Leider Nein (mit Bild)

5. Juni 2015 um 16:13
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Und hier noch unsere Freitagabend-Nachricht.

Neulich in der Teppichetage des Fachverlags 'Feld und Wiesen Techie News' GmbH. Verleger: "Wir haben zu wenig Klicks. Ab sofort wird jeder, und ich sage JEDER, Artikel illustriert. Die User wollen Eure trostlosen Bleiwüsten nicht mehr sehen. Sie wollen Bilder sehen. Also liefern wir Bilder und zwar immer. Kapiert?" Chefradaktor: "Tolle Idee, Chef, ganz toll. Wie gross ist mein Budget für Bildredaktion und Fotografen?" Verleger: "Budget? Da braucht es kein Budget. Dieses Internet-Dings da ist voller Bilder, deine überbezahlten Journalisten sollen sich mal ein bisschen anstrengen. Fotografieren kann heute ja jeder und für die Bildbearbeitung gibt es da doch dieses Gratis-Zeugs, oder? Dein Budget ist 0, zero, nada". Chefredaktor: "Brilliante Idee, Chef, ganz brilliant. Aber weisst du, diese Bilder, die sind copyright-geschützt und so ein Prozess kostet ja auch etwas. Aber ich habe eine Idee. Es gibt das so Datenbanken mit Millionen von Bildern, die kosten nicht viel, die könnten wir nehmen. Und unsere überbezahlten Journis sollen an Presseanlässen halt ein paar Föteli machen, statt sich den Wanst vollzuschlagen." Verleger: "Waaas? Bezahlen? Für Fotos? Mehr als 1 Franken pro Foto bekommst du nicht. Ihr müsst sie halt mehrmals verwenden. Das macht bei acht Stories pro Tag sechs Franken, kein Rappen mehr, kapiert?"
Natürlich haben die unterbeschäftigten Journalisten protestiert und über den Stress gewehklagt, der entsteht, wenn man neben dem sanften Umschreiben von Pressemitteilungen auch auch noch billige und erst noch passende Fotos suchen, sie mit Gimp auf das vorgeschriebene Format herunterprügeln und ins CMS quetschen muss, als ihnen der Chefredaktor klar machte, dass es ab sofort keinen einzigen Artikel ohne Bild – oder noch besser Bildstrecke, denn die produziert Page Impressions – geben wird. Schliesslich haben unterbeschäftige Journalisten prinzipiell keine Zeit und wollen eh möglichst rasch mit der Praktikantin in die Bar, um sie dort mit ihren Erlebnissen als knallharte Recherchehirsche vollzulabern. Sie wissen schon.
Und so ist es gekommen, dass wir, die wir die Produkte der 'Feld und Wiesen Techie News GmbH' täglich aus rein beruflichen Gründen mindestens oberflächlich konsumieren müssen, immer und immer wieder die immer sinnlos gleichen Bilder anschauen müssen. Wird es ihnen auch schlecht, wenn sie bei jeder eh schon ziemlich bis total belanglosen Geschichte über irgend eine Partnerschaft, die nie umgesetzt werden wird, die sich schüttelnden Hände sehen? Die schüttelnden Hände kann man auch brauchen, wenn zwei Buden einen Deal zu verkünden haben oder ein Manager seinem dreijährlichen Instinkt folgend von der einen US-Firma zur nächsten US-Firma wechselt. Alternativ kann man auch aufeinanderliegende Hände nehmen.
Um irgendwelche Stories über Geschäftszahlen zu illustrieren, können die unterbeschäftigen zu Bildredaktoren mutierten Journalisten wählen. Wenn Gewinn, Umsatz oder sonst irgendetwas gestiegen ist (oder der zurückmutierte Journalist das auch nur meint, weil das 'Wall Street Journal' wieder so kompliziert geschrieben hat und er die Sache mit GAAP, Non-GAAP, EBITDA und Cash-Flow) halt einfach nicht auf die Reihe kriegt), kann man entweder das Foto eines Feuerwerks nehmen oder dann die Grafik einer ansteigenden Kurve. Sinkt irgendetwas könnte man einen Sonnenuntergang nehmen - aber das tut interessanterweise niemand, sondern alle nehmen die Grafik mit der Kurve, die nach unten zeigt.
Alle Artikel, die mit Gerichtsurteilen zu tun haben, aber auch solche über Software-Tests und -Vergleiche oder auch nur über angebliche Software-Tests und -Vergleiche, sind mit dem Foto eines US-amerikanischen Richterhammers zu illustrieren.
Artikel, die irgendwie mit "Security" oder "Cyber-Security" zu tun haben oder zu tun haben könnten – so genau weiss man das ja auch nicht immer – muss man mit einem Foto, respektive einer Fotomontage eines maskierten Menschen vor dem Bildschirm illustrieren. Diese Vorschrift ist weltweit zwingend einzuhalten. Zu Bildredaktoren mutierte unterbeschäftigen Online-Journalisten werden bei Nichtbeachtung dazu verurteilt, für den Rest ihres Lebens Pressemitteilungen von Kaspersky, Symantec und Panda mit Warnungen vor ungeheuer gefährlichen Löchern in Windows 95 von unverständlichem Englisch in unverständliches Deutsch, oder was auch immer die Sprache ihrer Publikation ist, umzuschreiben.
Dabei tragen Hacker gar keine Skimasken, auch keine hierzulande der als "Kopfpariser" verhöhnten so genannten "Sturmhauben", wie unsere Lieblingsfachzeitung 'Der Postillon' schon am 20. Januar 2012 enthüllt hat. "Über 98 Prozent aller Hacker und Datendiebe tragen bei der Ausübung ihrer kriminellen Machenschaften keine Ski-, Strumpfmaske oder ähnliche Kopfbedeckung." Von den zwei Prozent, die sich beim Hacken tatsächlich maskieren, macht es ein Drittel, weil er oder sie Angst hat, versehentlich die Webcam eingeschaltet zu haben und ein Drittel, weil Masken geil sind. Der Rest der zwei Prozent glaubt, dass man das so tun müsse, weil es die anderen auch tun, wie man in der (Online-)Zeitung jeden Tag sieht. (Christoph Hugenschmidt)

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