Ein Whitepaper beschäftigt sich mit dem Mangel an Tech-Frauen in der Schweiz. Die Autorinnen schlagen Lösungen vor. Denn: Es gibt viel zu tun.
Anlässlich des Internationalen Frauentags ist das Whitepaper "The Unseen Code: Unlock Switzerland's female tech potential" erschienen. Dahinter stehen Digitalswitzerland, McKinsey Schweiz und das Kompetenzzentrum für Diversity & Inclusion der Universität St. Gallen. "Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu steigern, sollte Frauen der Einstieg, der Aufstieg oder der Wechsel in Tech-Berufe besser ermöglicht werden", heisst es zur Publikation.
Das Motto des diesjährigen Weltfrauentags "Inspire Inclusion" gelte auch für das Whitepaper, erklärten die Beteiligten an einem Mediengespräch. Es gelte, jetzt zu handeln, auch für die zukünftigen Generationen. Denn was den Frauenanteil bei MINT-Studienabschlüssen betrifft, steht die Schweiz im OECD-Vergleich von allen Ländern an drittletzter Stelle.
Wenige weibliche Senior Manager
Dies verdeutlichen auch die Zahlen des "Gender Intelligence Reports" der Universität St. Gallen, welcher auf einem Datensatz von 20 Schweizer Tech-Unternehmen basiert. Unter den Angestellten beträgt der Frauenanteil 30%, im Junior Management 21% und im Senior Management nur noch 18%.
Anteil der Frauen in Schweizer Tech-Unternehmen auf den verschiedenen Stufen. Grafik: Digitalswitzerland
"Es gibt zwei grosse Drop-off-Punkte, wo wir Frauen verlieren", sagte Anna Mattsson, Ko-Autorin und Partnerin bei McKinsey. "Der erste ist der Einstieg in die tertiäre Ausbildung. Bei der Einschreibung für MINT-Bachelorstudiengänge verzeichnen wir in Europa einen Rückgang von circa einem Fünftel der Frauen, die in der Schule gleiche Fähigkeiten in MINT-Fächern bewiesen hatten wie ihre männlichen Schulkameraden. Der zweite Ausstiegspunkt findet bei der Berufswahl statt. Frauen, die zwar MINT-Fächer studiert haben, aber nie in technologischen Rollen arbeiten."
Besorgniserregend sei auch die Untervertretung in bestimmten Berufsfeldern. "Gerade in zukunftsträchtigen Rollen, zum Beispiel DevOps oder Cloud Engineers, ist der Frauenanteil noch einmal niedriger." In diesen Rollen liegt er unter 10%, auch im Bereich Software Engineering unter 20%. "Wenn sich jetzt nichts bewegt, kann dieses Ungleichgewicht noch weiter zunehmen", sagte Mattsson.
Konstant tiefes Level im Bereich ICT
Nicole Niedermann.
Auch Ko-Autorin Nicole Niedermann von der Universität St. Gallen wies auf solche Unterschiede hin: "In der Schweiz haben wir in MINT-Studiengängen Frauenanteile zwischen plus 50% im Bereich Chemie und Life Sciences und unter 20% im Bereich Informatik. Die Anteile steigen in den letzten 10 Jahren, aber sehr langsam. Schauen wir uns die Eintritte in ein MINT-Studium insgesamt an, dann stieg der Frauenanteil von 28% im Jahr 2010 auf 31% im Jahr 2019."
Im Bereich ICT gebe es ein konstant tiefes Level von etwas mehr als 10% Frauen auf allen Ausbildungsebenen. "Gerade in diesem dynamischen und sich schnell entwickelnden Bereich, wo so viel passiert – da braucht es definitiv mehr Bemühungen, insbesondere beim Abbau geschlechtsspezifischer Vorurteile und Rollenmuster", betonte Niedermann.
Von der Lohngleichheit bis zur offenen Kultur
Mit dem Whitepaper wollen die Autorinnen auch Lösungen vorschlagen. Diese fassen sie in vier Punkten zusammen: "Reframing: frauenfördernde Unternehmenskultur schaffen"; "Talentbindung: Frauen in Tech-Rollen halten"; "Umschichtung: fachfremde Frauen in den Tech-Talentpool aufnehmen"; "Bildung: Frauen den Einstieg ermöglichen und die Talent-Pipeline sicherstellen".
Anna Mattsson.
Das beginne bei der Lohngleichheit, heisst es im Whitepaper. Gehe weiter über die Sichtbarkeit von weiblichen Vorbildern, Unterstützung bei Elternschaft bis zum integrativen Arbeitsumfeld. "Es geht darum, Wertschätzung zu zeigen und eine offene Kultur sicherzustellen. Ein Grossteil der Frauen im Technologie-Sektor hat das Gefühl, aufgrund ihres Geschlechts die eigenen Kompetenzen oder Leistungen extra beweisen zu müssen", sagte Anna Mattsson.
Bereits in der Primarschule könnten Weichen gestellt werden, denn frühe Lebensjahre seien im Positiven wie im Negativen prägend. "Wird ein Mädchen ausgesucht, wenn es um die Beantwortung einer Mathe-Frage geht, oder wird ein Junge aufgerufen? Schon da gibt es eine unbewusste Voreingenommenheit, die von Lehrpersonen ausgehen kann", so Mattsson.
Tech-Studiengänge umbenennen
In der Bildung brauche es neben Hackathons für Schülerinnen oder Zukunftstagen für Mädchen in Tech-Organisationen auch neue Ansätze, wird im Papier betont. So könnten Studiengänge umbenannt oder verstärkt auf Frauen ausgerichtet werden. Als ein Beispiel mit einem solchen Ansatz wird die Fachhochschule Hagenberg in Österreich genannt. "Ich habe dort Media Engineering and Design studiert", wird Christine Antlanger-Winter, Country Director Google Switzerland und Regional Director Alps, zitiert. "Ich hätte mich nie für einen Studiengang Computer Science angemeldet. Obwohl unser Bereich fast genauso viele MINT-Themen im Studium wie Computer Science beinhaltete, lag der Frauenanteil bei 50%."
"Wir müssen schon sehr früh anfangen in den Schulen, Lehrpersonen und Eltern sind in der Verantwortung, aber auch Berufsberater und Studienberaterinnen", forderte Nicole Niedermann am Mediengespräch. "Oftmals wissen Mädchen und junge Frauen nicht ausreichend darüber Bescheid, was es für MINT-Berufe gibt, welche Ausbildungs- oder Studienmöglichkeiten sie in diesem Bereich haben. Hier braucht es eine breite Sensibilisierung."
Das Whitepaper "The Unseen Code: Unlock Switzerland's female tech potential" kann kostenlos als PDF in Englisch auf der Website von Digitalswitzerland heruntergeladen werden.
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