Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig und eines der grössten Probleme der Branche überhaupt. Tatsächlich? So allgemeingültig wie das immer behauptet wird, stimmt die Aussage in meinen Augen nicht. Wie bei so vielen Themen ist auch im Arbeitsmarkt etwas Differenzierung angebracht.
Ich traf in den letzten zwei bis drei Monaten rund 20 Chefs (darunter keine einzige Frau, aber das ist ein anderes Thema) von IT-Anbietern und -Dienstleistern. Nur rund die Hälfte davon bezeichnete den Mangel an Fachkräften als seine grösste Herausforderung. Die zweite Hälfte hingegen sprach von anderen, nun ja, "Herausforderungen".
Fachkräftemangel? Es kommt darauf an
Ich muss es so zitieren, denn "Probleme" oder "Schwierigkeiten" haben Manager offenbar nie, es ist immer alles eine "Herausforderung". Das klingt nicht nur besser, sondern auch lösbarer – obwohl noch niemand die dringend gesuchten Security-Fachleute einfach so auf der Strasse gefunden hat.
Es ist genau dieser Bereich in dem der Fachkräftemangel tatsächlich Realität ist. Einer aktuellen Befragung zufolge benötigt jedes dritte Unternehmen für die
Besetzung von Stellen mit hohem Qualifikationsprofil sechs bis neun Monate, ein Viertel der Firmen sogar mehr als ein Jahr. Bei der anderen Hälfte der Unternehmen dauert es über ein halbes Jahr, um Stellen zu besetzen.
Vom Arbeitgeber zum Arbeitskraftnehmer
In anderen Bereichen ist der Fachkräftemangel weniger ausgeprägt oder gar nicht existent – wenn die Voraussetzungen stimmen. Damit meine ich: Wie positionieren sich Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt? Noch als Arbeitgeber oder schon als Arbeitskraftnehmer? Das ist ein entscheidender Unterschied, finde ich. Und es ist vermutlich auch ein Kulturwandel.
In einem Markt, in dem die Anzahl Arbeitskräfte grösser ist als die Anzahl der verfügbaren Stellen, muss man sich herausputzen und von seiner besten Seite zeigen – so wie als Mann auf einer Singlebörse – und sich überlegen: Was muss ich bieten, um gewählt zu werden? Was zeichnet mich aus und was macht mich attraktiv? Wer das Herausstreichen kann, findet die passenden Mitarbeitenden (bzw. Partnerinnen oder Partner) schneller als andere und hat entsprechend weniger das Gefühl, dass es überhaupt einen Fachkräftemangel gibt.
Big Tech hat den Schweizer Arbeitsmarkt kaputtgemacht
Eines der Argumente, um anziehend für Arbeitskräfte zu wirken, ist natürlich das Gehalt. Und bei dieser Frage waren sich die 20 IT-Chefs einig: Die Präsenz von Big Tech auf dem Schweizer Arbeitsmarkt hat diesen "kaputtgemacht", das wurde mehrfach exakt so formuliert. Kleinere oder grössere Schweizer IT-Arbeitskraftnehmer können, unabhängig davon, wie sie finanziert sind, mit den Lohntüten von beispielsweise Google nicht mithalten.
Über konkrete Zahlen haben wir nie gesprochen. Was in der IT im Schnitt verdient werden kann, lässt sich im
aktuellen Lohnbuch gut ablesen. Nur: Big Tech zahlt weit über dem Durchschnitt, teilweise bis zu "das Doppelte" davon. Jetzt kann man sagen: "Jä nu, das ist halt der Markt" und hat damit sicher nicht unrecht. Für unfair halte ich es trotzdem, weil Schweizer Arbeitgeber bedeutend mehr (zumindest im Verhältnis zur Anzahl Arbeitsplätze) in die Ausbildung des IT-Nachwuchses investieren, als Big Tech dies tut.
Herausputzen müssen sich beide Seiten
Womit ich zur eingangs erwähnten Stellenausschreibung des Kinderspitals Zürich komme: Im Mai schrieb das Spital eine CISO-Stelle mit einem Bruttogehalt aus, das sich bei einem 100%-Pensum voraussichtlich
zwischen 113'000 und 133'000 Franken pro Jahr" bewege. Dass das Kispi die Stelle zu diesem Gehalt nicht besetzen konnte, erstaunt nicht. Nun hat es die Stelle
erneut ausgeschrieben, zum Lohn heisst es nur noch: "Die genaue Lohnhöhe richtet sich nach deiner Ausbildung und Berufserfahrung. Im Verlauf des Auswahlverfahrens werden wir deinen Lohn aufgrund unserer Lohnrichtlinien festlegen." Voilà.
Wenn das Thema Fachkräftemangel diskutiert wird, darf nie vergessen werden, dass die Anzahl der arbeitslosen Informatikerinnen und Informatiker
stabil bleibt oder sogar steigt – wenn auch auf tiefem Niveau . Auf den ersten Blick erstaunt das zwar, aber was für Unternehmen gilt, gilt gleichermassen für Menschen: Ohne sich herausputzen, lies: weiterzubilden, geht's auch nicht. Durch den Wandel in den Unternehmen weg von On-Prem, hin zu Cloud und nun KI (in welcher Form auch immer) sind andere Profile gefragt als früher.
*Der Titel ist ein Wortspiel. Mir sagte man immer: Wortspiele sind schlecht, wenn man sie erklären muss. Aber mir gefällt es so gut, dass ich es trotzdem mach(t)e: Ciso = Sie so.
Vogt macht Ferien. Meine nächste Kolumne gibts am 9. August. Ausser, es passiert wieder etwas – wie beim letzten Mal.