Parldigi direkt: Digitale Souveränität bei der sicheren Kommunikation schützen

14. August 2024 um 06:30
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Mitte-Nationalrätin Isabelle Chappuis. Foto: zVg

Die Polycom-Nachfolge muss modular sein und auf offenen Standards basieren. Ein Vendor Lock-in sei zu vermeiden, schreibt Mitte-Nationalrätin Isabelle Chappuis in ihrer Parldigi-Kolumne.

"Sie wussten nicht, dass es unmöglich war, und deshalb haben sie es getan." Mark Twain
Die Schweiz steht vor grossen Herausforderungen in den Bereichen Cybersicherheit und sichere Kommunikation. Unser Land ist im Vergleich zu anderen Industrienationen bei der Modernisierung seiner Infrastruktur und dem Aufbau einer effektiven Verteidigung im Rückstand. Dadurch bleibt die kritische Infrastruktur anfällig für zunehmende Cyberangriffe wie Ransomware. Der Mangel an qualifizierten Fachkräften für Cybersicherheit und Regulierungslücken verschärfen diese Verwundbarkeiten. Die langsame Reaktion der Schweizer Regierung bei der Umsetzung nationaler Cybersicherheitsstrategien unterstreicht die dringende Notwendigkeit, aktiv Massnahmen zum Schutz der Sicherheitsinfrastruktur des Landes zu ergreifen.
Nun müssen wir endlich handeln, um unsere digitale Souveränität und unsere Technologielandschaft zu schützen. Und wir haben mit dem nötigen Ersatz von Polycom eine Gelegenheit dazu. Das Polycom-System wurde in den späten 1990er Jahren entwickelt und diente als sicheres Kommunikationsnetzwerk für Notdienste und Sicherheitsorganisationen in der ganzen Schweiz. Es war einst führend in der sicheren Kommunikation, doch seine Technologie ist mittlerweile veraltet und weist erhebliche Sicherheitslücken auf. Seine monolithischen und proprietären Eigenschaften gestalten einen Ersatz schwierig.
Der Bundesrat hat ein neues, nationales System für sichere Mobilkommunikation vorgeschlagen, das Polycom ersetzen soll. Dieses wird die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler rund drei Milliarden Schweizer Franken kosten. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass dieses Budget für den Aufbau eines zukunftsorientierten und souveränen Systems verwendet wird. Um dies zu erreichen, muss das Projekt die folgenden Kriterien erfüllen:
Modularität: Wir müssen vermeiden, erneut eine teure Technologie mit Ablaufdatum zu beschaffen. Ein modulares System, das auf offenen und verbreiteten Standards basiert, ist die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass uns die Technologie nicht erneut von einem Anbieter abhängig macht. Dieser Ansatz wird Weiterentwicklungen je nach Bedarf ermöglichen. Ein Design, das auf modularen Komponenten basiert, wird die Anpassungsfähigkeit und Skalierbarkeit fördern und es der Schweizer Kommunikationsinfrastruktur ermöglichen, mit dem technologischen Fortschritt mitzuhalten. Dies ist auch wirtschaftlich, da inkrementelle Upgrades kosteneffizienter sein werden und Ausfallzeiten im Vergleich zu kompletten Systemauswechslungen abnehmen. Darüber hinaus ist die Vermeidung des Vendor Lock-ins von entscheidender Bedeutung. Proprietäre Systeme schränken die Flexibilität erheblich ein.
Neue Horizonte: Die jüngsten Konflikte haben gezeigt, wie wichtig und widerstandsfähig die Telekommunikation im Weltraum im Vergleich zu terrestrischen Netzwerken ist. Wir müssen unser Schweizer Know-how nutzen, um ein Weltraumnetz aufzubauen, anstatt die Autonomie unserer 5G-Antennen mit Dieselgeneratoren zu stärken. Satelliten bieten eine robuste und wirtschaftlich tragfähige Lösung, da immer mehr Unternehmen private Netzwerke im New-Space-Sektor aufbauen. Durch die Einführung einer weltraumgestützten Netzwerkarchitektur kann die Schweiz sicherstellen, dass die kritische Kommunikation auch dann funktioniert, wenn Teile des Netzwerks kompromittiert werden. Investitionen in technologische Innovationen werden der Schweiz Möglichkeiten in aufstrebenden Bereichen eröffnen und sicherstellen, dass unsere Infrastruktur an der Spitze bleibt.
Souveränität: Dieser Übergang ist eine Gelegenheit für Unternehmen in der Schweiz, souveräne Lösungen anzubieten und unsere technologischen Interessen zu schützen. Es ist von entscheidender Bedeutung, unser technologisches Know-how in der Schweiz zu halten. Die Auslagerung oder der Verkauf dieses Know-hows, wie es bei einigen Unternehmen vorgeschlagen wurde, muss unbedingt vermieden werden. Die Bevorzugung einheimischer Technologien wird die Abhängigkeit von ausländischen Anbietern verringern und die Sicherheit erhöhen. Es wird auch die lokale Wirtschaft durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung von Innovationen unterstützen. Durch die Schaffung eines robusten Governance-Rahmens kann die Schweiz ihre strategische Autonomie sichern und die Kontrolle über ihre kritischen Kommunikationssysteme behalten.
Heute hat die Schweiz die Möglichkeit, das Blatt zu wenden. Es ist die Pflicht der Regierung, das Geld der Steuerzahlenden in zukunftsorientierte Infrastrukturprojekte zu investieren. Wir müssen unsere digitale Souveränität sichern, Innovationen fördern und uns als Technologieführer positionieren.
Über die Kolumne
Jeden Monat äussern sich Politikerinnen und Politiker sowie digital-politisch Engagierte aus allen Lagern zum Geschehen in Bern und in den Kantonen in der "Parldigi direkt"-Kolumne. Heute schreibt Nationalrätin Isabelle Chappuis (Mitte/VD).

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