Nicht nur bei Insieme, dem vor einigen Jahren krachend gescheiterten 112 Millionen Franken schweren IT-Vorhaben der Steuerverwaltung, spielt die mangelhafte Governance eine unrühmliche Rolle. Auch bei anderen fehlgeschlagenen IT-Grossprojekten gerät neben der Projektleitung auch der Projekt- oder Steuerungsausschuss immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik.
Der nachfolgende Beitrag befasst sich nicht nur mit den gröbsten Governance-Mängeln, die ich in meiner Berufspraxis angetroffen habe, sondern skizziert auch zwei mögliche Lösungsansätze. Der Fokus liegt dabei auf dem Setup des Projektausschusses und weniger bei anderen Governance-Elementen wie Audit oder Linienführung.
Problemstellung und mögliche Ursachen
Das weitherum bekannte und für die öffentliche Verwaltung verbindliche Methoden-Handbuch Hermes 2022 umschreibt den Projektausschuss eher schwammig als "Rollengruppe", dessen Mitglieder den Auftraggeber in seinen Aufgaben beraten und unterstützen sowie frühzeitig die Anliegen der von ihnen vertretenen Organisation einbringen sollen. Ausserdem sind sie gehalten, bei der Erarbeitung von Problemlösungen mitzuwirken. Keine dieser im Abschnitt "Projektausschuss / Verantwortung" genannten Begriffe ist eindeutig, konkret oder verbindlich.
Die häufigsten und in Untersuchungsberichten immer wieder geäusserten Kritikpunkte an der Arbeit von Projektausschüssen sind im Weiteren:
- Zu viele Mitglieder: Damit kein Stakeholder vergessen geht, werden in der Regel eher zu viel als zu wenig Vertreterinnen aus IT-, Fach- und Stabsorganisationen in einen Projektausschuss berufen. Mögliche Folgen sind unklare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten.
- Zu wenig Konstanz: Sehr selten sind Projektausschüsse anzutreffen, deren Mitglieder über die ganze Projektdauer hinweg im Ausschuss mitwirken. Insbesondere nach einer Reorganisation ist es üblich, für einen bestimmten Bereich die nicht mehr zuständigen Vertreter auszutauschen. Mögliche und im Projektverlauf zum "scope creep" beitragende Folgen sind häufig neue Ideen, Anforderungen und Änderungswünsche.
- Informationsgefälle: In der Regel besteht ein mehr oder weniger krasses Informationsgefälle zwischen der mit allen Details vertrauten Projektleitung und dem für die strategische Steuerung verantwortlichen Projektausschuss. Mögliche Folgen – insbesondere bei tiefer Sitzungskadenz – sind Projektausschüsse, die nicht am Puls des Geschehens sind und nur noch reine "Abnick-Funktionen" wahrnehmen.
- Interessenkonflikte: Beim bereits erwähnten Grossprojekt Insieme und in einigen anderen Untersuchungsberichten ist von erschreckend offensichtlichen Interessenkonflikten die Rede. Ein solcher liegt immer dann vor, wenn ein Leistungsempfänger (Auftraggeber, Benutzer, Kunde etc.) gleichzeitig auch eine Funktion auf der Seite des Leistungserbringers (Lieferant, Beratungsfirma, IT-Abteilung usw.) wahrnimmt. Mögliche Folgen sind unklare Verantwortlichkeiten, Machtkonzentration, schlimmstenfalls sogar Korruption.
- Toxische Gruppendynamik: Eine solche entsteht oft bei zu grossen Projektausschüssen, manchmal gekoppelt mit mehr oder weniger ausgeprägtem Dominanzverhalten des Vorsitzenden. Mögliche Folgen sind mangelhafte Entscheidungsprozesse, Gruppenbildung, Unterdrückung abweichender Meinungen, "Politik" und vieles mehr.
Diese Liste ähnelt in verblüffender Weise den Kritikpunkten, die auch gegen zahlreiche Verwaltungsratsgremien in Schweizer Aktiengesellschaften vorgebracht werden. Folgerichtig basieren auch die nachfolgend beschriebenen Lösungsansätze auf der Ähnlichkeit zwischen Projektausschüssen und Verwaltungsräten.
Lösungsansätze und Alternativen
Vorab ein paar grundsätzliche Bemerkungen über ein gegenüber Hermes erweitertes Verständnis der Aufgaben und Verantwortlichkeiten eines Projektausschusses: Ähnlich dem Verwaltungsrat bei der Aktiengesellschaft trägt ein Steuerungsausschuss die Oberverantwortung für den Erfolg oder Misserfolg eines Projektes. Ihm obliegt dabei nicht nur die strategische Steuerung, sondern auch die laufende Aufsicht über die Projektleitung.
Daraus abgeleitet ergeben sich ein paar Prinzipien für einen wirkungsvollen Setup von Projektausschüssen:
- Verantwortung ist nicht delegierbar: Im Rahmen einer internen Untersuchung zum Insieme-Debakel kommt der Bundesrat in seinem Bericht 2014 zum Schluss, dass Verantwortung im Unterschied zu Aufgaben und Kompetenzen nicht delegierbar sei. Dem ist vollumfänglich zuzustimmen.
- Verantwortung ist individuell: Die Auftraggeberin des Vorhabens muss eine "natürliche Person aus der Stammorganisation" (s. Hermes 2022) sein, welche die Oberverantwortung für den Projekterfolg trägt und über die entsprechenden Kompetenzen verfügt. Dieser Grundsatz schliesst aus, dass ein Gremium als Ganzes die Verantwortung für ein Vorhaben übernehmen kann. Ausserdem: Wer sich direkt verantwortlich fühlt, wird sich auch getrauen, kritische und unangenehme Fragen zu stellen oder einem dominanten Vorsitzenden zu widersprechen.
- Projektmitsprache nur gegen Übernahme von Verantwortung: Wer im Projekt mitreden will, muss bereit sein, individuelle Verantwortung für einen bestimmten Bereich zu übernehmen. Das Prinzip der individuellen Verantwortung sorgt nicht nur für klare Zuständigkeiten innerhalb des Ausschusses, sondern führt auch dazu, dass auf sogenannte Expertengremien wie Fachausschüsse, Sounding oder Advisory Boards verzichtet werden kann beziehungsweise sogar muss.
Modell A: "Rhythmus ersetzt Kraft"
Für Grossprojekte, die sich im Rahmen der
initialen 3D-Risikobeurteilung im roten Bereich bewegen, mag der unten beschriebene Lösungsansatz geeignet sein. Dabei wird auf monatliche oder gar nur quartalsmässige Projektausschuss-Meetings verzichtet. Statt seltener Termine mit hochgestellten Managern gibt es regelmässige, kurze und wenig formelle, vom Auftraggeber geleitete Treffen zwischen Projektleitung und den am Projekt beteiligten Managern.
Nach mehrfacher, erfolgreicher Anwendung dieses Modells in Grossprojekten sind für mich die Vorteile offenkundig:
Vorteile für das Management:
- Die obersten Entscheidungsträger sind nahe am Puls des Geschehens und haben ein besseres Gespür für aufkommende Risiken und Gefahren.
- Bereits nach wenigen Meetings können sie sich eine Meinung über die Qualität der Projektleitung bilden.
- Die Zuständigkeiten sind klar geregelt und entsprechen denjenigen der vertretenen Departemente; eine indirekte Folge der Nähe zum Projekt und der klaren Zuständigkeiten ist, dass sich zusätzliche Expertise aus den Departementen einfacher einbringen lässt.
- Weil die Mitglieder vor und nach den Projektmeetings bei ihren sonstigen Aufgaben weiter konstruktiv zusammenarbeiten wollen, wird weitgehend auf "Politik" verzichtet.
- Es werden nicht immer alle Manager am wöchentlichen Treffen teilnehmen können, aber unter dem Strich ist die Kohärenz der Entscheidungen wesentlich grösser als bei herkömmlichen Projektausschüssen; ausserdem entstehen wegen einzelner verpasster Meetings keine übergrossen Informationslücken bei den Beteiligten.
- Die beim Treffen anwesenden Manager wissen in der Regel noch, was eine Woche zuvor entschieden wurde.
Vorteile für die Projektleitung:
- Die Projektleitung kommt aufgrund der kurzen Kommunikationswege zu schnelleren Entscheidungen;
- Dank regelmässiger Sitzungen bleiben Korrekturen am Kurs des Projektes in überschaubarem Rahmen;
- Aufgrund des nur halb-formellen Sitzungscharakters hält sich die Vor- und Nachbearbeitung für die Projektleiterin in Grenzen (weder aufwändige Powerpoint-Schlachten noch detaillierte Wortprotokolle nötig).
Modell B: "Weniger ist mehr"
Dieser Lösungsansatz lehnt sich stärker an das Modell moderner Verwaltungsräte an und übernimmt einige der dort bewährten Elemente, unter anderem die Beschränkung auf wenige Mitglieder.
Dazu ein kurzer Erfahrungsbericht: Ein ehemaliger Verwaltungsrat einer renommierten Zürcher Privatbank hat mir einst den Hauptvorteil eines kleinen Aufsichtsgremiums erklärt: "Wir sind fünf Mitglieder im Verwaltungsrat. Jeder hat sein Spezialgebiet, für das er verantwortlich ist. Wenn ein heikles Geschäft auf den Tisch kommt, schauen wir uns gegenseitig in die Augen und jeder weiss, wer dafür zuständig und somit verantwortlich ist. Bei mehr als sieben Verwaltungsräten verschwindet diese direkte Verantwortlichkeit und man könnte eigentlich auch darauf verzichten."
Die Obergrenze von sieben Mitgliedern in einem Projektausschuss macht ihre Auswahl erheblich anspruchsvoller. Das wichtigste Kriterium für eine Einsitznahme im obersten Aufsichts- und Entscheidungsgremium ist die aktive und über den gesamten Projektverlauf andauernde Beteiligung der repräsentierten Organisationseinheit. Wer nur sporadisch ins Geschehen einbezogen wird (z.B. Procurement, Legal & Compliance etc.) oder nur indirekt vom Ergebnis betroffen ist (z.B. Externe Beratungsfirmen), sollte nicht im Projektausschuss vertreten sein. Dasselbe gilt selbstredend auch für die Projektleitung, die keine Aufsicht über sich selbst ausüben darf und das Audit, welches in seiner Funktion als Kontrollorgan strikte Neutralität gegenüber dem Projekt und dessen Beteiligten zu wahren hat.
Wichtig bei diesem Modell ist, dass – ähnlich wie in modernen Verwaltungsräten – Bereiche und Themen für die laufende Aufsicht abgegrenzt und einzelnen Mitgliedern verantwortlich zugewiesen werden. Dafür bieten sich typischerweise folgende Themengebiete an: Kosten/Termine/Methodik, Funktionsumfang (Scope) und Risikomanagement. Ob die dafür verantwortlichen Ausschussmitglieder die Aufsicht allein oder im Rahmen spezifischer Committees wahrnehmen, bleibt ihnen überlassen. Dasselbe gilt für den Beizug interner oder externer Fachleute, die allerdings nicht als formelle Ausschussmitglieder gelten, sprich kein Stimmrecht haben.
Fazit und Schlussbemerkungen
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei der Untersuchung gescheiterter IT-Grossprojekte nicht nur die überforderte Projektleitung, sondern unter den Hauptursachen meistens auch die mangelhafte Governance zu finden ist. Die vielerorts praktizierte Gremien-Verantwortung ohne klare Definition der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung ihrer Mitglieder trägt erheblich zur unklaren Zuständigkeit bei.
Die oben beschriebenen Lösungsansätze sind dazu gedacht, zusätzlich zur bereits heute klar umrissenen Verantwortlichkeit der Auftraggeberin auch diejenige der einzelnen Ausschussmitglieder zu schärfen.
Über den Autor
Im "Thüring-Test" analysiert Markus Thüring quartalsweise IT-Projekte und deren Probleme. Der Grossprojektleiter hat in seiner 40-jährigen Karriere für grosse Schweizer Finanzinstitute als Business Analyst, Projektleiter und Program Manager gearbeitet. Vor seiner Pensionierung leitete er Projekte mit zweistelligen Millionenbudgets. Derzeit ist er wieder in Teilzeit in der Projektleitung tätig. Im letzten Herbst ist sein Buch "Projektmanagement für Profis" im Omnino Verlag erschienen. Es geht darin vor allem um Hinweise auf die gröbsten Fehler und mögliche Gegenmassnahmen in IT-Projekten. Er äussert hier seine persönliche Meinung.