Wie können Versicherer von Google Glass profitieren?

4. Dezember 2014 um 09:15
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Stefan Metzger, Country Managing Director Schweiz bei Cognizant Technology Solutions, erläutert in seinem Gastbeitrag, welche Vorteile Wearables wie Google Glass für Versicherungen bieten können.

Stefan Metzger (Foto), Country Managing Director Schweiz bei Cognizant Technology Solutions, erläutert in seinem Gastbeitrag, welche Vorteile Wearables wie Google Glass für Versicherungen bieten können.
"Digital Health" liegt im Trend und versorgt den Gesundheitsmarkt jetzt mit cleveren Informations- und Kommunikationstechnologien. Und kaum sind die Versicherungsmitarbeiter mit Tablet und Smartphone ausgerüstet, wartet bereits die nächste Innovation auf ihren Einsatz: Google Glass. Welche Vorteile bringt die neue Erfindung in der Abwicklung von Versicherungsfällen?
Technologie verändert das Geschäft
Die Studie Die Schweizer Versicherungsbranche 2015 vom Zentrum für Risk & Insurance der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften prognostiziert, dass der Einsatz von Technologie einen Quantensprung erlebt. Der Schlüsselfaktor Technologie wird dabei als einer der wichtigsten Treiber in der Versicherungsbranche identifiziert. Sie ermöglicht neue Vertriebskanäle und Geschäftsmodelle sowie detailliertere Kundensegmentierung und die Ausrichtung des Angebotes auf die individuellen Bedürfnisse des Kunden. Demnach wird die Technologie zur Entstehung neuer Geschäftsmodelle wie beispielsweise der Online-Versicherung eingesetzt, die sämtliche Prozessschritte vom Kundenkontakt bis hin zur Schadenabwicklung vollelektronisch übernimmt.
Google Glass ist im Prinzip ein am Kopf getragener Miniaturcomputer. Auf einen Brillenrahmen montiert, blendet er Informationen in das Sichtfeld des Trägers ein – und zwar über das sogenannte Head-up-Display. Diese Informationen können kombiniert werden mit dem Foto, das eine in Blickrichtung des Trägers gerichtete Digitalkamera macht. Auch Daten aus dem Internet oder vom Server können via Augmented Reality in Echtzeit über den Screen angefragt und digital versendet werden.
Die Brille zielt zunächst auf den Verbraucher ab, birgt aber auch viele Vorteile für Unternehmen. Branchen wie das Gesundheitswesen, Banken, Finanzdienstleistungen und Medien haben bereits begonnen, die Vorteile von Google Glass für sich auszuloten. Und auch für Versicherungsunternehmen birgt diese Technologie viele neue Möglichkeiten. Das Besondere an der Erfindung ist zum einen, dass sich der Blick des Trägers einfach mit zusätzlichen Informationen, wie Bildnotizen oder Checklisten, anreichern lässt. Zum anderen lässt sich diese Perspektive des Sachverständigen bildlich mit anderen teilen: Ein per Chat hinzugezogener Experte sieht dasselbe Foto und kann live dabei helfen, die Sachlage zu beurteilen - ohne selbst am Unfallort zu sein. Hat Google Glass also das Potenzial, mehr Effizienz in die internen Geschäftsprozesse von Versicherungen zu bringen? Ohne Zweifel. Doch müssen die Versicherungsunternehmen einige Voraussetzungen erfüllen, um diese Vorteile zu nutzen.
Das wesentliche Alleinstellungsmerkmal von Google Glass gegenüber anderen mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets ist die Interaktivität. Interaktivität meint hier vor allem, dass die handelnde Person in Echtzeit bi-direktional mit Spezialisten und Entscheidern verbunden ist, die an einem weit entfernten Ort stationiert sind, und ihnen Hände und Augen leiht. Diese Art der Interaktion, bei der der "Agent" ähnlich einem Avatar die Handlungen manuell ausführt, die ihm ein entfernter Experte aufträgt, kennt man bereits aus der Weltraumfahrt.
Die Spezialisten im Schadensmanagement sind sehr rar, ihr Einsatz kostenintensiv. Mit Hilfe von Google Glass liessen sie sich effizienter einsetzen, dadurch würden die Kosten für die Schadensregulierung und die Aufwendungen für Leistungen sinken. Zudem würde sich die Qualität in der Schadenregulierung verbessern, denn die Fälle könnten schneller und mit deutlich weniger Papierverkehr bearbeitet werden. Eine höhere Kundenzufriedenheit wäre die Folge.
Schäden im Privatgeschäft effizienter regulieren
Laut Statistiken zum Thema Versicherungsbetrug bei Hausratversicherungen wird kaum ein Schaden korrekt gemeldet. Jedoch sind die Schadenssummen in der Regel zu gering, um hierfür die Entsendung eines Sachverständigen zu rechtfertigen. In vielen Fällen wird deshalb lediglich ein Auaaendienstmitarbeiter oder Makler entsandt oder der Fall allein auf Aktenbasis geklärt. Schlieaalich bestimmen der Preis und die Qualität des Schadenmanagements die Wertschätzung eines Versicherungspakets durch den Kunden. Qualität bedeutet hier für den Kunden, dass die Versicherung seinen Fall schnell und unbürokratisch abwickelt und die Ansprüche ohne Abstriche anerkennt. Die Erwartung der Kunden kann sich hier an den Erfahrungen mit Motorfahrzeug-Versicherungen ausrichten, wo Schadenschnelldienste, Vertragswerkstätten und Assistance-Leistungen die Mobilität möglichst schnell wiederherstellen.
Mit Hilfe von Google Glass lässt sich ein ähnliches Qualitätsempfinden auch bei der Regulierung von Hausrat- und Elementarschäden erzielen. Überschreitet ein gemeldeter Sachschaden einen bestimmten Schwellenwert, der sich aus der vermeintlichen Schadensumme und den Regulierungskosten zusammensetzt, nimmt ein Aussendienstmitarbeiter sofort mit dem Geschädigten Kontakt auf und vereinbart einen Besichtigungstermin. Bei der Ortsbegehung verbindet sich der Aussendienstmitarbeiter per Google Glass mit einem Schadensspezialisten, der Regulierungsvollmacht besitzt. Durch die direkte Interaktion zwischen Versichertem und Spezialisten können fast alle wesentlichen Entscheidungen direkt vor Ort getroffen werden. Mit Hilfe seines "Google Glass-Agenten" kann sich der Sachverständige selbst ein Bild vor Ort machen und sofort Reparaturmassnahmen über Vertragshandwerker einleiten, Ersatzgeräte beschaffen lassen, Vorschusszahlungen anweisen, Rücksprache mit der Polizei halten, Kulanzvereinbarungen treffen und vieles mehr. Lange und teure Schriftwechsel, die Prüfung von Kostenvoranschlägen und Gutachten sowie andere Kostentreiber erübrigen sich. Der Kunde kommt schnell, direkt und unbürokratisch zu seiner Leistung. Und wie im Motorfahrzeug-Bereich wird sich die schnellere Regulierung auf die Höhe der Leistungsforderung positiv auswirken.
Zusammenfassend ergeben sich im Bereich Hausratversicherung durch den Einsatz von Google Glass eine Reihe von Vorteilen: Die Schadensregulierungskosten nehmen ab, dadurch sinken auch die Schwellenwerte für die Prüfungen. Mehr Überprüfungen führen zu weniger betrügerischen Forderungen. Schnellere Regulierung und die verbesserte Kontrolle über den Prozess werden dazu führen, dass Leistungen in einer geringeren Höhe erstattet werden, der Kunde aber dennoch durch die aktive Unterstützung den Versicherungsschutz als qualitativ besser empfindet. Die Reputation des Versicherers wird so gestärkt.
Google Glass in der Schadenanalyse
Auch das "Assistance"-Modell aus der Motorfahrzeug-Versicherung lässt sich dank Google Glass leicht auf die Gebäude- und Hausratsversicherung übertragen. In diesem Fall interagiert der Geschädigte direkt mit der Versicherung: Der Versicherte setzt sich im Schadensfall über eine "Notfallapplikation" mit den zentralen Schadenmanagern in Verbindung. Sie leiten dann gemeinsam mit dem Geschädigten alle notwendigen, schadenmindernden Schritte in die Wege. Dabei können die Versicherer auch ihr persönliches Netzwerk aus Vertragspartnern, Vertragswerkstätten und Handwerkern einbinden und selbst beauftragen. So lassen sich Preisaufschläge für Noteinsätze (Wochenend- und Nachtzuschläge) und Sonderpreise von "befreundeten" Handwerkern vermeiden. Für den Versicherten hat das nur Vorteile: Der Schadenmanager koordiniert die Abwicklung, er muss aber nichts selbst beauftragen oder vorfinanzieren. Durch das aktive Schadenmanagement werden die Forderungen geringer ausfallen. Die Zusammenarbeit mit Vertragspartnern spart zudem Zusatzkosten. Ausserdem wird sich der Kunde durch die Interaktion gut versorgt fühlen – so gut, dass er sogar bereit ist, für die interaktive Schadensminderung eventuell sogar mehr zu bezahlen, diese also als Zusatzleistung vermarktet werden kann.
Die Versicherer verlassen sich bei komplexen Schadenereignissen in der Industrie nicht allein auf die offiziellen Schadenprotokolle. Hier sind meist detaillierte Untersuchungen notwendig, um Obliegenheitsverletzungen und Betrugsfälle auszuschliessen. In diesen Fällen müssen deshalb besondere Industrie- und Schadenspezialisten direkt vor Ort zum Einsatz kommen. Hier kann das Modell Google-Glass-Agent vor Ort verbunden mit einem zentralen Spezialistenteam Vorteile bringen. Das Team im Hintergrund kann sich aus Experten verschiedener Bereiche zusammensetzen und während der Analyse weitere Informationsquellen hinzuziehen. Man darf sich den Vorgang durchaus so vorstellen, wie die Forschungsarbeit auf der ISS, bei der die Astronauten ebenfalls auf Anleitung der Spezialisten Versuche aus unterschiedlichen Disziplinen durchführen. Und durch die schnellere Verfügbarkeit von Spezialwissen dürfte die Qualität der Analyse sogar noch steigen. Der Vorteil besteht auch in diesem Fall darin, dass die Schadenspezialisten sehr viel effizienter ausgelastet werden können. Dadurch sinken die Regulierungskosten, was wiederum zu niedrigeren Schwellenwerten für die Möglichkeit intensiver Prüfungen führt. Mehr Fälle können genauer geprüft werden.
Technologien wie Google Glass bergen für Versicherungsunternehmen eine Reihe von Vorteilen: Durch den Einsatz von interaktiven Teams aus Agenten vor Ort und zentralen Expertenteams lassen sich Schadenfälle sowohl im Privatgeschäft als auch im Industriebereich sehr viel aktiver managen. So sparen die Versicherungsunternehmen Kosten, zudem wird der Kunde die schnellere und unbürokratischere Behandlung seiner Sache als Qualitätssteigerung empfinden. Zudem kann Google Glass Versicherungen auch im Unternehmensgeschäft unterstützen, etwa bei der Risikobewertung von Industrieanlagen oder Ähnlichem. (Stefan Metzger)

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