Vor knapp
fünf Jahren behauptete ich "Uns werden mit der Digitalisierung die Jobs ausgehen" und äusserte mich schon zu diesem Zeitpunkt komplett gegen den Trend. Damals getraute ich mich allerdings noch nicht, auch die IT jobmässig vom Aussterben bedroht zu erklären. Mittlerweile bin ich aber davon überzeugt, dass auch in unserer Branche in Zukunft viele Stellen verloren gehen werden. Wenn auch in zwei Lagern: Mit wenigen Gewinnern und vielen Verlierern. Doch dazu später mehr.
Aktuell ist die Sachlage hingegen diametral anders: Alle suchen händeringend nach IT-Fachpersonal. Egal ob IT-Dienstleister oder Software-Unternehmen, ob Firmen und Organisationen in der "freien" Wirtschaft oder im öffentlichen Sektor. Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem, was zu steigenden Löhnen und zu mehr oder weniger aggressiven Bewerbungs- und Abwerbungsaktionen auf dem Arbeitsmarkt führt. So vermeldete etwa der
'Tagesanzeiger' in der vergangenen Woche "Tech-Giganten angeln sich die Talente und zahlen Spitzensaläre" und provozierte damit – wie nicht anders zu erwarten war – einen Sturm von kontroversen und oftmals auch hilflosen Kommentaren.
Bis 2028 fehlen zusätzliche 120'000 ICT-Fachkräfte
Auch die Mittelfristprognosen sehen nicht besser aus. So geht etwa ICT-Berufsbildung Schweiz davon aus, dass bis 2028 insgesamt zusätzliche fast 120'000 ICT-Fachkräfte benötigt werden und korrigiert damit ältere Vorhersagen sogar
noch weiter nach oben. Auch wenn ich diese Prognose nicht teile, sie steht aktuell im Raum und bildet damit den Rahmen für politische und unternehmerische Entscheidungsfindung.
Momentan und auch in näherer Zukunft wiegt der Mangel an IT-Fachkräften also schwer und wird damit zum Wachstumsengpass Nummer 1. Nicht-IT-Firmen versuchen diesen Engpass durch Outsourcing an IT-Dienstleister zu entschärfen. Diese wiederum sehen sich also mit steigender Nachfrage nach ihren Dienstleistungen konfrontiert, würden diese natürlich auch gerne befriedigen, scheitern aber nicht selten am ebenfalls fehlenden Fachpersonal. Von zahlreichen IT- und Softwarefirmen habe ich in den vergangenen Monaten vernommen, dass sie deutlich mehr Projekte umsetzen und Kunden bedienen könnten, wenn sie denn die dafür nötigen Mitarbeitenden hätten. Auch wenn eine gute Positionierung im Mitarbeitermarkt mit klarer Vision und Vermittlung einer "höheren Sinnhaftigkeit" für die Rekrutierung hilfreich sind und durchaus Wettbewerbsvorteile verschafft, der Mangel ist oftmals so akut, dass auch dies nicht mehr die gewünschte Entspannung bringt.
Ab 2030 wendet sich das Blatt und viele Stellen gehen verloren
In absehbarer Zeit wird sich dieser Zustand drehen. Nicht, dass die Unternehmen weniger IT machen werden, im Gegenteil, sie werden gezwungenermassen noch deutlich mehr IT- und Digitalisierungsprojekte lancieren. Allerdings wird es immer weniger IT-Fachleute benötigen, um die so geschaffenen IT-Infrastrukturen betreiben zu können. Und der Grund dafür ist derselbe, den ich bereits im Januar 2017 ins Feld führte: Auf künstlicher Intelligenz basierende Software-Roboter. Nicht dass es die heute nicht schon gäbe – ganz besonders im Bereich von IT-Routine- und -Überwachungsaufgaben – es werden einfach noch deutlich mehr sein und sie werden auch deutlich mehr können.
Getrieben durch die technologische Entwicklung werden KI-gestützte Roboter wesentlich autonomer als heute funktionieren und ganze Netzwerke mit allen dafür nötigen Diensten vollautomatisch operativ betreiben können, und zwar von A bis Z, ohne dass dafür noch ein Mensch notwendig sein wird. Einzig für die "manuellen" Erweiterungen und Anpassungen wird es noch IT-Leute brauchen. Ob dafür allerdings noch viel IT-Knowhow notwendig ist, wage ich infrage zu stellen.
Der andere, wahrscheinlich sogar noch stärkere Treiber dieser Entwicklung, werden die Marktkräfte selbst sein. So wurden und werden noch heute oftmals Digitalisierungs- und Optimierungsprojekte vor allem deswegen nicht umgesetzt, weil man (aus welchen Gründen auch immer) die damit verbundenen Arbeitsplatzverluste vermeiden will. Ist dieser Druck aber auf weg, weil durch die Projekte niemand seinen Job verliert, den er vorher gar nie hatte, so wird es kein Halten mehr geben. So bin ich überzeugt, dass gerade jetzt in diesem Moment überall fieberhaft an KI-technischen Lösungen gearbeitet wird, um viele Fachjobs in heute noch unbekanntem Mass zu automatisieren. Angefangen bei der Buchhaltung, über die Sachbearbeitung in Versicherungen und Banken, über die Steuerung von Einstellungsprozessen in Unternehmen, sogar über die Steuerung ganzer Unternehmen selbst bis eben hin auch zu vielen IT-Jobs, die heute noch weitgehend von IT-Fachpersonen erledigt werden.
KI killt in der IT abertausende Arbeitsplätze
Zusammengefasst heisst das: KI wird auch in der IT massenhaft Arbeitsplätze ersetzen. Und zwar insbesondere die abertausenden von Standard-IT-Jobs. Jobs in der Spitzen-IT hingegen, beispielsweise in den Bereichen Analyse und Konzeption, IT-Strategie, komplexer Lösungsfindung, IT-Innovation etc., werden weiter zunehmen. Das Dumme ist bloss: Genauso wenig wie ein durch KI arbeitslos gewordener Lagermitarbeiter kaum zu einem Software-Entwickler umgeschult werden kann, werden auch die vielen durch KI arbeitslos gewordenen Standard-IT-Fachleute nicht zu IT-Beratern, IT-Problemlösern oder sonstigen IT-Experten entwickelt werden können.
Ich bin kein Hellseher und weiss natürlich nicht, wann die grosse Trendwende kommen wird. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass um das Jahr 2030 bereits ein signifikanter Teil der vielen IT-Routinejobs durch Softwareroboter automatisiert sein wird, so dass dafür kaum noch Personal notwendig sein wird. Spätestens dann ist der breitflächige Fachkräftemangel in der IT Geschichte. Und es wird ihn nur noch im Bereich der Spitzen-IT geben.
Urs Prantl war über 20 Jahre als Softwareunternehmer tätig. Seit 2012 begleitet er IT- und Software-Unternehmen auf ihrem Weg zu nachhaltig gesundem Wachstum und ist als M&A-Transaktionsberater in Nachfolgesituationen tätig. Er äussert als Kolumnist für inside-channels.ch seine persönliche Meinung.