

Stadtzürcher Software-Debakel: "Neustart" solls doch noch richten
29. August 2011 um 13:39Fast fünf Jahre Verspätung, fast dreimal so teuer wie gedacht: Nach langer Leidenszeit soll die neue Software des Sozialdepartements doch noch zurechtgehämmert werden. Bedag ersetzt Born Informatik.
Fast fünf Jahre Verspätung, fast dreimal so teuer wie gedacht: Nach langer Leidenszeit soll die neue Software des Sozialdepartements doch noch zurechtgehämmert werden. Bedag ersetzt Born Informatik.
Mit einem Artikel von heute hat der 'Tages-Anzeiger' wieder einmal ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht, wie ungemein schief das 2006 mit grossen Hoffnungen lancierte Softwareprojekt "FAMOZ" bisher gelaufen ist, beziehungsweise dass hier tatsächlich "Millionen wegprogrammiert" wurden, wie der 'Tagi' titelt. Dass Zürcher Politiker von links bis rechts nicht gerade erfreut reagieren, wie im 'Tagi' nachzulesen ist, ist wohl selbstverständlich.
Der Stadtrat hat kürzlich das Projektbudget um weitere 6 Millionen Franken aufgestockt. Damit soll die bisher klar unbefriedigend laufende Software grundlegend umgebaut werden, so dass das Sozialdepartement gegen Ende 2012 doch noch mit einer Fachapplikation arbeiten kann, welche die Versprechungen, die eigentlich schon Anfang 2008 hätten eingelöst werden sollen, zumindest weitgehend erfüllt. Die Gesamtkosten seit Anfang des Projekts sollen sich dann auf 29,3 Millionen Franken belaufen. Ursprünglich waren 11,4 Millionen Franken budgetiert.
Vorgeschichte
Unter dem Projekttitel "Fallmanagement Modell Zürich" (FAMOZ) sollte eine Applikation entwickelt werden, um vier alte, für die Fallführung und Klientenbuchhaltung im Sozialdepartement eingesetzte Systeme zu ersetzen. Die Ziele waren unter anderem eine Verringerung der Kosten für Wartung und Betrieb, sowie eine effiziente und revisionsfähige Führung der Fälle. Die Stadt entschied sich für ein System bestehend aus der Software KiSS ("Klienteninformations-System für die Sozialarbeit") des Berner Unternehmens Born Informatik für die Fallführung sowie SAP PSCD für die Klientenbuchhaltung. Gewonnen wurde das Projekt von Mummert Consulting (heute Exsigno) als Generalunternehmer sowie Born informatik und asem Group als Subunternehmen.
Schon kurz nach der Einführung Anfang 2008 wurde klar, dass das neue System erhebliche Mängel aufwies und keines der grundlegenden Ziele erreicht werden konnte. Die Mängel zwingen Mitarbeitende unter anderem bis heute dazu, unter hohem Aufwand "Umgehungslösungen" zu verwenden, um ihre Arbeit ausführen zu können.
Im September 2009 hatten die Verzögerungen und Kostenüberschreitungen im Projekt FAMOZ erstmals hohe Wellen in der Öffentlichkeit geworfen. Damals rechnete man aber noch mit Gesamtkosten von 20,3 Millionen Franken und einer Fertigstellung im Jahr 2010. Diese nach einem ersten Projekt "Turnaround" (Kostenpunkt 3,4 Millionen Franken) erstellte Prognose wurde aber schnell wieder fallengelassen.
Neue Systemarchitektur, neu designte Prozesse
Bei Drittunternehmen in Auftrag gegebene Analysen kamen zum Schluss, dass blosse Retouchen an der bestehenden Software nicht ausreichen würden. Stattdessen sei ein Umbau und eine Vereinfachung der Systemarchitektur sowie ein Redesign der Prozesse notwendig – kurz, ein "FAMOZ2". Für Voranalyse, Initialisierung und Konzeptphase des Projekts FAMOZ2 bewilligte der Stadtrat schon im Dezember 2009 zusätzliche 6,4 Millionen Franken. Schon damals wurde zudem mit den weiteren 6 Millionen Franken an Kosten für die eigentliche Umsetzung gerechnet, die nun bewilligt wurden. Zusammen mit bereits im April bewilligten 1,5 Millionen Franken für zusätzliche Eigenleistungen der Stadt sowie 600'000 Franken für ein Data-Warehousing-System läppert sich dies alles zur erwähnten Summe von 29,3 Millionen Franken zusammen.
Nach weiteren Verzögerungen – unter anderem fiel der ursprüngliche Projektleiter Anfang 2010 wegen einer Krankheit aus – wurde die eigentliche Realisierung von "FAMOZ", mittlerweile unter dem Projektnamen "ELUSA" (Elektronisch unterstützte soziale Arbeit) laufend, erst vor wenigen Wochen in Angriff genommen. Der Abschluss der Entwicklungsarbeiten ist laut Stadtratsprotokoll von Mitte Juli auf Ende Juni 2012, die Einführung auf Oktober 2012 und der endgültige Projektabschluss auf März 2013 geplant.
HERMES und SCRUM
Beim Projekt ELUSA wird nun die Projektmanagementmethode "HERMES" mit der "agilen" Softwareentwicklungsmethodik SCRUM kombiniert werden. Unter anderem soll eine modernisierte Softwarearchitektur von KiSS und dessen neuem Modul WSH (Wirtschaftliche Sozialhilfe) sowie eine angepasste Schnittstelle zu SAP PSCD eine durchgängige ordnungsgemässe und revisionssichere Geschäftsführung sowie Verbesserungen im Berichtswesen und der Datenqualität bringen. Die Modernisierung soll zudem verhindern, dass bei künftigen Releases weiterhin gehäuft die in der Softwareentwicklung allseits gefürchteten unerwarteten Nebeneffekte ("Side Effects") auftreten.
Einige Teile des ursprünglichen Projekts (umfassende Umsetzung der Themen Aktenführung und Dokumentenmanagement sowie die applikatorische Optimierung der Klientengeldverwaltung) wurden aber auch gestrichen, um wenigestens nun eine fristgerechte Fertigstellung realistisch zu machen.
KiSS neu bei Bedag
Gleichzeitig hofft man mit WSH einen Standard zu setzen, der auch von anderen Sozialämtern ausserhalb von Zürich benützt werden könnte.
KiSS befindet sich derweil allerdings nicht mehr im Besitz von Born-Informatik. Die Standardsoftware wurde per Anfang August – inklusive allen FAMOZ-Projektmitarbeitenden – von Born an den auf Behörden spezialisierten Berner IT-Dienstleister Bedag Informatik verkauft. Dem Projekt ELUSA, so heisst es im bereits erwähnten Stadtratsprotokoll, verleihe diese neue Ausgangslage "mehr Stabilität, eine höhere Verfügbarkeit von personellen Ressourcen lieferantenseitig sowie eine attraktivere Zukunftsperspektive." (Hans Jörg Maron)
(Foto: Hat eigentlich keinen Zusammenhang, aber in den Zeiten des harten Frankens wollen auch wir etwas für den Tourismus tun. Foto: Stephanie Klocke.)
Loading
Smart City Lab Basel macht dicht
Die Schliessung ist planmässig. Das Projekt sei ein Erfolg gewesen, sagen die SBB und der Kanton Basel-Stadt.
Wo stehen die Schweizer Parteien digitalpolitisch? Der "Digitalisierungsmonitor" gibt Auskunft
Nach dem Vorbild von Smartvote lassen sich im "Digital Monitor" Profile der Kandidierenden und ihre digitalpolitische Haltung vergleichen. Mitinitiant Daniel Schwarz gibt in einem Gastbeitrag Einblicke in die Resultate der Wahlhilfe.
Glarus sucht CIO
Pierre Rohr wird pensioniert. Seine Nachfolge soll im Frühling die Leitung der Glarner IT-Hauptabteilung übernehmen.
Nationalrat spricht 28 Millionen für digitalen Justizbetrieb
Die grosse Kammer ist für eine verstärkte Digitalisierung in der Justiz. So sollen durchgängig digitale und medienbruchfreie Verfahren möglich werden.