Jürg Römer: Schweizer E-Gov-Nutzung "rekordverdächtig schlecht"

15. März 2006 um 16:04
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Der IT-Chefstratege des Bundes hat sich in einer flammenden Rede an der letzten Generalversammlung von eCH für Standards und gegen "falsch verstandenen Föderalismus" gewendet.

Der IT-Chefstratege des Bundes hat sich in einer flammenden Rede an der letzten Generalversammlung von eCH für Standards und gegen "falsch verstandenen Föderalismus" gewendet.
Jürg Römer, Delegierter für die Informatikstrategie des Bundes Leiter des Informatikstrategieorgan Bund (ISB), ist nicht zufrieden mit dem Stand der E-Government-Nutzung in der Schweiz. In seiner Rede an der letzten Generalversammlung des Vereins eCH am letzten Freitag nahm er kein Blatt vor den Mund: "Am 8. März 2006 wurde an den Telematiktagen das neuste eGovernment-Trendbarometer der Fachhochschule Bern kurz vorgestellt. Es zeigt, dass 18 Prozent der Behördenkontakte über das Internet erfolgen. Dies bedeutet eine Steigerung um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr. In absoluten Werten ist das keine berauschende Zahl, aber eine klare Steigerung. In der neusten eReadiness-Studie, welche die Voraussetzungen für eGovernment und nicht die Nutzung, bewertet, ist die Schweiz auf Rang 4 vorgerückt. Nicht nur in der Skiakrobatik, im Snowboarden und im Schlitteln, auch im eGovernment hat die Schweiz somit eine Goldmedaille gewonnen: Sie nützt vorhandenes Potenzial im eBereich rekordverdächtig schlecht."
Föderalismus und zuwenig "warmes" Lehrpersonal
Römer nannte zwei Hauptgünde für die Schweizer E-Government-Misere: "Aufgrund der Aufgrund der fragmentierten, kleinförderalistischen Strukturen und der Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden kann kaum ein Prozess durchgängig abgewickelt werden." Und zweitens: "Trotz 'Schulen ans Netz' ist unser Lehrpersonal mit der Informations- und Kommunikationstechnologie noch nicht so richtig 'warm' geworden. Auch fehlen, teilweise wiederum wegen der 26-fachen Zuständigkeit, digitale Lehrinhalte."
Gerade zum, Thema E-Government und Föderalismus – den er eigentlich als "sehr gute und flexible Staatsform" bezeichnet – fand Römer noch mehr knackige Worte: "Angesichts der Erkenntnisse aus allen Studien ist es aber blauäugig und schönfärberisch, davon zu sprechen 'die Stärken des Föderalismus für E-Government' zu nutzen. Eine solche Aussage habe ich letzthin gelesen. Falsch verstandener Föderalismus ist ein Hindernis sowohl für die elektronische Unterstützung von Regierungs- und Verwaltungsprozessen als auch für deren flächendeckende Umgestaltung, wie sie die modernen Mittel erfordern."
Schlechtes E-Government gefährdet Schweiz als Wirtschaftsstandort
Eine Standardisierung, welche die Nachteile des Föderalismus überwinden kann, ist deshalb aus der Sicht Römers eine Notwendigkeit: "Da wir uns für die Struktur mit 26 Kantonen und hundert Mal so vielen Gemeinden entschlossen haben, müssen wir dafür sorgen, dass die Nachteile dieser Struktur deren Vorteile nicht überwiegen. Wir müssen also sicherstellen, dass die unzähligen Schnittstellen übergreifende Prozesse nicht behindern. Würden wir bezüglich der Nutzung der modernen Technologien, insbesondere bezüglich E-Government, weiter in den hintersten Regionen der Ranglisten dümpeln, wäre die Schweiz als attraktiver Wirtschaftsstandort gefährdet. Durch die elektronische Abwicklung von Prozessen sind sowohl in der Verwaltung wie in der Wirtschaft wesentliche Effizienzsteigerungen möglich. Voraussetzung ist, dass man die Prozesse so anpasst, dass man die Mittel der IKT optimal nutzen kann. "
Römer fand dann aber noch ein E-Government-Gebiet, in dem die Schweiz gute Leistungen vorzeigen kann: Die Bemühungen, dem Stimmvolk auch die Stimmabgabe über das Internet zu ermöglichen: "Ein Beispiel, wo die Schweiz ganz klar die Goldmedaille um den Hals trägt, ist das E-Voting. Warum ist das so? Erstens besteht ein klar definierter, hoch standardisierter Prozess, der elektronisch unterstützt werden kann. Es bestehen auch Sicherheitsstandards, die undiskutiert übernommen werden müssen. Zweitens wurde das Projekt mit der nötigen Umsicht und Vorsicht vorbereitet. Drittens waren in den Kantonen wie auch beim Bund qualifizierte und engagierte Teams mit der nötigen Unterstützung von höchster Stelle am Werk."
Eine ausführliche Fassung von Jürg Römers Rede, in der er auch noch weiteres zum Thema Standards sowie zum Bereich E-Health sagte, finden Sie hier. (Hans Jörg Maron)

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