In meiner Kolumne vom Januar 2017
"Uns werden mit der Digitalisierung die Jobs ausgehen" kam ich zur Schlussfolgerung: "Es dauert sicher noch einige Dekaden, bis uns die Jobs ausgegangen sind. Allerdings bin ich überzeugt, dass es wesentlich schneller gehen wird, als sich die meisten heute vorstellen können. Denn, die momentane digitale Transformation ist kein linear ablaufender Prozess, sondern er geschieht exponentiell und wir sind bereits weit fortgeschritten."
Letzte Woche erschien in der
'NZZ' ein Interview mit Richard Susskind, einem Experten für den Wandel von Fachberufen durch die Künstliche Intelligenz. Dort stellte er nüchtern fest: "Die Frage ist nicht, ob es Massenarbeitslosigkeit gibt, sondern wann." Vor dem Hintergrund der extrem schnellen Entwicklung von KI, insbesondere durch ChatGPT und Konsorten, erklärt Susskind, wieso KI eben doch das Potenzial zum Jobkiller hat. Entgegen der überwiegenden Zahl an Zweckoptimisten, die sich darauf verlassen, dass auch KI zu mehr, statt zu weniger Jobs führen wird, greift er direkt an der neuralgischen Stelle an. KI wird, und das zeigt ChatGPT bereits jetzt eindrücklich, menschliche Denkarbeit schnell und in hoher Qualität ersetzen (können) und den dadurch erzielten Nutzen um Faktoren erhöhen. Mit der Folge, dass Effizienz UND Effektivität in heute noch schwer vorstellbaren Grössenordnungen explodieren werden.
Der Schlüssel dazu liegt in unserer menschlichen Bedürfnisstruktur. Wir brauchen nämlich weder Ärztinnen noch Lehrerinnen, noch Journalisten, sondern wir wollen "bloss" gesund bleiben, wir wollen uns und unsere Kinder "bloss" aus- und weiterbilden und, wir wollen "bloss" gute und spannende Geschichten lesen. Wer das alles bewerkstelligt, ist uns im Prinzip egal.
Das mag alles nach Panikmache klingen, Tatsache ist allerdings, die technologische Entwicklung eilt hier der gesellschaftlichen um Jahre voraus. ChatGPT hat uns das in den letzten Monaten eindrücklich vor Augen geführt. Die Zukunft ist also bereits da. Man muss sie bloss erkennen können und wollen.
Genauso wie ich vor mehr als sechs Jahren aufgrund eingehender Beschäftigung mit (technologischen) Zukunftstrends sah, dass KI bereits da ist und mit grossen Schritten weiter auf uns zukommt, wird es beschleunigt weitergehen. Und zwar aus einem einfachen Grund. Die Nutzen- und damit die Gewinnperspektiven für Unternehmen und Investoren sind dermassen gigantisch, sodass niemand darauf wird verzichten wollen. Bestenfalls harte regulatorische Barrieren würden dies verhindern, woran ich persönlich nicht glaube. Aber, auch wenn die Gesetze kommen, sie werden wohl zu spät sein. Der Geist ist aus der Flasche.
Mir ist vollkommen bewusst, dass meine und Richard Susskinds Vision eines massenhaften Jobverlusts total kontraintuitiv ist und den realen Problemen fast aller Unternehmen komplett entgegenlaufen. Der aktuelle Engpass besteht aus einem akuten Fachkräftemangel und nicht aus drohender Arbeitslosigkeit. Ich meine jedoch, wir befinden uns momentan diesbezüglich in einer Ruhe vor dem Sturm. Alle jetzt bereits mehr oder weniger sichtbaren Zukunftstrends und technologischen Entwicklungen zeigen nämlich in eine komplett andere Richtung.
Zum Schluss noch. Wieso wollen viele die Wand nicht sehen, auf die wir in grossem Tempo zusteuern? Die Antwort dazu ist simpel. Weil unsere Wirtschaft und die Sozial- und Altersvorsorge zwingend von der Erwerbsarbeit leben. Wird nicht (Erwerbs-)gearbeitet und werden darauf keine Abgaben geleistet, so bricht das uns bekannte System unweigerlich auseinander. Es sei denn, wir würden es fundamental umbauen. Das ist neben dem Ausstieg aus den fossilen Treibstoffen zur Energiegewinnung die zweite immense Herausforderung, vor der wir in den kommenden Jahrzehnten stehen werden. Je früher wir damit beginnen, desto besser.
Urs Prantl kreiert zukunftssichere und gesund wachsende IT-Unternehmen und begleitet ihre Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Unternehmensnachfolge und beim Firmenverkauf. Gleichzeitig ist er Host des Podcasts Prantls 5A, in welchem die strategische Einzigartigkeit erfolgreicher IT-Unternehmen im Gespräch mit ihren Inhaberinnen und Inhabern im Dialog herausgeschält wird. Als Kolumnist äussert er auf inside-it.ch seine persönliche Meinung.