Christoph Schnidrig, Head of Technology von AWS in der Schweiz. Foto: AWS
Inside-it.ch hat Christoph Schnidrig, Head of Technology von AWS Schweiz, zum Interview getroffen. Dabei haben wir uns über KI, Cloud-Transformationen und Schweizer Werte unterhalten.
Christoph Schnidrig ist von der Informatik begeistert, seit er Mitte der 1980er Jahre zum ersten Mal einen Commodore 64 in die Finger bekam. Nach einem Studium in Informatik an der Schweizerischen Technischen Fachschule war er unter anderem als Ethical Hacker und während über 14 Jahren in verschiedenen Funktionen für den Storage-Spezialisten Netapp Switzerland tätig. Im Mai 2019 wechselteer als Senior Manager Solutions Architecture zu Amazons Cloud-Sparte AWS.
Dort stieg er im Januar 2023 zum Head of Technology auf. Seit über zwei Jahren amtet er in der AWS-Niederlassung in Zürich in dieser Funktion. Im Rahmen der Reinvent-Konferenz in Las Vegas hat inside-it.ch ihn zum Interview getroffen. Dabei haben wir uns über die Veranstaltung, Use Cases bei Schweizer Kunden, seine Faszination für das Cloud-Geschäft und zukünftige Herausforderungen unterhalten.
Was waren Ihre bisherigen Highlights von der AWS Reinvent?
Für mich haben sich die Highlights hauptsächlich in zwei Bereichen bewegt. Einerseits haben wir mit unseren Ankündigungen gezeigt, dass wir Künstliche Intelligenz demokratisieren wollen. Seit zwei Jahren werden viele Technologien entwickelt, die Dinge im Alltag oder bei der Arbeit vereinfachen. Dazu gehören zum Beispiel die neuen Chips für KI-Anwendungen, die wir vorgestellt haben, oder die neuen Chip-Cluster, die für das Training von KI-Modellen verwendet werden.
Ein weiteres Highlight für mich war die Präsentation von Apple auf der Bühne. Offensichtlich arbeiten wir schon seit Jahrzehnten mit dem Unternehmen zusammen, aber Apple gab nie eine Referenz oder irgendetwas ab. Öffentlich zu hören, dass das Unternehmen seine Apple Intelligenz auf unseren Chips trainiert, war für mich ein persönliches Highlight.
Der zweite Bereich waren für mich die neuen Bausteine und Funktionen, die wir präsentiert haben. Dazu zählen etwa neue Features rund um Amazon Sagemaker, die vier neuen KI-Basismodelle und zahlreiche wichtige Updates für Amazon Bedrock, welche speziell auch für die Schweiz von Interesse sind. Wir haben ja vor kurzem Bedrock in der Schweizer Region lanciert. Diese Features helfen bei der Entwicklung von neuen KI-Anwendungen extrem.
Man konnte zwar schon vorher eigene Lösungen bauen, aber das war mit den verschiedenen Open-Source-Programmen und Plug-ins zum Teil recht komplex. Jetzt kann man dank dem Funktionsumfang von Bedrock generative KI noch einfacher nutzen und zudem über den neuen KI-Marktplatz viele weitere Modelle beziehen. Damit stehen viele Building Blocks für Anwendungen bereit.
Auf was freuen Sie sich jeweils besonders?
Was mir persönlich immer sehr gut gefällt, ist die Montagabend-Keynote von Peter DeSantis. Dort werden zwar weniger News präsentiert, aber es wird jeweils eindrücklich erklärt, wie unsere Infrastruktur funktioniert, was man damit machen kann und wie man sie aufbaut. Gerade mit meinem Storage-Background finde ich das jeweils sehr spannend, wenn jemand genau erklären kann, wie man Storage-Systeme effektiv baut. Das finde ich sehr eindrücklich.
Aufzeichnung der Keynote von Peter DeSantis. Video: AWS / Youtube
Weiter freue ich mich auch immer auf die Gespräche mit den Serviceteams. Die AWS Reinvent ist für mich eine gute Gelegenheit, um diese Teams persönlich kennenzulernen. Da trifft man teilweise Leute, mit denen man bereits während des Jahres immer wieder über E-Mail oder Anrufe in Kontakt stand. Und plötzlich steht man der Person gegenüber und kann dem Namen ein Gesicht zuordnen.
Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit für einen amerikanischen Tech-Konzern?
Speziell bei AWS ist einerseits die Technologie. Wir sind immer zuvorderst mit dabei und haben die neuesten Features. Damit sehen wir auch, wie wir unseren Kunden helfen können und was wir brauchen, um für sie die passenden Lösungen zu bauen.
Das andere ist die Kultur. Man befindet sich eigentlich in einem konstanten Lernprozess. Mir gefallen diese Ansätze. Wir haben zum Beispiel ein Prinzip, das sich "working backwards" nennt. Dabei geht es darum, dass wir zuerst das Problem unserer Kunden verstehen wollen und dann von dort aus mit der Lösungsfindung starten. Zusätzlich gibt es Leadership-Prinzipien, mit denen wir das Unternehmen gemeinsam lenken, die uns eine gemeinsame Sprache geben und vorgeben, wie wir uns verhalten.
Welche Eigenschaften, die Sie aus der Schweiz mitbringen, helfen Ihnen bei Ihrer Arbeit für AWS besonders?
Der klassische Schweizer Kunde hat ein extremes Bewusstsein für Qualität. Dass wir unsere Infrastruktur in einer hohen Qualität liefern und den Schweizer Bedürfnissen gerecht werden können, ist mir wichtig. Ich denke, mein Sinn für Qualität hilft mir hier sehr.
Was fasziniert Sie am Cloud-Geschäft?
Ich komme aus der IT-Infrastruktur und habe jahrelang bei einem Speicherhersteller gearbeitet. Zuvor war ich als ethischer Hacker tätig und habe Penetrationstests und Sicherheitsaudits durchgeführt. Mit der Zeit ging diese Arbeit allerdings ein bisschen gegen mein Wesen. Die Tätigkeit war mir zu destruktiv im Denken, deshalb bin ich zu einem Hersteller gewechselt.
Dort fühlte ich mich mehr als Builder und Enabler. Ich konnte etwas bauen und schaffen. Deshalb habe ich auch lange in der IT-Infrastruktur gearbeitet. Unsere Produkte wurden dann aber immer mehr in AWS integriert. Deshalb habe ich mich vermehrt mit der Cloud auseinandergesetzt und mich genauer mit der Technologie befasst.
Als ich dann zu AWS gewechselt bin, war ich erstaunt, wie schnell die Infrastrukturthemen verschwunden sind. Während wir früher in der Nacht noch mit Engineers telefonieren mussten, um Probleme mit einer Disk-Firmware zu beheben, hatten wir bei AWS stets eine stabile Umgebung zur Verfügung. Und auf der kann man natürlich aufbauen.
Mit unserer Infrastruktur kann ich beispielsweise bei der Entwicklung einer generativen KI-Applikation für einen Kunden mithelfen oder ich kann im Analytics-Bereich etwas machen. Ich kann IoT oder andere Technologien obendrauf bauen. Die Building Blocks sind einfach da. Ich kann sie brauchen und zusammenstecken, wie ich will. Und ich muss mir dabei nicht zuerst überlegen, wie ich zum Beispiel eine Datenbank aufbauen kann.
Was sind aktuell die grössten technischen Herausforderungen für AWS?
Wenn man bei Kunden eine Cloud-Migration oder eine Business-Transformation anfängt, geht man mit ihnen auf eine Reise. Dabei sind die Forderungen nach Ressourcen aber oftmals gar nicht auf der technischen sondern vielmehr auf der organisatorischen Seite zu verordnen. Deshalb müssen die Kunden ihre Organisation anpassen. IT wird anders konsumiert, wenn man in die Cloud geht.
Wer seine IT aus der Cloud betreibt, braucht ein anderes Betriebsmodell und muss seine Angestellten zusätzlich ausbilden. Wir haben dafür eigene Solutions-Architekten oder Professional-Services, die unsere Kundschaft unterstützen. Die Idee ist, dass wir Projekte mit den Kunden zusammen erarbeiten, aber ihre Mitarbeitenden zum Teil durch uns geschult werden. In diesem Bereich sehe ich aktuell noch Herausforderungen. Zu den spezifischen organisatorischen Herausforderungen gehören oft Änderungen in der Unternehmenskultur, Anpassung von Prozessen und Umstrukturierung von Teams.
Wie schaut eine solche Cloud-Transformation aus?
Wir haben dafür einen Cloud-Adoption-Cycle. Oftmals beginnt die Arbeit mit einem kleinen Projekt. Aktuell sehen wir bei vielen Firmen, dass der Startpunkt eine Anwendung rund um generative KI ist. Ein KI-System oder ein GPU-Cluster kann sich aber definitiv nicht jedes Unternehmen leisten, deshalb greifen Kunden auf die Infrastruktur aus der AWS Cloud zu und lernen damit umzugehen.
Viele Firmen entscheiden sich dann oft auch dazu, noch einen Schritt weiter zu gehen. Dann baut man ein Fundament und eine ganze Governance rundherum. Da gehört beispielsweise die Verbindung des Netzwerks oder die einheitliche Verwaltung von Benutzeridentitäten über verschiedene Systeme dazu. Man braucht ein gutes Kostenmanagement und es müssen Guardrails gezogen werden. Diese bestimmen dann beispielsweise, welche Daten oder Dienste die jeweiligen Accounts benutzen dürfen, wo die Informationen gespeichert werden oder von welchem Rechenzentrum aus Leistungen bezogen werden dürfen.
Hat das Aufkommen von Künstlicher Intelligenz dazu geführt, dass es jetzt mehr Nachfrage nach solchen Produkten gibt?
KI führt zu einer riesigen Nachfrage. Es gibt fast keine Kunden, die nichts mit KI machen oder sich nicht fragen, wie sie die Technologie gewinnbringend bei sich einsetzen oder Prozesse optimieren können. Es ist tatsächlich so, dass es einen extremen Run auf KI gibt.
Wollen mehr Kunden in die Cloud wechseln, weil sie KI einsetzen wollen?
Ja, auch. Heute werden erst 15% der Workloads oder der IT in der Cloud betrieben und es gibt viele Unternehmen, die ihre IT noch On-Premises betreiben.
Es gibt also noch viel Potenzial für die Cloud.
Ja, genau. Wir sehen, dass generative KI ein Startpunkt für viele Unternehmen ist. Die KI wird als Katalysator für den Wechsel zur Cloud gesehen.
Was denken Sie, werden in Zukunft die grössten Herausforderungen für Unternehmen in der Cloud sein?
Ich denke, die Unternehmen sind mit dem Fortschritt der Technologie generell sehr herausgefordert. Die Entwicklung schreitet so schnell voran. Wenn man sieht, was für Neuerungen kommen, ist sicher das Technologiemanagement eine Herausforderung. Der Kunde muss für sich erkennen können, was für ihn relevant ist und was nicht. Aber wir haben dafür auch unsere Partnerlandschaft und ein grosses Team von Solutions-Architekten, die den Kunden genau dabei helfen.
Was denken Sie, welche technologische Innovation könnte die Wirtschaft in den nächsten fünf Jahren grundlegend verändern?
Ich glaube, in den nächsten fünf Jahren wird das noch generative KI sein. Der Hype hat vor zwei Jahren angefangen und wir haben letztes Jahr extrem viele Proof of Concepts bei Kunden gemacht. Bei denjenigen Kunden, die damit früh angefangen haben, haben sich auch bereits produktive Use Cases herauskristallisiert. Trotz viel Aufmerksamkeit sind im Vergleich zu anderen Hypes bereits produktive Lösungen im Betrieb. Der Wert der Technologie wird dadurch nicht mehr hinterfragt.
Können Sie Beispiele für solche produktiven Use Cases nennen?
In der Schweiz haben wir ein paar Referenzen. Zum Beispiel den Chemiekonzern Clariant. Dieser war einer der Launch-Kunden von Bedrock und hat KI schon extrem früh eingesetzt. Zuerst haben sie einen Chatbot implementiert, der mit ihren eigenen Daten angereichert war und den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt wurde.
Erst bei der Benutzung haben sie gemerkt, was sie damit anfangen können. Dann wurden über eine Art Crowdsourcing verschiedene Use Cases erarbeitet. Dabei sind rund 100 Use Cases zusammengekommen. Es wurde ein zentrales Team gebildet, welches diese ausgewertet und priorisiert hat. So sind dann nach und nach weitere Use Cases dazu genommen, die heute voll produktiv im Einsatz stehen.
Mit dem Launch von Bedrock in der Schweiz haben wir zudem eine schöne Anzahl von Kundenstatements bekommen. So haben beispielsweise die Schweizerische Post oder auch Swisscom eigene interne Plattformen gebaut, auf denen sie ihren Angestellten den Einsatz der Technologie ermöglichen. Im Optimalfall sehen diese Mitarbeitenden dann vielleicht weitere Use Cases, die in ihren jeweiligen Bereichen zum Einsatz kommen könnten.
Sehen Sie Themen am Horizont, die den Hype um KI irgendwann vielleicht ablösen?
Wir investieren an vielen Orten in verschiedene Technologien. Ein Bereich ist beispielsweise Quantum Computing. Dort arbeiten wir an der Verbesserung der Quantenkohärenz und der Skalierung der Systeme, um längere und komplexere Berechnungen zu ermöglichen. Gleichzeitig erforschen wir vielversprechende Anwendungsgebiete wie Optimierung und Simulation. Zudem bieten wir mit Amazon Bracket einen eigenen Service, bei dem Kunden Quantum Computing as a Service aus der Cloud beziehen können, um eigene Experimente durchzuführen.
Ein zweiter Bereich ist der Aufbau eines eigenen Satellitennetzwerks mit dem Namen Project Kuiper. Da haben wir bereits zwei Test-Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht. Jetzt wollen wir rund 3000 Satelliten ins All schicken und so ein weltumspannendes Netz für digitale Kommunikation schaffen. Dieses kann dann sowohl von Privaten für einen Zugang zum Internet als auch von Firmen genutzt werden, beispielsweise um Redundanzen aufzubauen, für Sportübertragungen oder um unzugängliche Gebiete mit Internet zu versorgen.
Was ebenfalls möglich werden wird, ist, dass ein Kunde direkt auf seinen AWS-Account zugreifen kann. So dass er direkt auf seine virtuelle Private Cloud zugreifen kann.
Also ohne, dass er dafür einen Internetzugang braucht?
Ja. Der Traffic geht direkt in sein Cloud-Datacenter.
Also quasi ein Satellitentelefon für Computer.
Genau, es gibt eine direkte Verbindung.
Zum Abschluss würde ich noch gerne wissen, was Sie sich für die Zukunft von AWS wünschen?
Ich wünsche mir, dass wir weiterhin so innovativ bleiben und das bauen, was unsere Kunden von uns wollen und brauchen. In Bezug auf die Schweiz wünsche ich mir, dass wir die hohe Innovationsdichte, die wir bei uns haben, nachhaltig unterstützen und zur digitalen Transformation der Wirtschaft beitragen können.
Interessenbindung: Das Interview fand im Rahmen der AWS Reinvent in Las Vegas statt. Der Autor wurde von AWS zur Konferenz eingeladen (Flug, Hotel).