

ICT-Projekte: Vorsicht vor dem Schwarzen Schwan
17. Oktober 2011 um 14:14Bösartige schwarze Schwäne: Wieso laut einer Studie heftig aus dem Ruder gelaufene IT-Projekte die "Ausnahme", aber doch ein äusserst ernstes Risiko sind.
Bösartige schwarze Schwäne: Wieso laut einer Studie heftig aus dem Ruder gelaufene IT-Projekte die "Ausnahme", aber doch ein äusserst ernstes Risiko sind.
Zwei Forscher der Universität Oxford, Alexander Budzier und Bent Flyvbjerg, haben in einer grossen Studie versucht, das Risiko von grossen ICT-Projekten mit neuen statistischen Methoden zu erfassen. Die beiden Wissenschaftler berücksichtigten dafür nicht weniger als 1471 Projekte, vor allem aus dem englischsprachigen Raum, mit einem totalen Projektwert von 241 Milliarden Dollar. Die Projekte dauerten jeweils zwei Jahre oder länger und wurden fast alle in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts gestartet. Budzier und Flyvbjerg analysierten sie jeweils im Hinblick auf Zeit- und Kostenüberschreitungen sowohl am Schluss als auch während des Projekts. (Inwiefern die Projekte ihre Ziele erreichten, wurde nicht berücksichtigt.)
Frühere oft kontrovers aufgenommene Studien zu den Risiken von ICT-Projekten kamen zu recht gegensätzlichen Ergebnissen: Manche kommen zum Schluss, dass bei der überwiegenden Mehrzahl der IT-Projekte die vorgegebenen Zeitpläne und Budgets eingehalten werden, andere berichten im Gegenteil von häufigen Kosten- und Zeitüberschreitungen beziehungsweise "gescheiterten" IT-Projekten.
Die Leute aus Oxford erklären nun in ihrer Studie – die wohl ebenso kontrovers diskutiert werden dürfte – dass irgendwie beide Sichtweisen zutreffen, aber jeweils aufgrund von eingeschränkten Blickwinkeln nur einen Teil der Wahrheit beschreiben. Die in ihrer Studie untersuchten Projekte kosteten im Gesamtdurchschnitt 27 Prozent mehr und dauerten 55 Prozent länger als vorgesehen. Aufgrund ihrer Zahlen stellen die Autoren allerdings die Hypothese auf, dass es drei "Klassen" von ICT-Projekten gibt, so dass dieser Durchschnitt kaum Relevanz hat.
Normalos und Politicos
Die grösste Klasse bildet laut Budzier und Flyvbjerg eine Mehrheit von rund drei Vierteln aller Projekte. Diese folgen einer einigermassen normalen Glockenkurvenverteilung, wie sie Statistiker und Manager – weil sie gut fassbar ist - gerne sehen. Die durchschnittliche Kostenüberschreitung beträgt bei diesen Projekten lediglich 3,7 Prozent. Am linken und rechten Rand der Verteilung aber geschieht ungewöhnliches.
Am linken Rand identifizieren die Forscher eine Gruppe von rund 6 Prozent aller Projekte, die mindestens 30 Prozent billiger waren, ursprünglich gedacht. Der Grund dafür ist aber nicht etwa projektleiterische Brillanz, sondern, wie sich die Autoren ausdrücken, "politischer" Natur: Die Budgets dieser Projekte wurden schlicht und einfach während ihrer Laufzeit gekürzt.
Böse Schwarze Schwäne
Am rechten Rand aber lauern die wirklich bösartigen Kreaturen: Die "schwarzen Schwäne". Ein äusserst typischer Vertreter dieser Art hatte sich in den letzten Jahren im Zürcher Sozialdepartement eingenistet, und ist erst kürzlich vom Stadtrat erschossen worden Budzier und Flyvbjerg verwenden hier einen Ausdruck ("Black Swans"), der sich in den letzten Jahren in der Risikoforschung eingebürgert hat und der seltene Ereignisse mit grossen Auswirkungen meint. In der Studie wird so die Klasse von ICT-Projekten benannt, die ihr Budget um über 50 Prozent - oder manchmal noch weit mehr – sprengen.
Die schwarzen Schwäne haben verschiedene gemeine Charakterzüge. Erstens werden sie bei Risikoabschätzungen gerne übersehen, so Budzier und Flyvbjerg, da viele Verantwortliche an "Black Swan Blindness" leiden. Man "sieht" nur die normalen Projekte, und rechnet damit, dass auch das nächste so verläuft. Wirklich schief gelaufene Projekte werden dagegen als Ausnahme betrachtet und damit als irrelevant abgetan.
Die Ausnahme als Regel
Die Schwarzen ICT-Schwäne sind aber eine erstaunlich häufige "Ausnahme": Rund 17 Prozent, also jedes sechste Projekt fiel in der Studie in diese Klasse. Bei den "schwarzen Schwänen" für sich gesehen betrug die durchschnittliche Kostenüberschreitung knapp 200 Prozent, die durchschnittliche Zeitplanüberschreitung rund 70 Prozent. Es konnte aber auch ein Mehrfaches davon sein.
Bei Millionen-Projekten stellen diese "Ausreisser" also ein nicht zu ignorierendes Risiko dar, das nur schwer kalkulierbar ist. Zudem seien die schwarzen ICT-Schwäne laut Budzier und Flyvbjerg meist erst im Nachhinein identifizierbar, und nicht schon im Laufe des Projekts. Und auch das Mass der Schäden, die ein schwarzer Schwan anrichtet, ist schwer abschätzbar. Ein Projekt, das bei Halbzeit 20 Prozent Kostenüberschreitung aufweist, muss am Schluss nicht 40 Prozent mehr kosten – es können auch 540 Prozent mehr sein, da Überschreitungen zu einem exponentiellen Wachstum tendieren, so die Studie. Zu den reinen Kosten kommen bei ICT-Grossprojekten zudem oft auch noch durcheinandergebrachte Prozesse, ein getrübtes Betriebsklima und natürlich Ausfälle, wenn Ziele nicht erreicht werden, hinzu.
Unternehmensverantwortliche, so Budzier und Flyvbjerg, sollten sich daher darüber im Klaren sein, dass jederzeit auch bei ihnen ein schwarzer Schwan landen kann – dass man in der Vergangenheit verschont wurde, sei keine Garantie. Man sollte also bei Grossprojekten nicht nur eine "normale" Kostenüberschreitung einkalkulieren, sondern sich zusätzlich überlegen: Können wir es auch überleben, wenn das Projekt fünfmal mehr kostet? (Hans Jörg Maron)
Die, allerdings mit statistischen Fachausdrücken gespickte, Originalstudie kann hier heruntergeladen werden (Klick öffnet PDF.)
(Foto: Sister72. Echte schwarze Schwäne scheinen auf "Cheesey Poofs" zu stehen.)
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