"Private und sichere Kommunikation ist auch online ein Menschen­recht"

30. Mai 2023 um 06:45
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Jurgita Miseviciute ist Cheflobbyistin von Proton in Brüssel. Ihre Aufgabe: Das Gesetz zur sogenannten Chatkontrolle verhindern. Ein Gespräch über Hoffnung und Optimismus.

Ihr Job-Titel lautet "Head of Public Policy and Government Affairs" bei Proton, einem Schweizer Anbieter von verschlüsselter Kommunikation. Jurgita Miseviciute verbringt die Meiste ihrer Zeit in Brüssel und lobbyiert bei Europapolitikerinnen und Politikern gegen das geplante Gesetz zur Chatkontrolle. Eine schwierige Aufgabe. Weshalb die Juristin optimistisch bleibt, verrät sie uns im Interview.
Das geplante Gesetz zur Chatkontrolle zielt auf das Kerngeschäft von Proton: verschlüsselte Kommunikation. Verstehen Sie die Idee hinter dem Gesetz? Ja, wir verstehen den Zweck und den Hintergrund des Gesetzes. Es ist absolut essenziell, Kinder vor Missbrauch zu schützen. Aber wir sind ebenfalls überzeugt davon, dass die Privatsphäre von Menschen nicht gefährdet werden darf. Private und sichere Kommunikation ist wichtig für die Gesellschaft.
Was verschlüsselt ist, soll verschlüsselt bleiben? Ich sage Ihnen warum: Wenn ich "offline" mit jemandem bei einem Kaffee sitze, kann ich auch davon ausgehen, nicht abgehört zu werden. Das Recht, sich privat mit Menschen zu unterhalten und auszutauschen, sollte auch in der Online-Welt respektiert werden.
Sie müssen das sagen. End-to-End-Verschlüsselung, die wegen des Gesetzes auf dem Spiel steht, ist das Kernprodukt von Proton. Wir werden End-to-End-Verschlüsselung auf keinen Fall aufgeben. Aber ich bin optimistisch, dass das Gesetz im Endeffekt nicht so strikt ausfallen wird.
Wie ist die Gratwanderung zu schaffen, einerseits Kindesmissbrauch zu verhindern, und andererseits private Kommunikation zu schützen? Für den Schutz der Kinder ist es essenziell wichtig, dass Strafverfolgungsbehörden genügend finanzielle Mittel und personelle Ressourcen zur Verfügung haben. Kindesmissbrauch ist ein gesellschaftliches Problem, das angegangen werden muss, aber nicht auf Kosten der Privatsphäre.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Plattform nicht für kriminelle Aktivitäten missbraucht wird? Unsere Nutzungsbedingungen sind sehr klar. Wir dulden keine illegalen Aktivitäten auf unserer Plattform und wir werden Kriminelle nicht schützen.
Wie können Sie kriminelle Aktivitäten erkennen, wenn diese verschlüsselt sind? Wie funktioniert das? Wir können nicht auf den Inhalt der Nachrichten zugreifen, das ist unmöglich. Aber wir haben Tools im Einsatz, die wir nutzen können, ohne End-to-End-Verschlüsselung zu brechen.
Können Sie das erläutern? Diese Tools helfen uns, bestimmte Verhaltensmuster zu erkennen, welche auf Missbrauch hindeuten.
Aus technischer Sicht: Gibt es die Möglichkeit, End-to-End-Verschlüsselung teilweise zu öffnen? Nein, man kann sie nicht "ein bisschen" aufbrechen und sie für manche anbieten und für andere nicht. Es ist unter anderem meine Aufgabe, diese Technologie zu erklären, die Vorteile aufzuzeigen und Verständnis dafür zu schaffen.
Was lässt Sie hoffen, dass Sie mit Ihren Anliegen durchkommen? Ich will nicht zu viel spekulieren, und womöglich bin ich optimistischer als andere – aber Gespräche mit Politikerinnen und Politikern zeigen mir, dass das Verständnis für End-to-End-Verschlüsselung mehr und mehr zunimmt. Zudem war Europa immer ein Verteidiger der Grundrechte von Menschen.
Beschlossen ist noch nichts? Das ist richtig. Es gibt diesen Vorschlag, der auf dem Tisch liegt. Und bestimmte Vorgaben können uns tatsächlich drohen, bislang ist aber alles nur Theorie.
Und was, wenn die Chatkontrolle doch kommt? Nun, der Europäische Gerichtshof könnte das Gesetz für ungültig erklären. Es gab mit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung schon entsprechende Präzedenzfälle. Ausserdem: Eine Studie des Europäischen Parlaments und ein Gutachten des Juristischen Dienstes des EU-Rates weisen darauf hin, dass die vorgeschlagenen Massnahmen unverhältnismässig sind und gegen die Europäische Charta der Grundrechte verstossen könnten.
Als Schweizer Anbieter müssen Sie sich nicht nur an die EU-Gesetzgebung halten, sondern auch an jene der Schweiz. Wie verfolgen Sie die Debatte hierzulande? Die Situation ist durchaus vergleichbar mit jener in der EU. Es ist noch nichts beschlossen und die Diskussion ist im Gange. Aber soweit ich das beurteilen kann, gibt es auch in der Schweiz ein wachsendes Bewusstsein für die technischen Aspekte von End-to-End-Verschlüsselung. Und natürlich verursacht Chatkontrolle auch in der Schweiz ernsthafte Grundrechtsprobleme.
Interessenbindung: Inside-it.ch ist Medienpartner des Swiss Internet Governance Forums. Dieses findet dieses Jahr am 13. Juni 2023 in Bern statt. Jurgita Miseviciute tritt als Speakerin auf und spricht über die Regulierung von Plattformen.

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