Wir begeistern unsere Kunden. Unser Ziel ist es, unsere Kunden zu begeistern. Wir sind erst zufrieden, wenn unsere Kunden begeistert sind. Unsere Vision (Mission) ist es, unsere Kunden zu begeistern.
Diese und ähnliche Aussagen auf Websites, in Social-Media-Profilen und in Verkaufspräsentationen finden sich überall. Viele davon auch bei Software- und IT-Unternehmen. Abgesehen von denjenigen Unternehmen, die ihre Kunden bloss deswegen begeistern wollen, weil es aktuell gerade en Vogue zu sein scheint, gibt es doch viele, die es ernst damit meinen. Sie sind – so scheint es – der tiefen Überzeugung, ihre Kunden mit einem ultimativen WOW-Effekt für sich gewinnen und halten zu müssen. Kunden-Begeisterung als strategischer USP.
Auch wenn der typisch technisch-sachliche und nüchterne ITler meist nicht von selbst auf ein dermassen emotionales Gewinnungsprogramm kommt, so helfen ihm in jedem Fall die unzähligen Marketing- und Verkaufsberater, die Kunden-Begeisterung als ultimatives Erfolgsprogramm verkaufen. Um durchschlagend Erfolg zu haben, braucht es in ihrer Welt übrigens nicht nur Kunden-, sondern auch noch zusätzlich Mitarbeiter-Begeisterung.
Ich stelle allerdings immer wieder fest, dass es bereits bei den Basics hapert, von wirklicher Begeisterung ganz zu schweigen.
Bevor ich nämlich Kunden begeistere, muss ich erstmal ihre Erwartungen erfüllen können. Und bereits das ist nicht einfach. Es fängt schon damit an, dass die Kundenerwartungen präzise und vollständig evaluiert werden müssen. Denn, was ich nicht kenne, kann ich auch nicht erfüllen. Erschwerend kommt hinzu, dass auch die Kunden selbst ihre Erwartungen oftmals nicht so genau kennen. Dann ist es unsere Aufgabe, die Erwartungen der Kunden aufzudecken und entsprechend so zu formulieren, dass alle das gleiche darunter verstehen.
Neugier auch weit ausserhalb von Bits und Bytes
Erwartungen werden vom Kunden (bewusst und unbewusst) gesetzt. Sie sind die Folge von Bedürfnissen und Problemen, die der Kunde gelöst haben will. Um diese verstehen und später mit einem IT-Produkt optimal lösen zu können, muss auch das Business des Kunden verstanden werden wollen und können. Das funktioniert nur mit produkt- und lösungsunabhängiger Beratung. Und diese funktioniert nur dann, wenn der ITler bereit ist, sich (wenigstens teilweise) aus seiner technischen Welt zu lösen und in die Businesswelt seines Kunden einzutauchen, um auch die verborgenen Erwartungen ans Tageslicht zu befördern. Ein Job, der wahrlich nicht einfach ist und Neugier auch weit ausserhalb von Bits und Bytes voraussetzt.
Manch ein ITler versucht, diesen mühsamen Weg abzukürzen, indem er sich einredet, die Kundenerwartungen ohnehin schon zu kennen. Kennt er doch seine Produkte und Lösungen selbst in- und auswendig und weiss daher auch genau, welche Bedürfnisse diese befriedigen und welche Probleme sie lösen. Das wird auch bei diesem einen Kunden nicht anders sein, so denkt er sich, und damit wird der Kunde entsprechend "passend" gemacht, statt umgekehrt.
Statt sich also auf die Eruierung der Kundenerwartungen zu fokussieren, konzentriert sich der ITler lieber auf die Schaffung von Kundenbegeisterung. Diese entspringt dann – mangels seriöser Aufnahme – nicht den Erwartungen, sondern vielmehr seiner Innensicht. So glaubt er zu wissen, was den Kunden begeistern wird und macht im Endeffekt dann vielmehr das, was er selbst für richtig und gut hält. Solange sich dies mit den Kundenerwartungen deckt, fällt es niemandem auf. Aus Erfahrung kann ich jedoch bestätigen, dass dies fast nie der Fall ist. Erwartungen sind oftmals verborgen, sie sind sehr differenziert und auch den Betreffenden selbst nur vage bekannt. Fast immer müssen sie herausgearbeitet werden.
Vor der Begeisterung kommt die Zufriedenheit
Mein Vorschlag. Erstmal die offenen und verdeckten Erwartungen von Kunden so erfüllen, dass diese deren Erfüllung ausdrücklich bestätigen. Dann haben wir einen zufriedenen Kunden. Es kann auch sinnvoll sein, die eine oder andere Erwartung sogar "überzuerfüllen". Und zwar da, wo es nicht zu viel kostet und somit wirtschaftlich Sinn macht und da, wo der Kunde auch einen Nutzen daraus zieht.
Gleich zu Beginn aber auf die ultimative Kundenbegeisterung zu zielen, ist unsinnig. Fast immer ist ein solches Vorgehen viel zu teuer und somit unwirtschaftlich, zweitens lässt sich kein Kunde begeistern, dessen Erwartungen gar nicht erst richtig erfüllt wurden und drittens entspringt die Begeisterung meist mehr der Innenwelt des Anbieters als der Bedürfniswelt des Kunden.
Erst wer Erwartungen perfekt erfüllen kann und dann noch Zeit und Geld übrig hat, sollte sich überlegen, den einen oder anderen Kunden auch noch zu begeistern.
Urs Prantl kreiert zukunftssichere und gesund wachsende IT-Unternehmen und begleitet ihre Unternehmerinnen und Unternehmer bei der Unternehmensnachfolge und beim Firmenverkauf. Gleichzeitig ist er Host des Podcasts Prantls 5A , in welchem die strategische Einzigartigkeit erfolgreicher IT-Unternehmen im Gespräch mit ihren Inhaberinnen und Inhabern im Dialog herausgeschält wird. Als Kolumnist äussert er auf inside-it.ch seine persönliche Meinung.