Onlineanbieter müssen sich um Barriere­freiheit kümmern

9. Januar 2025 um 11:19
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Elias Mühlemann

Der Bundesrat will das Behinderten­gleichstellungs­gesetz ändern. Das wird auch Anbieter von Online­services fordern, schreibt Rechts­anwalt Elias Mühlemann.

Anbieter von Onlinediensten müssen ab Juni 2025 in der EU bereits diverse Massnahmen zur Barrierefreiheit ergreifen. Nicht so in der Schweiz. Das aktuelle Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) richtet sich aktuell noch primär an den Bund selbst, Verkehrsbetriebe und Eigentümer grösserer Wohngebäuden oder Gebäuden mit mehr als 50 Arbeitsplätzen.
Der Bundesrat will dies nun ändern. In der Botschaft vom 20. Dezember 2024 und dem damit vorgelegten Entwurf zur Revision des BehiG (E-BehiG) soll der Kreis der konkret Verpflichteten unter dem BehiG deutlich ausgeweitet werden. Menschen mit Behinderungen sollen künftig von Privaten nicht mehr nur nicht "diskriminiert" werden dürfen, sondern auch nicht "benachteiligt".

Wer soll dem E-BehiG neu unterstehen?

Der Bundesrat beabsichtigt folgende Gruppen neu explizit unter dem BehiG zu verpflichten:
  • Das BehiG soll auch für "Dienstleistungen Privater" (Art. 6 E-BehiG) gelten; also Private, die Dienstleistungen öffentlich anbieten. Damit sind insbesondere auch "digitale Dienstleistungen", die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit angeboten werden, gemeint. Ein besonderer Fokus legt der Bundesrat dabei auf Online-Geschäfte.
  • Das BehiG soll neu nicht mehr nur für das Bundespersonal gelten, sondern auch für private Arbeitsverhältnisse sowie Arbeitsverhältnisse nach kantonalem Recht und kommunalem Recht – also faktisch für alle Arbeitsverhältnisse (Art. 3 Bst. g E-BehiG).
Zudem werden die Schwellenwerte für BehiG-Anforderungen an Gebäude reduziert, insbesondere von 50 auf 25 Arbeitsplätzen und von acht auf sechs Wohneinheiten; damit will der Bund gemäss Botschaft die strengere Praxis gewisser Kantone übernehmen.

Welche Pflichten bringt das E-GehiG mit sich?

Die unter dem E-BehiG neu verpflichteten Arbeitgeber und Anbieter von Dienstleistungen dürfen Arbeitnehmende respektive Kunden mit Behinderung nicht benachteiligen und müssen angemessene Vorkehrungen treffen, um Benachteiligungen in Zusammenhang mit Behinderungen zu verhindern, zu verringern und zu beseitigen (Art. 6 und 6a E-BehiG). Die "Angemessenheit" richtet sich dabei auch nach der Grösse und den finanziellen Möglichkeiten eines Unternehmens, nach der Anzahl Personen, welche die Dienstleistung in Anspruch nehmen sowie an das Ausmass der Beeinträchtigung.
Der Bundesrat will gemäss Botschaft die Kompetenz erhalten, einen Mindeststandard festzulegen und sich dabei an "internalen und europäischen Rechtsvorschriften" zu orientieren. Im Blick hat er primär die EU-Richtlinien 2016/2102, die den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen regelt, sowie 2019/882, die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen fordert.
Letztere verpflichtet beispielsweise Anbieter von Diensten, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen sowie anderer Dienstleistungen "im elektronischen Geschäftsverkehr". Die Richtlinie muss bis am 28. Juni 2025 von den EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt werden.
Deutschland hat die Anforderungen in einem separaten Gesetz (BFSG) und einer dazugehörigen Verordnung konkretisiert. Für das Onlinegeschäft relevant ist vor allem die Anforderung, dass der Einstieg und Weg zum Geschäftsabschluss über die Webseite oder eine App "barrierefrei" sein muss. Die Nutzung muss im Ergebnis auch bei fehlendem Sehvermögen und ohne feinmotorische Bedienung möglich sein, zum Beispiel, indem Informationen über mehr als einen sensorischen Kanal und in verständlicher Weise dargestellt werden. Zudem müssen Anbieter aufzeigen, wie sie die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllen.
Es ist damit zu rechnen, dass diese Anforderungen mittelfristig auch im Schweizer Markt gelten werden, allenfalls mit einem "Swiss Finish".

Was sind die Rechtsfolgen eines Verstosses gegen das E-BehiG?

Menschen mit Behinderungen werden gemäss Art. 8 und 8a E-BehiG gerichtlich verlangen können, dass eine bestehende oder drohende Benachteiligung eines Dienstleisters oder Arbeitgebers beseitigt beziehungsweise verboten. Auch können sie auf Schadenersatz und Genugtuung klagen. Die Behinderung muss dabei nur "glaubhaft" gemacht werden (Art. 9b E-BehiG); das Verfahren ist kostenlos (Art. 10 E-BehiG).
Das Klagerecht soll nicht nur den Benachteiligten zustehen, sondern auch Organisationen, welche den Zweck haben, die Interessen von Menschen mit Behinderung zu schützen (Art. 9 E-BehiG).

Wie geht es weiter?

Die Inkraftsetzung ist per 1. Januar 2027 geplant – das Parlament wird aber noch über den Entwurf des Bundesrats beraten. Anbieter von Online-Diensten haben aber bereits ab Juni 2025 die Anforderungen der EU zu berücksichtigen, wenn sie ihr Angebot auf den EU-Markt ausrichten.

Zur Person

Elias Mühlemann ist Rechtsanwalt bei Vischer. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Technologie-, Medien- und Innovationsrecht.

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