Wie mache ich mein IT- oder Software-Unternehmen dermassen attraktiv, dass ich trotz massiver Konkurrenz und austauschbarer Produkte überdurchschnittlich erfolgreich werde und nachhaltig zweistellig wachsen kann?
Ganz einfach, mit Storytelling.
Zu diesem Zweck lade ich meine Tech-Firma und meine Tech-Produkte mit positiven Emotionen auf und baue darum herum eine einzigartige Geschichte, auf Neudeutsch "Story", die sich einer ganzen Reihe von moralisch einwandfreien Werten verschreibt. Nicht selten beginnt die Story dann mit Aussagen wie "wir glauben unerschütterlich daran, dass…" oder "unsere Gründer störten sich schon immer daran, dass…". Die Story wird dann in eine einprägsame Positionierung gegossen und marketingmässig bis zum Erbrechen in Text, Bild, Ton und Videos wiederholt.
Bloss damit ich hier richtig verstanden werde. Ein solches Vorgehen, gerade in unserer technologisch orientierten Branche, finde ich völlig richtig und hilft extrem, sich einerseits von den Features- und Functions-Technokraten und andererseits von der Gefahr der hohen Austauschbarkeit der IT- und Softwareprodukte der Tech-Giganten abzugrenzen und damit "angenehm anders als alle anderen" aufzufallen.
Ich bin sogar überzeugt, dass eine emotional berührende Story mit dazu passender Positionierung und handwerklich gut umgesetztem Storytelling der Schlüssel zum Erfolg sein kann. Dutzende Beratungsprojekte in den vergangenen dreizehn Jahren belegen das.
Allerdings kann den IT- und Softwareunternehmern eine solchermassen aufgeladene Story schnell auch um die Ohren fliegen. Sie sind nämlich schon seit Jahren grossen Versuchungen ausgesetzt. Gerade bei den überdurchschnittlich erfolgreichen Firmen – und von denen spreche ich hier zur Hauptsache – stehen dutzende Investoren jeglicher Couleur Schlange. Sie alle wollen diese Unternehmen kaufen und dort ihr eigenes oder das Kapital ihrer Geldgeber gewinnbringend anlegen.
Dazu zwei Beispiele:
- Bereits 2018 wurde Bexio, ursprünglich von einem top motivierten Gründerteam noch unter dem Namen Easysys "per Zufall" entwickelt, an die Mobiliar für angeblich 115 Millionen Franken verkauft. Kurz vor dem Verkauf portraitierte ich Bexio in meiner Reihe Prantls 5A und schilderte die Story um die tragende Plattform-Vision "One Hub empowering small businesses". Davon ist heute, fast sieben Jahre später, nichts mehr übrig. Aus dem damaligen inspirierenden Storytelling wurde – vermutlich sogar ohne grosse Absicht, mehr Story Destroying. Oder wie ich damals befürchtete, "dass aus Bexio nicht auch so eine langweilige und uninspirierende – wenn auch gut funktionierende – Plattform wie Ricardo.ch wird, nachdem diese von Tamedia gekauft wurde." Gerüchte in der Branche sagen sogar, dass die Mobiliar Bexio gerne wieder verkaufen würde. Eine nachhaltige Erfolgsstory klingt für mich anders.
- Beispiel Nummer Zwei. Ende März wurde die deutsche Outdoor-App Komoot mit geschätzt 45 Millionen Usern an den italienischen Investor Bending Spoons für, so sagen Insider, 300 Millionen Euro verkauft. Notabene für ein Unternehmen mit zuletzt 150 Mitarbeitenden, 35 Millionen Euro Umsatz und 3 Millionen Euro Gewinn. Bending Spoons ist dafür bekannt, dass es die gekauften Firmen nach Mailand umsiedelt, nicht selten 75% bis 100% der Mitarbeitenden entlässt, so geschehen bei Evernote und Wetransfer, die Abopreise für Kunden drastisch erhöht und die frei zugänglichen Teile in der Software massiv einschränkt. Recherchen des 'Manager Magazins' zeigen, dass der grosse Stellenabbau bei Komoot bereits voll im Gange ist. Davor galt Komoot als Musterbeispiel für eine emotional aufgeladene und hervorragend kommunizierte Gründerstory, mit entsprechendem Markterfolg und hoher Bekanntheit in der ganzen Outdoorszene. Bis Tage vor dem Verkauf wurden noch neue Talente angeworben und mit der einzigartigen Kultur von Komoot geködert. Heute, wenige Wochen nach dem Verkauf sind alle sechs Gründer (und heutige Jung-Millionäre) bereits aus dem Unternehmen raus und die Belegschaft steht vor einem Scherbenhaufen.
Solche Beispiele erschüttern leider den Glauben an die Ernsthaftigkeit guten Storytellings massiv. Im Gegenteil, sie fördern den Zynismus und geben denjenigen Auftrieb und recht, die schon immer wussten, dass IT und Software halt eben doch nur aus Bits und Bytes bestehen. Das finde ich persönlich schade und ehrlich gesagt auch falsch.
Tipps für Investoren und Gründer
Daher hier einige Tipps an Unternehmerinnen und Unternehmer, die ihre IT-Firma besser und wirksamer mit Storytelling im Markt positionieren wollen und an Investoren, die solche Unternehmen gerne kaufen und damit die Nachfolge antreten möchten.
Zuerst an die Käufer: Merke, auch als Investor brauche ich zufriedene Kunden und motivierte Mitarbeitende, denn sie sind die unverzichtbare Grundlage für jeden Unternehmenserfolg. Beides bekomme ich aber nur dann, wenn ich den Zweck des Unternehmens nicht korrumpiere. Rendite und Wertsteigerung sind eben auch in diesem Fall immer nur die Folge, erfolgreicher Unternehmensführung und dürfen nicht zum alleinigen Ziel verkommen. Was ich hingegen tun darf und auch tun soll; die gekaufte Firma professionalisieren, betriebswirtschaftlich sauber führen und Potentiale heben. Aber eben nicht, indem ich das, was diese Firma einst erfolgreich machte, ignorant und blind zerstöre.
An die Verkäufer: Wenn ich in meinem Unternehmen dermassen Wert auf Kultur und eine wertorientierte Story lege, dann darf ich schlicht und einfach nicht an einen Investor wie im Beispiel von Komoot verkaufen. Einer der Gründer und bis vor dem Verkauf CEO von Komoot erklärte in seinem ersten Interview nach dem Deal gegenüber dem 'Manager Magazin', dass die Firma mit über 100 potenziellen Nachfolgern im Gespräch war. An einer breiten Auswahl lag es also offensichtlich nicht. Dass die Eigentümer dann an eine nachgewiesene "Heuschrecke" verkauft haben, lässt sich nur durch den sagenhaften Kaufpreis erklären. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die lange sorgsam gehegte Vision und Kultur Schnee von gestern. Als Gründer muss ich mich also bereits früh fragen, will ich primär eine opportunistische Gewinnmaximierungsfirma aufbauen oder strebe ich ein Unternehmen mit Werten und Nutzen für Kunden und Mitarbeitende an. Beides hat Konsequenzen bei der Nachfolgewahl. Ignoriere ich diese, dann werde ich zum Verräter. Als solches bezeichnet von vielen (ehemaligen) Mitarbeitenden bei Komoot.
Urs Prantl kreiert zukunftssichere und gesund wachsende IT-Unternehmen und begleitet ihre Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Unternehmensnachfolge und beim Firmenverkauf. Ausserdem ist er Host des Podcasts
Prantls 5A, in welchem die strategische Einzigartigkeit erfolgreicher IT-Unternehmen im Gespräch mit ihren Inhaberinnen und Inhabern im Dialog herausgeschält wird. Als
Kolumnist äussert er auf inside-it.ch seine persönliche Meinung.