Hand aufs Herz. Wie oft haben Sie schon einen tollen Hecht (meistens sind das ja Männer und eher selten Frauen) mit einer Liste von beeindruckenden Diplomen und Titeln engagiert, der sich nachträglich als Niete entpuppte? Ich behaupte, das ist auch Ihnen schon einige Male passiert. In meiner eigenen Karriere als Unternehmer blicke ich jedenfalls auf ein paar solcher Fälle zurück, wenn sie auch mittlerweile schon mehr als zehn Jahre zurückliegen.
Doch, wieso ist das so?
Das liegt primär an der Papierligläubigkeit vieler Chefs und HR-Abteilungen und dem damit verbundenen Missverständnis, dass dokumentiertes Wissen in Form von Diplomen und Zertifikaten vor falschen Einstellungsentscheidungen schützt. Kommt hinzu, dass wir nicht selten davon überzeugt sind, ein guter Job macht sich primär mit dem richtigen Wissen. So nach dem Motto, wer viel weiss, kann auch viel. Meine Erfahrung sagt jedoch etwas völlig anderes.
Ein grosser Teil der Ausbildungs- und Weiterbildungs-Papierli, die nicht selten auch voller Stolz auf Linkedin präsentiert werden, sind weitgehend Mogelpackungen. In den vergangenen Jahrzehnten ist dazu nämlich eine gigantische Weiterbildungsindustrie entstanden, die primär davon lebt, seinen Absolventen Diplome zu verleihen. Im Wissen um die hohe Bedeutung im Einstellungsprozess wird auch heftig damit geworben. Was dazu führt, dass indirekt das Diplom zum Ziel und vor allem zum eigentlichen Zweck der Weiterbildung erhoben wird. So sieht es oft auch der Weiterbildungsabsolvent selbst, mit dem Ergebnis, dass er die hohen Gebühren auch nur dann zu zahlen bereit ist, wenn er sein Diplom so gut wie auf sicher hat. Die Weiterbildungsinhalte und die Eignung des Absolventen, diese auch wirklich zu verstehen, so dass sie danach in der Praxis adäquat angewendet werden können, sind meist sekundär. Oder simpel ausgedrückt: Das Diplom bekommt (fast) jeder, egal wie dämlich er sich in der Weiterbildung anstellt. Abgesehen davon garantiert eine fachliche Weiterbildung noch lange nicht, dass der Absolvent das Thema auch wirklich begriffen hat. Es beweist bloss eines. Er hat die Kursgebühren bezahlt. Dieses Muster findet sich nicht nur bei den schwarzen Schafen in der Weiterbildungsbranche, sondern auch bei renommierten Instituten. Auch mein eigener MBA gehört in diese Kategorie, denn die dafür nötigen Prüfungen waren so angelegt, dass man sie gar nicht, nicht bestehen konnte.
Gehen wir nun aber mal davon aus, das Diplom hält wissenstechnisch das, was es verspricht. Es hat zwar viel gekostet, der Absolvent wurde aber auch tatsächlich gefordert und hat es nicht einfach "geschenkt" bekommen. Er hat sich also einiges an Wissen aneignen müssen. Trotzdem scheitert er in seinem neuen Job! Wie kann das sein?
Wer viel weiss, kann eben noch lange nicht viel. Im Gegenteil, oftmals verhält es sich sogar umgekehrt proportional: Wer viel weiss, kann dafür nicht viel. Dahinter stecken zwei Phänomene. Beide gilt es im Einstellungsprozess zu erkennen, will man als Chef nicht in die Falle tappen.
Es gibt Leute, die sammeln Papierli um der Papierli willen. Sie absolvieren also eine Weiterbildung nach der anderen und bauen sich auf diese Weise ein beeindruckendes Curriculum auf. Einerseits, weil sie gelernt haben, dass Chefs (bzw. das HR) darauf abfahren, nicht selten aber auch deswegen, weil sie (intuitiv) wissen, dass sie wenig bis nichts können. Sie kompensieren also ihr Nicht-Können durch ein Viel-Wissen.
Wissen und Können sind eben zwei völlig unterschiedliche Fähigkeiten, insbesondere in den eher "soften" Unternehmensdisziplinen. Wer dutzende von Führungs- und Leadership-Büchern oder Werke über Business Development etc. gelesen – und möglicherweise sogar verstanden – hat, hat noch längst keine Garantie dafür, seine PS auch auf die Strasse bringen zu können. Denn dazu braucht es Eigenschaften, die in der Weiterbildung gar nie vorkamen: Intuition, Empathie, Disziplin und Durchhaltevermögen, Blick für das Wesentliche, Konzentrationsfähigkeit, Mut und Risikobereitschaft, innere Motivation, Neugier – um nur einige wenige davon zu nennen. Wem also die für seinen Job wesentlichen Eigenschaften, die mit einfachem Wissen nicht kompensiert werden können, fehlen, der wird als die oben genannte Niete enttarnt und – je nach Unternehmens- und Führungskultur – entweder früher oder später aus dem Unternehmen entfernt werden. Oder – als Alternative – er lernt die nötigen soften Kompetenzen extrem schnell und nimmt damit sein Schicksal in die eigenen Hände.
Systematisch betrachtet lassen sich vier Typen unterscheiden:
Viel wissen, wenig können: Diesen Typ habe ich oben ausführlich analysiert.
Viel wissen, viel können: Das sind die Top Shots, die wir alle gerne hätten. Oftmals aber nicht bereit sind, dafür zu bezahlen. Obwohl sie eigentlich unbezahlbar sind, denn die anderen dahin zu bringen, kostet meist ein x-faches mehr.
Wenig wissen, viel können: Getreu dem Motto "Hire for attitude, train for skills" sind diese Leute nach den Top Shots die zweite Wahl. Sie können meist mit weniger Aufwand und Kosten so entwickelt werden, dass sie für das Unternehmen extrem wertvoll werden. Das Dumme ist bloss, sie sind mangels Papierli im Bewerbungsprozess nicht so rasch als solche erkennbar. In ihre Findung muss deutlich mehr Zeit und Energie investiert werden. By the way – bei diesen Mitarbeitenden lohnt sich eine qualitativ gute fachliche Weiterbildung oft am meisten.
Wenig wissen, wenig können: Von diesen Leuten sollten Sie die Finger lassen, besonders dann, wenn diese auch noch stolz darauf sind.
Wer übrigens einen objektiveren Beitrag zu diesem Thema sucht (wenn auch mit der gleichen Grundaussage), dem empfehle ich den Artikel "Zettelwirtschaft" vom 25. Mai dieses Jahres
in der 'Republik'. Urs Prantl war über 20 Jahre Softwareunternehmer. Seit 2012 begleitet er IT- und Software-Unternehmen auf ihrem Weg zu nachhaltig gesundem Wachstum und ist als M&A-Transaktionsberater in Nachfolgesituationen tätig. Er äussert als Kolumnist für inside-channels.ch seine persönliche Meinung.