

IT-Beschaffung in der Schweiz: Make Love, Not War
11. September 2012 um 13:38Vorbei scheint die Zeit, als sich Open-Source-Anhänger und Bundesvertreter vor Gericht stritten. Die erste nationale Fachkonferenz IT-Beschaffung soll aufklären und den Dialog fördern.
Vorbei scheint die Zeit, als sich Open-Source-Anhänger und Bundesvertreter vor Gericht stritten. Die erste nationale Fachkonferenz IT-Beschaffung soll aufklären und den Dialog fördern.
Viel zu sagen hatten sich die Vertreter der Bundesverwaltung und die Befürworter von Open-Source-Software nicht, als sie am 6. Juli 2010 das Bundesverwaltungsgericht verliessen. Das Gericht hatte damals dem Bund recht gegeben war rechtens und Open-Source-Firmen waren nicht legitimiert, sich zu beschweren, weil die von ihnen angebotenen Produkte nicht dem definierten Beschaffungsgegenstand (Lizenzen und Wartung von Microsoft) entsprachen.
Miteinander statt gegeneinander
Doch seit dem darauf folgenden, für die Open-Source-Szene ebenfalls negativen Entscheid des Bundesgerichts im Frühjahr 2011 und im Verlauf des Jahrs 2011 beschlossen das Informatiksteuerungsorgan Bund (ISB), die Schweizerische Informatikkonferenz (SIK), der Verband SwissICT sowie die Open-Source-Vereinigung Swiss Open Systems User Group, eine Fachkonferenz zum Thema IT-Beschaffung durchzuführen. Heute fand diese Veranstaltung an der Universität Bern statt und der Tenor war: Dialog und Transparenz statt Skandale und Schuldzuweisungen.
Das heftig in Schieflage geratene Softwareprojekt "Insieme" bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung war denn auch bei den Präsentationen kaum ein Thema. Viel lieber klammerten die Referenten dieses extreme Negativbeispiel aus und verwiesen auf die wichtigsten Punkte bei der IT-Beschaffung. Dominik Kuonen, Jurist am Kompetenzzentrum Beschaffungswesen Bund beim Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL), machte eine Art Grundauslegung: "Was dürfen wir, was dürfen wir nicht?"
Im Rechtsdschungel
Er sprach von einer grossen Rechtszersplitterung aufgrund des übergeordneten Rechts auf WTO-Ebene und den verschiedenen Bestimmungen auf Bundes-, Kantons- ja sogar Gemeinde-Ebene. "In diesem Rechtsdschungel braucht es einen guten Führer", sagte Kuonen. Die Grundprinzipien für eine erfolgreiche IT-Beschaffung seien Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Wirtschaftlichkeit.
Kuonen erklärte die verschiedenen Varianten einer IT-Beschaffung. So gibt es auf Bundesebene den Schwellenwert von 230'000 Franken bei der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen. Alles, was potenziell teurer ist, muss mit einem offenen oder einem selektiven Verfahren ausgeschrieben werden und sieht auch eine Beschwerdemöglichkeit vor. Unterhalb dieser Grenze gibt es die Möglichkeit des Einladungsverfahrens für mindestens drei Anbieter oder aber die freihändige Vergabe "für Bagatellen", wie Kuonen sagte. Beide Varianten wohlverstanden ohne Ausschreibung, ohne Zuschlagspublikation und ohne Beschwerdemöglichkeit.
Letztlich gibt es die viel kritisierte freihändige Vergabe in Ausnahmefällen. Auch oberhalb des Schwellenwerts ist eine solche Vergabe zulässig, erklärte der Jurist. Allerdings gebe es "strenge Voraussetzungen". Zudem gibt es in diesem Fall eine Zuschlagspublikation mit anschliessender Beschwerdemöglichkeit. Wann ist es zulässig, Aufträge ohne Ausschreibung zu vergeben? Das ist zum Beispiel bei Dringlichkeit der Fall, oder wenn es sich um eine Folgebeschaffung geht. Oder - und das war der Streitpunkt im Gerichtsfall um Microsoft - wenn angeblich nur ein einziger Anbieter technisch in der Lage ist, die Anforderungen zu erfüllen.
Die Krux mit den Folgeaufträgen
Marc Steiner, seit Anfang 2007 Richter am Bundesverwaltungsgericht und am Microsoft-Fall beteiligt, rollte noch einmal den Streit zwischen Bund und Open-Source-Szene auf und erklärte, was letztlich ausschlaggebend war für den Entscheid der Gerichte: Den Beschwerdeführern fehlte die Legitimation für eine Beschwerde, weil sie nicht in der Lage waren, Microsoft-Software zu liefern. Höchstens ein Microsoft-Wiederverkäufer hätte die freihändige Vergabe anfechten können. Dies geschah zwar nicht, aber immerhin gab es am 22. Juni 2011 ein offenes Verfahren unter Microsoft-Händlern. Steiner wertet dies als positives Zeichen.
"Wenn jemand sagt, ich brauche Benzin für mein Auto, können Sie nicht sagen, 'ich möchte Ihnen ein Elektroauto verkaufen'. Legitimiert sind nur Benzinverkäufer", Die Frage sei allerdings, gab Steiner zu bedenken, "funktioniert IT auch so?"
In Bezug auf die oben erwähnten Argumente für eine freihändige Vergabe ging Steiner insbesondere auf die Folgebeschaffung ein: "Die Folgebeschaffung ist eine der missbrauchsanfälligen Bestimmungen überhaupt." So sei nicht in allen Fällen gegeben, dass die ursprüngliche Erstvergabe über alle Zweifel erhaben war. Später wies Peter Fischer, Delegierter für die Informatiksteuerung des Bundes, darauf hin, dass am Anfang eines IT-Projekts nicht immer voraussehbar sei, was später noch komme. Häufig seien Folgeaufträge schlicht nicht vermeidbar.
Was wollen wir genau?
Einig waren sich alle darin, dass sich eine Vergabestelle sehr gut überlegen muss, was sie überhaupt möchte. Erika Bachmann, Direktorin Support Sozialdepartement bei der Stadt Zürich, liess in ihrem Vortrag durchblicken, dass beim gescheiterten Software-Projekt "Famoz" im Sozialdepartement das Pflichtenheft nicht über alle Zweifel erhaben war. Zur eigenen Verteidigung sagte sie schmunzelnd: "Ich war bei diesem Projekt nicht von Anfang an dabei." Von Anfang an dabei war sie aber beim (erfolgreichen) SAP-Projekt im Jahr 2006.
"Famoz" und "Insieme" sind Extremfälle. Peter Fischer sagte in seinem Vortrag, die allergrösste Zahl der IT-Projekte der Verwaltung gingen ohne Probleme über die Bühne. Er räumte allerdings ein, dass der Bund im Sommer eine "Sonderwerbekampagne" für die heutige IT-Beschaffungskonferenz gemacht habe - gemeint war die schlechte Presse im Umfeld von "Insieme". Auch Fischer verwies darauf, dass der Ursprung der Probleme oft in der Vorbereitung oder in Führungsfragen zu finden sei. "Wir brauchen aber nicht neue Kontrollinstrumente, sondern müssen uns mit dem Beschaffungsgegenstand auseinandersetzen." Am Schluss erzählte er noch von einem gescheiterten IT-Projekt: "Man wollte eine eierlegende Wollmilchsau, doch man wählte einen Unterlieferanten, der von eierlegenden Wollmilchsäuen nichts verstand." Doch daraus könne man lernen, schloss Fischer. (Maurizio Minetti)
(Foto: Peter Fischer, heute in Bern)
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