

Verwaltungs-IT muss aus dem Dornröschenschlaf erwachen
28. Juni 2012 um 07:55Wenn innerhalb von Verwaltungen die Kontrolle versagt, passieren Informatik-Debakel wie "Insieme". IT Governance muss neu und konsequenter aufgezogen werden, damit Fehler früher erkannt werden, schreibt Konrad Walser in einem Gastbeitrag.
Wenn innerhalb von Verwaltungen die Kontrolle versagt, passieren Informatik-Debakel wie "Insieme". IT Governance muss neu und konsequenter aufgezogen werden, damit Fehler früher erkannt werden, schreibt Konrad Walser in einem Gastbeitrag.
Wie im Beitrag "Warum IT-Projekte in der Öffentlichen Verwaltung scheitern" erläutert wurde, muss sich die Öffentliche Verwaltung bezüglich IT Governance neu positionieren und durchaus auch neue, unkonventionelle Wege beschreiten. Dies kann aus Sicht der Projekt-Governance etwa durch die Neudefinition von "Checks and Balances" zwischen den an Projekten beteiligten Stellen erfolgen, das heisst zwischen der Verwaltungsgeschäftsleitung, der das Projekt initiierenden Fachabteilung, der Finanzabteilung und der Projektleitung. Typischerweise finden IT-Projekte im Rahmen von E-Government und E-Health nicht mehr nur im Bundesumfeld sondern quer über Bund, Kantone und Gemeinden und Privatwirtschaft statt. Dies bringt besondere Herausforderungen für die IT Governance mit sich. Der Rahmen der überschaubaren Verwaltungseinheit wird deutlich überschritten.
Wie der aktuelle Fall "Insieme" bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung zeigt, spielen gewisse Mechanismen zur Führung von (IT-)Projekten der Öffentlichen Verwaltung mehr oder weniger gut. Auf Bundesebene ist unlängst und aufgrund des erwähnten aktuellen Falls die Finanzdelegation der Eidgenössischen Räte aktiv geworden. Innerhalb der Verwaltung hat die Eidgenössische Finanzkontrolle und haben andere interne Revisionsstellen ihre Arbeit getan, ihre Meldungen abgesetzt, ohne dass in den entsprechenden Führungsgremien (in früheren Phasen) frühzeitig und beherzt gehandelt worden wäre. Dies hängt ganz klar mit der mangelnden Bedeutung der IT in der Öffentlichen Verwaltung zusammen, vielleicht auch mit einem mangelnden Verständnis für die nicht immer ganz einfache Materie IT auf der Geschäftsleitungsebene. Einem Business-IT-Alignment mit hoher Maturität entspricht ein solches Handeln jedoch mit Sicherheit nicht.
IT muss "Enablerin" sein
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Ursachen für das Problem einerseits beim komplexen Sachverhalt IT sowie der marginalen Bedeutung der IT in der Verwaltung zu suchen sind. Die Ursachen liegen somit tiefer, und zwar wie folgt.
Die IT führt in der Verwaltung, und durchaus nicht nur auf Bundesverwaltungsebene, ein Schattendasein. Vielfach ist sie "einfacher" Diener der Verwaltungsabteilungen, ein notwendiges Übel, eine Supportfunktion unter anderen im streng hierarchisch und stark funktional geführten Verwaltungsorganisationswesen. Hier ist von Verwaltungssilos zu sprechen, die kein Interesse an Öffnung und Vernetzung haben. Die erwähnte Position der IT führt vielerorts zu einer Marginalisierung und zu einer Reduktion auf Kosten, ohne dass etwa im Rahmen von E-Government und E-Health realisiert würde, dass die IT eine zentrale "Enablerin" des vernetzten Verwaltungshandelns ist.
Verwaltungssilos aufzubrechen
Nimmt man dies als Faktum und geht davon aus, dass die IT im heutigen Verwaltungshandeln eine zentrale Position einnimmt - Informationsmanagement stellt 90 Prozent des Verwaltungshandelns dar - wird die IT neu so zu einer der zentralsten Querschnittsaufgaben im Verwaltungsgeschäft. Die IT fördert mit zugeordneten Organisationsabteilungen und mit der Unterstützung der Verwaltungsleitung die Fähigkeit, die Verwaltungssilos aufzubrechen und die organisationsübergreifende Bearbeitung von Verwaltungsleistungen zu ermöglichen: Beim E-Government handelt es sich genau darum. Die Unterstützung des Informationsmanagements durch IT wird damit zu einer tragenden Säule des Verwaltungsgeschäfts.
Es ist davon auszugehen, dass sich Verwaltungshandeln in den nächsten ein, zwei Dutzend Jahren stark verändern wird, gerade aufgrund neuer Medien, der technologischen Entwicklung sowie zum Beispiel der Möglichkeit, als Verwaltungsmitarbeiter sein eigenes IT-Equipment auch in der Verwaltung zu nutzen (Stichwort Bring your own device). Diesen Entwicklungen kann sich die Verwaltung, genauso wie den Bedürfnissen ihrer Kunden für Rund-um-die-Uhr-Betreuung oder ortsunabhängige Abwicklung von Verwaltungsgeschäften, nicht länger entziehen. Die Verwaltungsprinzipien, die wir heute kennen (etwa das Territorialitätsprinzip: Verwaltungsgeschäfte sind am Wohnort zu tätigen), sind etwas überspitzt formuliert von vorgestern, aus dem 19. Jahrhundert. Modernisierung und Neudenken sind gefragt. Erste Anzeichen dafür sind in der Schweiz zum Beispiel die radikale Neuorganisation des Kantons Glarus (mit Betonung auf "erste Anzeichen"). Die IT spielte bei der Neuorganisation des Kantons Glarus eine zentrale Rolle.
Mehr Hinwendung zur IT - mehr Augenmerk
Es gilt die IT und das mit der IT verbundene E-Government zu einem politischen Programm zu machen. Wir brauchen einen breiten Diskurs darüber, mit welchen Konsequenzen welche IT- oder E-Government-Anstrengungen für die moderne Verwaltung von morgen zu unternehmen sind. Zu thematisieren ist auch, was der Souverän dafür, genauso wie für andere Infrastrukturprojekte, zu zahlen bereit ist. Dieser politische Diskurs bezieht auch die Verwaltung als ausführende Behörde des Gesetzgebers mit ein. Dies führt zu einem Bewusstseinswandel und zu mehr Hinwendung zum Thema IT in der Verwaltung.
IT zum politischen Programm zu machen bedeutet auch, sie aus ihrem Dornröschenschlaf in der Verwaltung zu wecken und zu deren Governance und zu deren Management ganz neue Ressourcen bereit zu stellen. Anders gesagt, das Ende des Dornröschenschlafs wird auch mehr Hinwendung zur IT in der Verwaltung bringen, es wird mehr Augenmerk auch von Geschäftsleitungen von Verwaltungseinheiten auf die IT gelegt. IT und E-Government sind ein zentrales Thema aller Verwaltungsgeschäftsleitungen. Ohne geht es ganz einfach nicht mehr. Und damit sinkt automatisch die Wahrscheinlichkeit von Debakeln wie wir sie aktuell erleben.
Dann wird es plötzlich auch möglich, dass über ein politisches Programm zur Verwaltungsmodernisierung auch eine Gesetzgebung zum Thema E-Government entsteht, welche diesen Namen verdient. Das Thema IT-Unterstützung der Verwaltung, ihrer Kunden (Bürger, Unternehmen), wird dann zu einem gleich bedeutenden Thema wie Steuergesetzgebung, Asylgesetzgebung oder Landwirtschaftsgesetzgebung und die Umsetzungen davon. (Konrad Walser)
Konrad Walser ist Senior Researcher im Kompetenzzentrum Public Management und E-Government an der Berner Fachhochschule.
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