Die andere Sicht: Bugfix für den Bundesrat

7. Februar 2023 um 08:57
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Foto: Max Kleinen / Unsplash

Die Schweiz braucht ein eigenes Technologie-Departement, fordert die Organisation CH++ bei inside-it.ch.

Wir wissen es nicht erst seit Corona: Die Schweizer Politik und Verwaltung haben Mühe mit der Digitalisierung. Gleichzeitig gilt die Schweiz als eines der innovativsten Länder der Welt, und das World Digital Competitiveness Ranking vergibt der Schweiz regelmässig einen Spitzenplatz. Erstklassige Bildung, Top-Forschung, auf Innovation stolze Bundesräte — doch wenn es kriselt, hängt plötzlich alles am Fax.
Die Schweiz steckt, inmitten all der Krisen in der Welt, in einer Krise der Handlungsfähigkeit. Im Gesundheitssystem wurde dies während der Pandemie besonders sichtbar. Ob fehlende Daten, Faxmaschinen und das Wägen des Papiers zum Zählen der Fälle, holpriges Contact Tracing, oder Sicherheitslücken in Gesundheits-Datenbanken: Sobald "Courant normal" aussteht, harzt es ungemein. Diese öffentlichen Skandale scheinen nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Auch wenn die Pandemie etwas Bewegung ins Spiel gebracht hat und der Bundesrat die Digitalisierung zu den Prioritäten der Legislatur erklärt: Die Schweiz könnte viel, scheitert aber an sich selbst.

Digitalisierung wird heute jedem Bundesamt selbst überlassen

Das Kernproblem ist strukturell. Auf Ebene des Bundes fehlt eine Instanz, die technologische Expertise bündelt, Prioritäten setzt und Innovation in echten Fortschritt für die Bevölkerung umsetzt, für uns alle. Denn wie Justiz oder Finanzen ist Technologie ein Thema oberster Ebene. Die Beschleunigung des technologischen Fortschritts zum Wohle der Menschen in unserem Land ist nicht etwas, das "überall ein bisschen" passieren kann, es braucht einen koordinierenden, laufenden Effort.
Aber: Anders als Justiz oder Finanzen hat die Technologie kein Bundesdepartement. So wird die Digitalisierung jedem Departement, jedem Bundesamt überlassen – genau das Gegenteil von dem, was eine Querschnittsaufgabe verlangt. Die Konsequenz: unübersichtliche, heterogene Entwicklung der Digitalisierung auf der Bundesebene. Das produziert immer wieder Blamagen und Skandale, aber der eigentliche Missstand, der "Bug" liegt in der Struktur selbst.

Cybersicherheit gehört ins Technologie-Departement

Ein eidgenössisches Technologie-Departement wird dringend gebraucht. Dass die jetzige Situation nicht zufriedenstellend ist, zeigte sich unlängst in der Zuordnung des neuen von CH++ mit angestossenen Bundesamtes für Cybersicherheit. Der Kampf war hart, die Diskussion heftig: Gehört ein solches Amt ins Finanz- oder ins Verteidigungsdepartement? Beides wurde stark kritisiert, Cybersicherheit in der Finanzabteilung, Hacker im Tarnanzug, beides ergab für viele Beobachter wenig Sinn. Die Antwort wäre einfach: In das neu zu schaffende Technologie-Departement gehörte auch die Cybersicherheit.
Mit Klima-, Energie- und Wirtschaftskrise stehen die nächsten nationalen Krisenbewältigungen an. Dazu benötigen wir diese strukturelle Reform. Der digitale Wandel ist eine riesige Aufgabe und die Schweiz hat bedenklichen Nachholbedarf. Dies zeigt sich bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz — eine Strukturanpassung ist unvermeidlich, will der Staat im technologischen Zeitalter handlungsfähig bleiben.
Die Gegenargumente sind meist mythischer Natur. Mehr als sieben Departemente seien nicht möglich, da die Schweiz mit mehr als sieben Bundesrätinnen unregierbar sei. Auch wenn Bundesrat Ogi für eine Erweiterung auf neun Mitglieder einsteht und es eine ur-schweizerische Idee ist, die politische Macht auf viele Schultern zu verteilen. Die messbaren Fakten zeigen: Eine Studie der Universität Bern fand vor Kurzem, dass politische Systeme mit mehr Ministerinnen und Ministern in der Regierung eine tiefere Übersterblichkeit in der Covid-19 Pandemie hatten.
Die Welt wird in den nächsten Jahrzehnten nicht einfacher, langsamer oder friedlicher. Technologische Entwicklungen stehen im Zentrum vieler Krisen, und auch wenn Technologie allein kaum je eine Lösung darstellt, genauso wenig wie Finanzen oder Justiz: Geben wir ihr nicht den nötigen Stellenwert, verlieren wir alle. Eine handlungsfähige, krisenresiliente Schweiz braucht ein Technologie-Department – je früher, desto besser.
Zur Autorin und zum Autor
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Nathalie Klauser und Hannes Gassert sind im Vorstand von CH++. Sie ist Unternehmerin und setzt sich als Gründerin, Geschäftsführerin, Co-Präsidentin, Vorstandsmitglied und Beirätin in unterschiedlichen Organisationen für eine evidenzbasierte, inklusive und menschenzentrierte Innovation und Digitalisierung bei Behörden und Unternehmen ein.
Hannes Gassert ist Unternehmer an der Schnittstelle von Technologie, Gesellschaft und Nachhaltigkeit. Als Gründer, als Verwaltungs- und Stiftungsrat in zahlreichen Organisationen setzt er sich ein als Beschleuniger technologischen und menschlichen Fortschritts.

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