SATW insights: Mädchen und Frauen für IT begeistern – warum wir jetzt handeln müssen

30. Mai 2025 um 10:34
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Edith Schnapper.

Trotz der wachsenden Bedeutung digitaler Kompetenzen sind Frauen in der Informatik in der Schweiz dramatisch untervertreten. Eine neue Studie der Akademien der Wissenschaften Schweiz zeigt, warum das so ist – und was sich ändern muss.

Informatikberufe gehören zu den gefragtesten Tätigkeiten in der heutigen Arbeitswelt. Dennoch bleiben Mädchen und Frauen in der Schweiz auf allen Ausbildungsstufen und in allen MINT-Bereichen – insbesondere in der Informatik – stark unterrepräsentiert. Die im Mai 2025 veröffentlichte "Studie zur Nachwuchsförderung und Erhöhung des Frauenanteils in MINT-Berufen" im Auftrag der Akademien der Wissenschaften Schweiz belegt: Es braucht systemische Veränderungen, wenn wir das Potenzial der gesamten Bevölkerung nutzen und den Fachkräftemangel im digitalen Sektor nachhaltig bekämpfen wollen.

Früh verloren: Warum Mädchen selten den Weg in die Informatik finden

Bereits in der obligatorischen Schule zeigt sich, dass Informatik nicht zu den Lieblingsfächern von Mädchen gehört. Während mathematische Leistungen kaum geschlechtsspezifisch variieren, sind Einstellungen und Selbstwirksamkeitserwartungen sehr wohl davon betroffen. Die PISA-Studien zeigen deutlich: Mädchen haben häufiger Angst vor Mathematik und Informatik, obwohl sie gleich gut oder sogar besser abschneiden. Stereotype und fehlende Vorbilder verstärken diese Effekte.
Die Studienwahl auf Sekundarstufe II und Tertiärstufe zeigt drastische Unterschiede: Nur etwa 18% der Studierenden in der Informatik an Schweizer Hochschulen sind Frauen. Besonders tief ist der Anteil an Fachhochschulen – ein Bildungsweg, der für viele junge Menschen mit praxisorientierten Interessen attraktiv wäre.

Strukturelle Hürden statt fehlendem Interesse

Entgegen gängigen Vorurteilen liegt es nicht an mangelndem Interesse oder fehlender Eignung. Die Studie identifiziert eine Reihe struktureller Ursachen:
  • Frühe Weichenstellungen im Bildungssystem, die Ungleichheiten zementieren, anstatt sie auszugleichen.
  • Geschlechterstereotype, die sich in Schulmaterialien, Berufsinformationen und der Erwartungshaltung von Eltern und Lehrpersonen spiegeln.
  • Mangel an weiblichen Vorbildern, sowohl in den Medien als auch in der Berufswelt.
  • Fehlende Gleichstellungskompetenz im Lehrberuf – Lehrpersonen fühlen sich oft nicht ausreichend vorbereitet, um gendergerechten Unterricht zu gestalten.
  • Unvereinbarkeit von Beruf und Familie in vielen MINT-Branchen, insbesondere in der Tech-Welt.

Was wirkt? Erfolgsfaktoren aus der Schweiz und dem Ausland

Die Studie zeigt aber auch, dass es wirkungsvolle Massnahmen gibt. Ein systematischer Überblick über Initiativen im In- und Ausland belegt, dass ein Wandel möglich ist – wenn er ganzheitlich gedacht wird.
  • Früh ansetzen: Programme, die bereits in der Primarschule beginnen, zeigen positive Effekte, vor allem bei monoedukativen Angeboten für Mädchen.
  • Vorbilder sichtbar machen: Frauen in IT-Berufen müssen in Lehrmaterialien, Medien und Mentoring-Programmen präsent sein.
  • Gendergerechte Berufsorientierung: Informationen über IT-Berufe müssen realitätsnah, vielfältig und jenseits klassischer Rollenbilder aufbereitet werden.
  • Lehrpersonen stärken: Aus- und Weiterbildungen zu Genderpädagogik und MINT-Unterricht müssen ausgebaut werden.
  • Systemisch denken: Einzelne Förderprogramme sind wichtig, reichen aber nicht aus. Notwendig ist eine nationale Strategie mit klaren Zielen, Koordination und finanziellen Ressourcen.

Informatik braucht Diversität und Diversität braucht Politik

Die Informatik von morgen soll unsere Gesellschaft gestalten. Das kann sie jedoch nur, wenn sie die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegelt. Dafür sind keine punktuellen Förderprogramme, sondern strukturelle Reformen nötig:
  • Eine nationale MINT-Strategie, die Schulen, Hochschulen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vernetzt.
  • Ein Kompetenzzentrum für MINT-Förderung, das Know-how bündelt und weitergibt.
  • Eine Familien- und Gleichstellungspolitik, die Vereinbarkeit ermöglicht und Diskriminierung aktiv bekämpft.
  • Eine Verankerung der Gleichstellung in der gesamten Bildungskette, vom Kindergarten bis zur Hochschule.
Wer über MINT-Förderung spricht, spricht über die Zukunft der Schweiz. Es liegt in unser aller Verantwortung, dass diese Zukunft inklusive, gerecht und innovationsfähig ist. Die Informatik ist dafür ein Schlüsselbereich – aber der Schlüssel passt nur, wenn alle ihn in der Hand halten dürfen.

Über die Autorin

Edith Schnapper leitet den Bereich Nachwuchsförderung an der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW). Sie hat einen zweisprachigen Master in angewandten Politikwissenschaften und engagiert sich in verschiedenen Gremien, darunter die EU-STEM Coalition und Digital Switzerland. Zudem ist sie Verwaltungsratsmitglied von IngCH.

Zu dieser Kolumne:

Unter dem Titel "SATW insights" berichten Mitglieder der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW regelmässig für unsere Leserinnen und Leser über relevante, aktuelle Schweizer Technologie-Fragen. Die Meinung der Autoren muss sich nicht mit derjenigen von inside-it.ch decken.

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