Prantl behauptet: Konso­lidierungs­welle in der Schweizer IT-Branche rollt­

27. August 2018 um 11:01
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Kolumnist Urs Prantl über die Gründe, Hoffnungen, Fehlüberlegungen und Naivität bei Firmenverkäufen.

Die Konsolidierungswelle in unserer Branche gewinnt (gefühlt) deutlich an Dynamik. Vier Beispiele in diesem Jahr belegen meinen Eindruck – und sie sind wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Acommit wird gleich zu Jahresbeginn an Bechtle verkauft.
Ich bin überzeugt, diese – und die meisten uns (noch) nicht bekannten – Übernahmen haben wenig bis nichts mit Wettbewerbsdruck zu tun. Im Gegenteil. IT-Projekte sind aktuell und auch in absehbarer Zukunft mehr als genug für alle vorhanden. Der Grund für die zunehmende Zahl an Verkäufen von KMU IT-Unternehmen liegt vielmehr im Verkaufsdruck der Inhaber. Ein Verkaufsdruck, der in den kommenden Jahren deutlich zunehmen und damit die Konsolidierung spürbar anheizen wird. Ein Verkaufsdruck, der notabene einer klaren Logik folgt.
Es herrscht hoher Verkaufsdruck
Viele IT-Buden wurden vor 20 bis 30 Jahren gegründet und werden nach wie vor von den, mittlerweile schon in die Jahre gekommenen, Gründern geführt. Diese stehen jetzt mehr oder weniger kurz vor ihrem Ruhestand und suchen Nachfolger für ihr Geschäft. Solche Firmen gab es zwar immer schon, sie nehmen aber zahlenmässig deutlich zu. Ich kenne selbst viele solcher Fälle.
Die zweite Erklärung für den zunehmenden Verkaufsdruck liegt darin, dass aktuell viele IT-KMU mit einer Strategiekrise kämpfen, die sie aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen können oder wollen. Die Inhaber sind ausgebrannt, auch wenn sie sich dies selbst oft nicht eingestehen, die Unternehmen befinden sich organisatorisch und führungsmässig in einer Sackgasse und – last but not least – ihre Produkte (sofern sie selbst welche entwickelt haben) sind End of Life und müssten mit Millionen revitalisiert oder besser noch, komplett neu gemacht werden.
Die Strategiekrise tritt übrigens häufig gemeinsam mit dem oben erwähnten Nachfolgewunsch auf, beziehungsweise der Nachfolgewunsch ist (wenigstens teilweise) eine direkte Folge der Strategiekrise.
Bexio ist da sicher eine Ausnahme und folgte beim Verkauf an die Mobiliar einer anderen Logik. Dort wurde offensichtlich schon früh beschlossen, dass das Unternehmen dem Zweck "Verkauf" zu folgen hat. Mit Nachfolge oder Strategiekrise (ich meine bei Bexio, nicht bei der Mobiliar!) hatte das nichts zu tun.
Chancen für Verkäufer und Käufer
Für gut aufgestellte IT-Firmen, die (auch über Akquisitionen) wachsen wollen und für Unternehmensinhaber gut geführter Firmen, die aussteigen wollen, sind das "good News" und oftmals auch einmalige Chancen. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die eigenen Hausaufgaben gemacht wurden.
So dürfen Verkäufer keine "verbrannte Erde" hinterlassen, wollen sie einen vernünftigen Preis für Ihr Unternehmen lösen oder nicht gleich ganz auf ihrer Firma sitzen bleiben. Ihre Strategiekrisen sollten sie vorgängig selbst lösen oder wenigstens soweit vorspuren, dass eine Lösung in Sichtweite ist.
Wohingegen Käufer sich nicht in die eigene Tasche lügen und genau hinsehen müssen, bevor sie sich eine "halb tote" Firma zulegen. Auch wenn sie vermeintlich billig ist.
Worauf insbesondere Käufer achten müssen
Grundsätzlich ist Wachstum über eine Akquisition für strategisch gut positionierte IT-KMU durchaus eine prüfenswerte Ergänzung zur eigenen organischen Entwicklung. Damit es mit einer Akquisition klappt, müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt sein.
Das eigene Geschäft muss im Griff und stabil sein. Es braucht eine Strategie mit daraus erwachsenden Erfolgen, eine funktionierende Führungs- und Unternehmenskultur und eine klare Vorstellung, was mit der Akquisition für Kunden bezweckt werden soll.
Es braucht ausreichend Management- und Führungskapazitäten für die Bewältigung der Integration. Auch wenn das gekaufte Unternehmen nicht eingegliedert werden soll, so muss es doch vom Käufer mitgeführt werden.
Das zu kaufende Unternehmen muss auch "passen". Den Massstab für die Passgenauigkeit würde ich dabei hoch ansetzen. Zusätzlich empfiehlt sich, diesen Massstab allgemein zu definieren und ihn als festen Bestandteil in die Strategie aufzunehmen.
In die Prüfung muss viel Zeit und Energie, sprich Sorgfalt, investiert werden. Die Chemie aller Beteiligten sollte stimmen, es muss Vertrauen aufgebaut und das zu kaufende Unternehmen muss sauber geprüft werden. Kaum eine Firma, die nicht einige Leichen im Keller hat.
Selbstverständlich muss der Preis stimmen, auch wenn dies nicht das wichtigste Kriterium ist. Denn der kann durchaus höher sein, wenn dafür die Wahrscheinlichkeit einer erfolgversprechenden Integration überdurchschnittlich hoch ausfällt. Gescheiterte Übernahmen – auch wenn der Preis tief war – kosten deutlich mehr.
Für alle oben beschriebenen Voraussetzungen kenne ich einige Negativbeispiele, die zum Scheitern der Übernahme führten. Nicht immer im Sinne einer Rückabwicklung, aber im Sinne von enormen Kosten in Form von Geld, Kultur- und Vertrauensverlust.
Übernahmen haben (mittelfristig) immer einen Komplettumbau zur Folge
Christoph Hugenschmidt schreibt bezeichnenderweise in seinem Kommentar zur Übernahme von Ruf durch Axians IT&T: "Übernahmen von Software-Herstellern sind heikel. Kunden mögen sie nicht, denn sie fürchten, zu einer Migration mit all den Ungewissheiten und Kosten gezwungen zu werden. Und die kostbaren Mitarbeiter, besonders die gesuchten Entwickler und Verkäufer, haben Angst davor, "ihr Baby" könnte zu wenig Aufmerksamkeit bekommen, abgelöst werden oder sie könnten im Job-Roulette als Verlierer dastehen."
Genau deswegen heisst es in den Medienmitteilungen bei Übernahmen auch regelmässig, dass Produkte selbstverständlich weitergeführt und weiterentwickelt werden, dass sich übernommene Kunden auf Kontinuität verlassen können, so dass alle Mitarbeitenden weiterbeschäftigt werden, dass die Führung bleibt wie sie war und überhaupt, dass sich eigentlich eh nichts ändern wird.
Wer das glaubt, ist allerdings komplett naiv. Denn der Käufer verfolgt ja mit seiner Übernahme einen Zweck und grundlegende Veränderungen, sonst hätte er nicht gekauft. Ergo wird sich bei allen Dingen – bei den Produkten, den Geschäftsfeldern, den Mitarbeitenden, beim Management etc. – sehr viel ändern müssen. Es ist bloss eine Frage der Zeit, so auch im jüngsten Fall "Ruf Informatik". (Urs Prantl)
Urs Prantl (55) arbeitete über 20 Jahre als Softwareunternehmer. Mit seiner Mission „wir kreieren zukunftssichere Unternehmen“ begleitet er als Strategiementor seit Ende 2011 KMU-Unternehmer aus der ICT auf ihrem Weg in eine selbstbestimmte und erfolgreiche unternehmerische Zukunft. Er äussert als Kolumnist für inside-channels.ch seine persönliche Meinung.

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