Orlando Ayala: "Die lokalen Player sind immer die härteste Konkurrenz"

10. April 2006 um 09:02
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Inside-channels.ch unterhielt sich mit Orlando Ayala, COO von Microsofts Business-Solutions-Bereich, über die Konkurrenzsituation in der ERP-Szene und über die Auswirkungen der neuen "Software als Service"-Modelle auf die Partnerlandschaft.

Inside-channels.ch unterhielt sich mit Orlando Ayala, COO von Microsofts Business- Solutions-Bereich, über die Konkurrenzsituation in der ERP-Szene und über die Auswirkungen der neuen "Software als Service"-Modelle auf die Partnerlandschaft.
In der Wirtschaftpresse und der internationalen Presse allgemein werden im Zusammenhang mit ERP- und Business-Software immer wieder nur drei Namen genannt: SAP, Oracle und Microsoft. In der Schweiz sind aber auch lokale ERP-Hersteller sehr stark. Sind wir da ein Sonderfall?
Orlando Ayala: Nein, überhaupt nicht. In jedem einzelnen Land werden sie mindestens einen oder zwei sehr starke lokale Player finden. Ich könnte ihnen sagen, wer das in Brasilien ist, oder in Israel, oder in Indien, oder anderswo. In Russland gibt es einen einheimischen Hersteller mit rund 60 Prozent Marktanteil! Da ist es nicht einfach, in so einen Markt rein zu kommen und etwas zu bewegen.
In jedem Land sind die lokalen Player unsere grösste und schwierigste Konkurrenz, zumindest noch eine Zeit lang, denn sie sind sehr "tuned", sehr angepasst an ihre lokalen Gegebenheiten. Die anderen globalen Player sind das nicht und wir auch nicht.
Was meinen Sie genau mit "tuned"?
Da muss man daran denken, dass ERP-Software auch über die Sprache viele lokale Gegebenheiten berücksichtigen muss. Vor allem sind das natürlich die unterschiedlichen und sich ändernden Buchhaltungsregeln. In manchen Ländern ändern sie sich, überspitzt ausgedrückt, fast jede Woche. Also muss man auch jede Woche die Software anpassen, damit die User arbeiten können.
Das ERP-Geschäft ist ein schwieriges Spiel, denn die lokalen Hersteller sind oft flexibler und können solche Bedürfnisse viel schneller bedienen. Und sie sind näher am Kunden und oft auch einfach schon viel länger auf dem Markt präsent.
Und wieso sagen Sie, "zumindest noch eine Zeit lang"?
Die lokalen Hersteller haben ein grosses Problem: Ihre Software-Architekturen sind generell schon ziemlich alt. Es gibt keine sehr guten, .Net-basierten Architekturen bei den lokalen Playern. Ihr grösstes Problem ist also ein technologisches Problem.
Aber es gibt, zumindest hier in der Schweiz, auch lokale Player, die für sich in Anspruch nehmen, moderne Software-Architekturen zu haben oder ältere Lösungen auf moderne Architekturen migriert zu haben, und die auch schnell wachsen.
Ja, einverstanden. Aber man muss bedenken, wo die grossen installierten Kundenbasen sind. Die Anbieter, welche die wirklich grossen Marktanteile haben, haben keine modernen Architekturen, das weiss ich. Viele der grossen installierten Basen sind schon älteren Datums, .Net ist aber noch relativ neu. Jetzt müssen diese Anbieter also ihre Kunden auf eine ganz neue Architektur migrieren und das wird nicht einfach werden.
Software als Internet-Service
Eines der grossen Themen im Softwarebereich ist in letzter Zeit "Software als Service", der Bezug von Software über das Internet, und auch Microsoft hat sich in letzter Zeit unter dem Stichwort "live" dieses Thema sehr stark zu eigen gemacht. Ist dies die Zukunft?
Unsere Branche tendiert dazu, in Extremen zu denken. 'Oje, Morgen geht die Welt unter! Alles wird entweder dieses oder alles wird jenes'. Das sollte man nicht glauben. Meiner Meinung nach wird jetzt nicht auf einmal alle Software über das Internet bezogen werden, es wird aber auch nicht alles im Serverraum des Kunden bleiben. Das grosse Thema für Microsoft in dieser Beziehung ist es, den Kunden eine Wahlmöglichkeit zu geben.
Was man im Auge behalten muss, ist, dass je mehr man in Richtung eines "Live"-ähnlichen Services geht, auch die Anpassungsmöglichkeiten einer Lösung reduziert. Dafür wird auf der anderen Seite ihre Einführung einfacher. Der Kunde soll also wählen können, abhängig davon, was für ihn das Beste ist.
Dies hängt zum Beispiel davon ab, wie strategisch eine Applikation für einen Kunden ist. Je strategischer, umso eher wird er sie bei sich behalten wollen.
Etwas Besonderes allerdings, das Microsoft anstrebt, ist die Möglichkeit zu geben, die Applikationen ganz einfach hin- und her zu schieben. Zum Beispiel kann man sein CRM als gehostete Version haben, aber es soll auch einfach sein, es jederzeit wieder zurückzubringen. Im Prinzip sollte man nur einen Schalter umlegen müssen. Der Kunde könnte sich dann sehr flexibel auf dem 'Anpassbarkeitskontinuum' bewegen können. Das ist eine Welt, die noch nicht sehr stark erkundet ist, und die auch neue Geschäftsmodelle mit sich bringen wird.
Eine ganz spezifische Frage: Wird es Dynamics NAV (Navision) und AX (Axapta) auch in hostfähigen Versionen geben?
Natürlich. Wir haben solche Versionen bereits auf dem Markt. In Holland zum Beispiel haben wir Kunden dafür und Partner, welche die Lösungen bereits hosten.
Aber sind das genau die gleichen Versionen wie die On-Site Lösungen oder wurden sie für den Online-Gebrauch angepasst? Man sagt ja oft, dass eine gute Internet-Lösung anders aufgebaut sein sollte, als eine klassische Client-Server-Lösung.
Dabei handelt es sich tatsächlich um die klassischen Versionen. Man kann sie hosten lassen und die Infrastruktur von jemand anderem betreiben lassen. Aber Sie haben recht, das macht einen Unterschied. Dafür hat man aber auch immer noch genau die gleiche Flexibilität, wie wenn man die Applikation bei sich hätte.
Also plant Microsoft nicht, spezielle Versionen für das Internet zu lancieren.
Doch. Wir werden auf jeden Fall auch spezielle Versionen für gehostete oder besser gesagt web-basierte Applikationen haben.
Und wie werden sie sich von den anderen unterscheiden?
Nun, die Möglichkeiten für Anpassungen werden anders sein, es ist sehr wichtig, dies festzuhalten. Bei einem Produkt, das im Prinzip ein web-basiertes Interface ist, ist es eine viel grössere Herausforderungen, es den Bedürfnissen eines Kunden anzupassen.
Es wird letztlich alle Arten von Kunden geben. Solche, welche die Lösung selber betreiben, solche die im Prinzip einfach die Infrastruktur auslagern, aber immer noch die Möglichkeit haben, um alles anzupassen, und es wird Kunden geben, welche die web-basierte Versionen bevorzugen, die nicht sehr anpassbar sind.
Aber zuletzt wage ich noch eine Prognose, die sich auf meine Bemerkung zu den Extremen bezieht: Im Mainstream, also auf wirklich breiter Front wird Software als Service auch in fünf Jahren noch nicht Einzug gehalten haben. Das braucht mindestens noch einmal fünf Jahre länger.
Auswirkungen auf den Channel
Und für den Channel bedeutet das: Noch mindestens fünf Jahre lang werden wir den traditionellen Channel die traditionellen Sachen verkaufen sehen, und er wird den Wert schaffen wie er schon früher geschaffen wurde und erst dann werden wir langsam mehr Software als Service sehen. Ich glaube also nicht, dass in nächster Zeit das Reselling in seiner heutigen Form in grösserem Ausmass verschwinden wird.
Der Software-Channel überlegt sich aber doch schon heute, wie sich übers Web gelieferte Applikationen auf sein Geschäft auswirken werden. Lassen Sie uns deshalb trotzdem über den Teil des Geschäfts reden, bei dem die Applikationen tatsächlich auf das Web 'abwandern'. Welche Rolle werden Microsoft-Partner hier spielen können. Es gibt schliesslich viele Unternehmen, die teilweise davon leben, beim Kunden eine Lösung zu implementieren. Bei einer Web-Applikation gibt es nichts mehr zu implementieren.
Aber hier kommt etwas ins Spiel, was wir als Unternehmen anders als andere machen. Alles was wir herstellen, sei es für "On premise" oder als gehostete Lösung gedacht, machen wir "ausbaubar". Das heisst, unsere Partner können die Sachen ausbauen. Ein Beispiel: Wir haben gerade in den USA etwas namens "Small Business Accounting" herausgebracht. Es ist eine Art Office, die alle Office-Teile beinhaltet plus eine Buchhaltung.
Das Modul für Löhne ist nun nicht von Microsoft, es stammt von einer Drittfirma. Wir haben einen "Hook" ins Produkt gemacht, über den man das Modul beziehen kann. Wir werden immer die "Ausbaubarkeit" unserer Produkte garantieren. Die Partner können auf unserem Produkt aufbauend eigene Services erarbeiten, um Mehrwert zu schaffen.
Ja, Implementierung wird es nicht mehr brauchen. Der Punkt für unsere Partner ist: Wir werden eine ausbaubare Plattform anbieten. Und ich glaube, Microsoft hat in der Vergangenheit ziemlich gut bewiesen, dass wir das können.
Wird es denn auch ein Reselling der Services selbst geben?
Wir schliessen das nicht aus. Das dürfte aber etwas ineffizient sein, da ein Kunde den Service eigentlich sehr direkt beziehen kann. Wird es "Reseller" geben, die den Service empfehlen und dafür ein Honorar erhalten? Ja, das könnte ein Modell sein, eine Art Unterschriftsvergütung, ähnlich wie bei Telcos.
Aber zu diesem Zeitpunkt evaluieren wir noch alle Möglichkeiten, wie Partner miteinbezogen und kompensiert werden könnten.
Wer werden die Unternehmen sein, die die Web-basierte Business-Software hosten? Werden es internationale Grossunternehmen sein? Werden es ISPs sein, oder können es auch Unternehmen wie lokale Systemintegratoren oder VARs tun?
Ich glaube, alle die Sie genannt haben. Was wir dafür tun, ist, dass wir eine "Hoch-Hostbare"-Plattform bauen. Wir streben an, dass sehr viele Partner sie hosten können. Was wir nicht anstreben, ist, dass IBM oder Microsoft selbst eine Art "Megacenter" betreibt, dass alles für die ganze Welt hostet.
Telcos, ISP und viele andere könnten sich entscheiden, unsere Plattformen zu hosten
Also können auch die kleineren Partner, die heute von eurer ERP-Software leben, daran denken, Hoster zu werden. Oder sollten sie doch für die Zukunft andere Wege suchen?
Nein, sie sollten unbedingt darüber nachdenken. Die Plattform ist einfach genug. Wir mögen Vielfalt und wir haben verschiedenste Reseller.
Es wird sicher eine Art Megahoster geben. Das heisst aber nicht, dass andere Leute die Services nicht auch verkaufen oder wiederverkaufen werden.
Zu guter Letzt: Wird es auch von Microsoft eine Internet-Plattform geben, auf der Zusatzlösungen von Partnern vertrieben werden, sei es für bestehende oder zukünftige Microsoft-Software, wie das zum Beispiel Salesforce.com schon macht? Dadurch würde ja auch die Konkurrenz unter Partnern wesentlich globaler?
Wir unternehmen gerade eine grosse Anstrengung spezifisch im ERP-Bereich, um einen solchen virtuellen Marktplatz zu schaffen. Er heisst "Solution Finder"
Solution Finder soll Partner mit Partnern, Partner mit Kunden und Kunden untereinander verbinden und im Prinzip eine Community schaffen. Wir haben darauf momentan etwa 2000 Lösungen und streben 15000 Lösungen an, die auf unseren ERP- und CRM-Lösungen aufsetzen.
An unserer weltweiten Partnerkonferenz im Juli werden wir Solution Finder in einem grösseren Rahmen der Presse und Analysten zeigen. (Interview: Hans Jörg Maron)

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