aller meiner vertriebenen Produkte [m] kann ich einen Mehrwert kreieren, den meine Kundinnen und Kunden mit der geringen Anzahl der von mir erstandenen Produkte [n] nicht erschaffen können?" Hier geht es oft um die Problematik, dass die Kundinnen und Kunden an der statistischen Relevanz von Daten scheitern oder der Aufwand für den Erkenntnisgewinn bei nur n Stücken sich monetär nicht rechnet. Als Anbieter bin ich diesbezüglich in einer deutlich besseren Ausgangslage (m ≫ n).
Es ist eine klare Empfehlung, sich heute einer Wertschöpfung über Daten anzunehmen, über ein Musterbeispiel zu starten und dann zu wachsen. Jedes Unternehmen hat seine Erfahrungen zu sammeln, einerseits hinsichtlich der Technologie und anderseits hinsichtlich der Rentabilität eines solchen digitalen Zwillings. So ist schliesslich gewährleistet, dass auf das Gewinnbringende fokussiert wird.

Datenschutz und Cybersecurity

Der Datenschutz ist ein zentrales Thema, wenn mit dem digitalen Zwilling basierend auf vertraulichen oder zumindest sensiblen Daten (Rezepte, Prozessparameter, Lastprofile, etc.) Nutzen für die Kundinnen und Kunden generiert wird. Die Gesellschaft hat es zwar überraschenderweise akzeptiert, private Daten mit Unternehmen zu teilen, weil im Gegenzug "gratis" Dienstleistungen wie Apps zur Verfügung gestellt werden. Doch dem Vorteil, dass beispielsweise über die Smartphone-Dichte auf der Strasse Verkehrsstau eruiert werden kann, steht der Einsatz des Smartphones zur Überwachung des Individuums gegenüber (vgl. 'Vice', "'State of Surveillance' with Edward Snowden").
In der Industrie ist die Bereitschaft geringer, Daten zu teilen, und kann dem Nutzen eines digitalen Zwillings entgegenwirken. Somit muss bei der Entwicklung der Datenschutz als Produktfunktion aufgefasst und den Kundinnen und Kunden vermittelt werden. Kurzfristig wird dadurch der einzelne digitale Zwilling gefördert und langfristig die Datenteilbereitschaft der gesamten Industrie erhöht. Dies ist zwingend notwendig, wenn sich das Potenzial entfalten soll.
Eine weitere wichtige Funktionalität eines digitalen Zwillings ist Cybersecurity. Eine Kommunikationsschnittstelle bringt das Risiko eines Missbrauchs mit sich. Daten können abgefangen oder manipuliert werden ("Security by desing for IoT devices") oder Schäden über Angriffe verursacht werden. Die Cyber-Kriminalität nimmt zu und schwere Fälle, wie die Attacke auf Garmin im vergangenen Jahr, zeugen vom grossen Schadenspotenzial.

Zusammengefasst das Wichtigste

Das Potenzial des digitalen Zwillings ist gross, doch darf man sich im Rahmen der schieren Möglichkeiten nicht verlieren und sich "verprogrammieren". Daher:
  1. Fokussieren Sie auf den Nutzen des digitalen Zwillings – intern oder bei den Kundinnen und Kunden.
  2. Starten Sie heute und sammeln Sie somit schnellstmöglich Erfahrungen.
  3. Datenschutz und Cybersecurity sind als Produkt-Feature aufzufassen und Bestandteil der Entwicklung.

Über den Autor:

Dr. Daniel Schmid ist Dozent des Zentrums für Produkt- und Prozessentwicklung (ZPP) der School of Engineering der ZHAW. Weiter ist er Mitglied der Plattform Industrie 4.0 der ZHAW und der Expertengruppe Industrie 4.0 der SATW. Er unterrichtet auf Bachelor-Stufe im Bereich der Produktentwicklung und Smart Factory auf Stufe Master bezüglich Digitalisierung in der Industrie (TSM DigInd). Bezüglich F&E liegt sein Fokus auf den Möglichkeiten und Veränderungen der Produktenwicklung unter dem Aspekt der heutigen Digitalisierung (IoT, Industrie 4.0).

Zur SATW:

Die Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften SATW ist das bedeutendste Expertennetzwerk im Bereich Technikwissenschaften in der Schweiz und steht im Kontakt mit den höchsten Schweizer Gremien für Wissenschaft, Politik und Industrie. Das Netzwerk besteht aus 350 gewählten Einzelmitgliedern, 55 Mitgliedsgesellschaften sowie Expertinnen und Experten.

Zu dieser Kolumne:

SATW insights: Unter diesem Titel berichten Mitglieder der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW regelmässig für unsere Leser über relevante, aktuelle Schweizer Technologie-Fragen. Die Meinung der Autoren muss sich nicht mit derjenigen von inside-it.ch/inside-channels.ch decken.

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