Die Regulierungswut treibt weiterhin seltsamen Blüten. So berichtet die 'NZZ am Sonntag' in einem Beitrag mit dem Titel "Nach der Zahnbürste auch der Chef: Nun kommt die ISO-Norm für Manager" von der kurz bevorstehenden Verabschiedung von ISO 37000, der ISO-Norm für "Governance of Organisations". Die neue Norm soll sicherstellen, dass Organisationen – und dort primär ihre Manager – künftig im Interesse der ganzen Gesellschaft handeln. "Die Führung muss de facto Rechenschaft über ihr ökologisches, soziales und ethisches Verhalten ablegen",
erklärt der Initiator im Beitrag. Ziel der neuen Norm sei unter anderem, den schleichenden Vertrauensverlust der Bürger in die Wirtschaft zu stoppen. Dazu können weltweite Standards wie eben die neue ISO-Norm einen wichtigen Beitrag leisten, wird weiter ausgeführt. "Sie führen zu mehr Transparenz und einer besseren Kontrolle. Das sorgt dafür, dass die Chefs ihre Aufgaben genau kennen und die damit verbundene Verantwortung effektiv wahrnehmen". Wie bei ISO 9001 auch, wird natürlich die Teilnahme an ISO 37000 freiwillig sein.
Die Krönung des Beitrags ist dann die kühne Behauptung: "Erstmals existieren einheitliche Prinzipien, welche die soziale und ökologische Verantwortung der Führungspersonen klar festhalten" und damit eine klare Handlungsanweisung an richtiges und gutes Management in Unternehmen.
Die Macher der neuen ISO-Norm glauben offensichtlich, dass sich Manager künftig im Sinne der Regeln und Prinzipien von ISO 3700 verhalten werden. Also Führung aus dem Handbuch.
Mit Verlaub, das ist kompletter Unsinn. Das Verhalten von Führungspersonen (positiv wie negativ) wird – und wurde schon immer – in erster Linie von ihren inneren Überzeugungen, ihren Werten und ihrem Weltbild geprägt. Handbücher, Reglemente und Betriebsanweisungen werden bestenfalls in Fragen der Ausführung konsultiert, und deswegen noch lange nicht auch befolgt. Die wichtigen, wegweisenden und grundsätzlichen Entscheidungen, ganz besonders diejenigen in Fällen hoher Unsicherheit und Dringlichkeit, folgen aber dem inneren Kompass des Handelnden und nicht irgendeiner ISO-Norm. Ich sehe nicht ein, wieso sich dies künftig ändern sollte. Denn es liegt ganz einfach in der Natur des Menschen, dass er sich in intuitiv durch seine Überzeugungen leiten lässt.
Die Frage ist also vielmehr, wie kommt dieser innere Kompass des Managers zustande? Und, wie kann sichergestellt werden, dass er das gewünschte Verhalten auslöst? Ein Verhalten, welches – wie die ISO-Norm 37000 bezweckt – sicherstellt, dass Unternehmen und Organisationen im Interesse der ganzen Gesellschaft handeln.
Der innere Kompass des Managers und eigentlich von uns allen wird im Laufe unseres Lebens und unserer beruflichen Karriere ausgebildet. Dazu tragen bei.
Sicher unsere Kindheit, unsere Erziehung und unser Elternhaus.
Weiter spielt unsere berufliche Grundausbildung eine entscheidende Rolle. Sie hat nämlich die Chance, uns als noch "unverbrauchte Berufsleute" mit grundlegenden Prinzipien von "Wirtschaft" und deren Sinn und Zweck zu "impfen". Immer wieder stelle ich in meinen Workshops fest, dass beispielsweise Betriebswirtschafter vollkommen anders denken (und faktisch dann auch handeln) wie Physiker oder Mathematiker, oder wie Juristen, oder wie Informatiker usw.
Ebenfalls stark prägend wirken die ersten Jahre der Berufserfahrung und berufliche Zeitabschnitte, in welchen wir grosse Probleme oder grosse Herausforderungen meistern und zu diesem Zweck unsere Komfortzone verlassen mussten. Nicht selten haben in diesen Phasen die ersten Chefs einen wichtigen positiven wie auch negativen Einfluss.
Daraus folgt: Wer in seiner beruflichen Ausbildung oder in seinen ersten Berufsjahren über Wirtschaft lernt, dass der erste Zweck eines Unternehmens die (kurzfristige) Gewinnmaximierung und damit die Steigerung des Shareholder Values ist, der wird auch in Zukunft mit der besten ISO-Norm nicht plötzlich im Interesse der ganzen Gesellschaft denken, geschweige denn, so handeln. Wer weiter in seinem Leben gelernt hat, dass ihn vor allem Konkurrenzdenken und Egoismus weiterbringen, auch der wird mit der besten ISO-Norm nicht im Sinne der ganzen Gesellschaft agieren, sondern primär zu seinem eigenen Vorteil. Witziger weise wird dieses Beispiel im oben erwähnten Artikel der 'NZZ' im Falle der Credit Suisse als Exempel dafür angeführt, wie ISO-Normen solche gigantischen Fehlleistungen in Zukunft verhindern könnten.
Das Grundproblem liegt also bei den vorherrschenden Vorstellungen über Wirtschaft und dem Sinn und Zweck von Unternehmen. Sie prägen über Bildung und Erfahrung die inneren Kompasse der Führungspersonen. Soll daher das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaft wieder hergestellt und nachhaltig gestärkt werden, so muss der Hebel auch dort – und nicht bei ISO – angesetzt werden.
Im Ergebnis geht es darum, zwei entscheidende Weichenstellungen vorzunehmen:
- Erstens: "Wirtschaft" ist kein Selbstzweck, sie sollte ausschliesslich uns Menschen dienen und nicht umgekehrt. Folgerichtig dürfen Menschen auch nicht für wirtschaftliche Zwecke instrumentalisiert werden.
- Zweitens: Der erste Zweck eines Unternehmens ist, für seinen Kunden einen möglichst hohen Mehrwert zu schaffen und sie zu zufriedenen Kunden zu machen. Alles andere – Gewinn und Wertsteigerung – sind alles bloss Folgen davon.
Die Beurteilung, wo wir in diesen beiden Fragen stehen, überlasse ich gerne jedem selbst.
Urs Prantl war über 20 Jahre Softwareunternehmer. Seit 2012 begleitet er IT- und Software-Unternehmen auf ihrem Weg zu nachhaltig gesundem Wachstum und ist als M&A-Transaktionsberater in Nachfolgesituationen tätig. Er äussert als Kolumnist für inside-channels.ch seine persönliche Meinung.