Das Einzige, was zählt

25. Juli 2017 um 09:30
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Team, Produkt, oder Markt? Startup-Unternehmer Dominik Grolimund diskutiert in der Kolumne "Up!" den entscheidenden Erfolgsfaktor in der Frühphase eines Startups.

Team, Produkt, oder Markt? Startup-Unternehmer Dominik Grolimund diskutiert in der Kolumne "Up!" den entscheidenden Erfolgsfaktor in der Frühphase eines Startups.
Üblicherweise stellen Investoren bei einem Early-Stage-Startup drei Fragen, die über ein Investment entscheiden: Wie ist das Team, wie ist das Produkt und wie ist der Markt.
In diesem Stadium ist oft nur eine Idee da, noch kein (fertiges) Produkt, und der Markt konnte noch kaum erforscht werden. In Konsequenz stützen viele ihren Entscheid stark auf menschliche Faktoren ab, und argumentieren dann auch, dass das Team sowieso der entscheidende Erfolgsfaktor sei. Demgegenüber steht Marc Andreessen, Netscape-Gründer und VC-Investor, der den Markt als den entscheidenden Faktor sieht. Seine Argumentation lautet in etwa wie folgt: In einem idealen Markt – einem Markt mit vielen potenziellen Kunden – reissen dir die Kunden das Produkt aus den Händen. Der Markt muss befriedigt werden, und wird es auch, und zwar vom ersten brauchbaren Produkt, das daherkommt. Das Produkt muss nicht perfekt sein, es muss einfach funktionieren. Und dem Markt ist es egal, wie gut das Team ist, solange es das brauchbare Produkt bauen kann.
Den Markt aber überhaupt zu definieren, ist in der Frühphase meist äusserst schwer. Relativ einfach ist es, wenn man einen bestehenden Markt adressiert. Und wenn man den Markt dann zudem noch mit demselben Produkt (aber beispielsweise in einer anderen Region) bedient, das sich schon bewiesen hat, geht es rein um die "Execution" (beispielsweise Zalando). Folglich wird das Team wieder entscheidend. Etwas anders war die Situation bei Salesforce. Diese haben einen bestehenden Markt neu aufgeteilt: Sie propagierten "No Software" und versprachen, Legacy-Systeme und (On-premise-)Installationen mit ihrer Cloudlösung überflüssig zu machen. Sie mussten beweisen, dass die Kunden bereit sind, ihre CRM-Daten in die Cloud zu speichern – aber das Bedürfnis (nach CRM) war bereits validiert.
Oft aber befindet man sich als Startup in einer Situation, wo man nicht so recht weiss, wie der Markt aussieht. Dies ist speziell bei technischen Innovationen der Fall, wo man “im Labor” (d.h. in Isolation, weit weg vom Kunden) eine Lösung findet, und noch nicht so recht weiss, wer überhaupt ein Problem hat. In dieser Situation befand sich beispielsweise VMWare, die mit ihrer Technologie einen neuen Markt geschaffen haben – den Virtualisierungsmarkt – der sich als riesig herausstellte. Einen neuen Markt zu erschaffen, ist aber sehr schwer und passiert selten – die meisten Startups scheitern denn auch am fehlenden Markt.
"Get out of the building"
Will ein Startup einen neuen Markt erschaffen (oder einen bestehenden Markt neu aufteilen), so helfen Methoden wie Lean Startup (Eric Ries) und Customer Development (Steve Blank) – im Wesentlichen geht es hier darum, mit minimalem Aufwand möglichst viel und so früh wie möglich über Kundenprobleme und -bedürfnisse zu lernen. Man stellt Hypothesen auf, die dann entweder verifiziert oder falsifiziert werden. Man zieht seine Schlüsse, wandelt leicht ab, und probiert es nochmals. Ganz wichtig: "get out of the building", d. h. möglichst nahe beim Kunden / bei der Realität zu sein. Dieser iterative und offene Ansatz hat aber durchaus Konsequenzen, beispielsweise wird es dadurch schwer, Geheimnisse zu haben. (Kleine Klammer: Wie macht das das geheimnisvolle Apple? Vermutlich indem Hunderte/Tausende Mitarbeiter Produkte in der Frühphase test und sie so Feedback einfliessen lassen können, lange bevor das Produkt der Öffentlichkeit vorgestellt wird.)
Den ersten Meilenstein hat man als Startup erreicht, wenn man den ominösen "Product/Market-Fit" (PMF) gefunden hat. Salopp ausgedrückt: Man ist in einem guten Markt mit einem Produkt, das den Markt bedient. Gemäss Andreessen kann das Leben eines Startups in zwei Phasen unterteilt werden: Vor-PMF und Nach-PMF. Wann hat man PMF nun aber erreicht? Das ist schwer zu definieren, so schwer, so dass viele Leute auf ein "Ich weiss es, wenn ich es sehe" ausweichen (bekannterweise verwendet vom obersten Gerichtshof der USA, um Pornographie zu definieren). Einige versuchen sich mit quantitativen Aussagen, beispielsweise Sean Ellis, US-Unternehmer, Investor und Startup-Coach: PMF ist erreicht, wenn mehr als 40 Prozent der Kunden sehr enttäuscht wären, wenn es das Produkt nicht mehr gäbe. Etwas anders das hier: PMF ist erreicht, wenn die Retention-Kurve (also die Kurve, die zeigt, wie viele Kunden das Produkt nach x Tagen/Wochen/Monaten noch nutzen) parallel zur X-Achse verläuft. Wie auch immer: Das einzige, was in Vor-PMF zählt, ist PMF zu erreichen (und damit: vieles nicht zu tun, was man sonst für wichtig hält) – man merkt es dann schon. :)
Den sehr lesenswerten Artikel von Marc Andreessen zu Product-Market-Fit finden Sie hier. (Dominik Grolimund)
Dominik Grolimund ist Informatiker und Unternehmer. Mit 14 Jahren gründete er seine erste Firma mit einer CRM-Software namens Caleido. Nach ETH-Abschluss folgte dann Wuala, ein sicherer Onlinespeicher. 2011 baute er die Karriereplattform Silp. Alle drei Firmen hat er ohne externe Finanzierung aufgebaut und verkauft. Derzeit arbeitet er an Refind, seinem vierten Startup. Daneben ist er Investor und Coach bei mehreren Startups.
Über die Kolumne "Up!"
In der Kolumne schreiben Startup-Experten exklusiv für inside-it.ch, darunter sind neben Dominik Grolimund auch Damir Bogdan und Joachim Hagger.

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