Einen Kredit über 8,76 Millionen Franken beantragte die Luzerner Regierung im Februar dem Kantonsrat für die Beschaffung einer Schulsoftware an den Volksschulen sowie für deren Betrieb. Damit erfülle der Kanton seinen gesetzlichen Auftrag, zusammen mit den Gemeinden für eine einheitliche Schuladministrationssoftware zu sorgen, heisst es aus Luzern. Das Parlament hat dem Kredit jetzt zugestimmt. Doch vorausgegangen ist diesem Entscheid eine Leidensgeschichte mit vielen Problemen.
Mai 2014: Zuschlag an Base-Net
Das Bildungs- und Kulturdepartement erteilt den Zuschlag für die Software Educase zur Verwaltung der Daten von Schülerinnen und Schülern sowie dem Lehrpersonal an den Volksschulen des Kantons Luzern an die Firma Base-Net Education aus Sursee. Für das Projekt werden insgesamt rund 7,7 Millionen Franken für 10 Jahre veranschlagt. Der Kanton soll die Kosten für die Anschaffung und Wartung der Software übernehmen, die Gemeinden Unterhalt, Support und Hosting.
Juni 2021: Probleme werden öffentlich
Eigentlich hätte Educase ab 2019 in allen Volksschulen eingeführt werden sollen. Doch Schulleiter
berichten von Performance-Problemen, mangelhaften Funktionalitäten und Bugs. Es handle sich immer noch um ein "Halbfertigprodukt", welches die Arbeit der Schulverwaltungen mehr behindere statt erleichtere.
Dezember 2021: Regierungsrat bestätigt Probleme
Die Luzerner Kantonsregierung
räumt ein, dass nach wie vor Probleme mit der Software bestehen. Ein Test hätte gezeigt, dass nur rund die Hälfte aller Funktionen den geforderten Ansprüchen genügen würden. Bei der anderen Hälfte seien noch Nachbesserungen nötig. Der Regierungsrat gewährt dem Hersteller eine Nachbesserungsfrist von zwei Monaten. Er geht aber nach wie vor von einem erfolgreichen Abschluss des Projekts aus.
Februar 2022: Abbruch des Projekts
Das Bildungs- und Kulturdepartement beschliesst im Einvernehmen mit dem Verband Luzerner Gemeinden (VLG), die weitere Einführung von Educase an den Volksschulen
zu beenden. Grund für diesen Schritt sei die unterschiedliche Auffassung über den bisherigen inhaltlichen und zeitlichen Projekterfolg.
März 2022: Einstellung von Educase
Base-Net Education
stellt den Betrieb der Software per sofort ein. Educase war bis jetzt in 64 Luzerner Gemeinden im Einsatz. Man habe eine professionelle Überführung in ein anderes System angeboten. Doch dieser Vorschlag sei abgelehnt worden. Kanton und VLG hätten "die Beendigung der Systeme sowie die anschliessende Datenherausgabe per 18. März 2022 eingefordert", so die Firma. Im April erklärt der Regierungsrat, er habe zusammen mit dem VLG die nächsten Schritte für die Beschaffung einer neuen Schuladministrationssoftware festgelegt.
Juni 2022: Firma Base-Net Education wird aufgelöst
Im Nachgang zum Projektabbruch werden sowohl die Firma Base-Net Education wie auch die Software Educase "heruntergefahren und nicht mehr weitergeführt",
teilt die Firma mit. "Die negativen Medienmitteilungen waren derart einschneidend, dass wir es als unmöglich betrachten, im relativ kleinen und gut vernetzten Bildungsmarkt weiterhin erfolgreich zu sein", so das Unternehmen.
Januar 2023: Gütliche Einigung
Der Kanton Luzern
einigt sich gütlich mit der Herstellerfirma. Base-Net Education verzichtet auf eine Klage. Seitens der Kantonsverwaltung gab es laut der Regierung keine Hinweise auf Pflichtverletzungen.
April 2023: Nachfolge gefunden
Das Bildungs- und Kulturdepartement
erteilt einen Zuschlag für das Nachfolgeprojekt "StabiLU" an CM Informatik (CMI). Eingegangen waren vier Angebote. Die Offerten für die neue Software seien "mit Fachleuten und Expertinnen aus den Schulen (Volks- und Musikschulen, sowie Schulleitungsmitglieder) nach technischen, funktionalen und wirtschaftlichen Kriterien" geprüft worden. Die Gesamtkosten für die Einführung und den Betrieb belaufen sich laut Kanton auf gut 7,1 Millionen Franken. Darin enthalten sind Projektkosten, Softwarelizenzen, Dienstleistungs- und Betriebskosten über 10 Jahre.
Februar 2024: Botschaft des Regierungsrates
Der Regierungsrat beantragt dem Kantonsrat einen Sonderkredit von 8,76 Millionen Franken für die Beschaffung einer einheitlichen Schuladministrationssoftware sowie für deren Betrieb. Die höheren Kosten im Vergleich zum Zuschlag an CMI erklären sich laut Botschaft unter anderem durch projektflankierende Massnahmen sowie einkalkulierten Reserven. "Mit Blick auf die Haupterkenntnisse aus dem Vorprojekt wurden klare Vorgaben zum gewünschten Lösungskonzept gemacht", schreibt die Regierung. "Entsprechend wurde eine Standardsoftware gefordert, die nicht noch entwickelt werden muss."
Juni 2024: Kosten des Educase-Abbruchs
Die Kommission Erziehung, Bildung und Kultur (EBKK) des Luzerner Kantonsrates genehmigt die vom Luzerner Regierungsrat beantragte Abrechnung für das abgebrochene Educase-Projekt. Bis zur Einstellung des Projekts seien für den Kanton Kosten von 1'684'050 Franken entstanden. Die Kosten für das gescheiterte Projekt seien "unschön", so die Kommission. "Die neue Software brachte nicht die erwartete Professionalität für die Schulen und den Kanton. Die Herstellerfirma der Schuladministrationssoftware lieferte nicht das, was vereinbart wurde und war auch nicht in der Lage, Anpassungen und Änderungswünsche zu erfüllen, weder zeitlich noch inhaltlich", heisst es in einer Mitteilung. Die EBKK erwarte, "dass man aus den Fehlern lernt".
Juni 2024: Deutliches Ja im Kantonsrat
Der Kantonsrat sagt mit 103 zu 1 Stimmen Ja zum Sonderkredit für das neue Projekt. Mit 104 zu 4 Stimmen wird auch die Schlussabrechnung zu Educase genehmigt. "Zähneknirschend", so Voten im Rat. "Wir beenden heute ein Trauerspiel in mehreren Akten." Nach dem Educase-Desaster könne man sich keinen Misserfolg mehr leisten. Die Pilotphase soll 2025 starten und die "Software wird erst eingeführt, wenn der Pilot erfolgreich abgenommen wurde", hatte der Regierungsrat angekündigt, was frühestens Mitte 2025 der Fall sein werde.