Wahl-Report: Das sind die Tech-affinsten Politikerinnen und Politiker

9. Oktober 2023 um 11:58
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Die letzte Herbstsession im Bundeshaus. Foto: Parlamentsdienste / Tim Loosli

Der Verein CH++ hat für die kommenden Wahlen erstmals ein Tech-Rating veröffentlicht. Dieses bewertet Parlamentsmitglieder und Kandidierende nach ihrer Haltung zu digitalen Fragen.

Seit dem vergangenen Wochenende ist mit dem Tech-Rating eine weitere Wahlhilfe für die kommenden nationalen Wahlen online. Erstellt hat es der Verein CH++. Die Idee für das Ranking sei eng mit der Entstehungsgeschichte des Vereins verknüpft, erklärt Vorstandsmitglied Hannes Gassert gegenüber inside-it.ch. "Wir von CH++ waren alle auf die eine oder andere Weise in der Corona-Pandemie in die Bewältigung der Krise eingebunden und spürten sehr konkret, wie die Schweiz an ihre Grenzen kam. Den technologischen Rückstand in Politik und Verwaltung können wir mit einigen Jahrzehnten beziffern."
Als Konsequenz nennt Gassert mangelnde Cybersicherheit, ungenügenden Datenschutz und wichtige Digitalisierungsprojekte, die versanden oder Unsummen an Mehrkosten verursachen. "Als CH++ wollen wir das Ruder herumreissen und für technologische Kompetenz im Parlament sorgen. Das Tech-Rating ist ein wichtiges Mittel dafür: Denn am Ende sind es die Bürgerinnen und Bürger, die entscheiden, welche Kompetenzen und Sensibilitäten im Parlament vertreten sind. Und wir bieten ihnen eine Orientierungshilfe dafür."

Die Bewertungskriterien des Ratings

Vorstandsmitglied Esther de Boer erläutert die Bewertungskriterien des Ratings: "Es ist auf 3 Pfeilern aufgebaut: dem Abstimmungsverhalten der bisherigen Parlamentarierinnen und Parlamentarier, einem Fragebogen, den wir diesen Sommer verschickt haben, und einer Reputationsnote, die unser Vorstand und Beirat an ganz besonders engagierte Parlamentsmitglieder vergeben hat." Diese Elemente ergeben eine Note, die in Prozentzahlen angegeben wird. "Aktuell haben wir für die Bisherigen und die neu Kandidierenden 2 separate Ratings. Die genaue Methodologie kann direkt auf der Website nachgelesen werden." Die Wahlhilfe sei kein wissenschaftliches Rating, sondern ein subjektives Verfahren, hält CH++ dort fest.
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Website Techrating.ch.
Werfen wir also einen Blick auf Techrating.ch und die Top 10 der bisherigen Parlamentsmitglieder.
1. Gerhard Andrey (Grüne/FR), Jörg Mäder (GLP/ZH), Samuel Bendahan (SP/VD), Min Li Marti (SP/ZH) und Ursula Schneider Schüttel (SP/FR), jeweils 100%
6. Felix Wettstein (Grüne/SO), 99,6%
7. Meret Schneider (Grüne/ZH), 99,4%
8. Emmanuel Amoos (SP/VS) und Céline Widmer (SP/ZH), 98,8%
10. Kilian Baumann (Grüne/BE), 98,6%
Dahinter finden sich zahlreiche Bisherige aus allen Landesteilen mit einer Bewertung von 80% bis 98% – die schlechteste Bewertung liegt bei 13,3%. Über das Profil der Politikerinnen und Politiker lässt sich jeweils ihr Abstimmungsverhalten bei Vorlagen wie der E-ID, dem nationalen Testinstitut für Cybersicherheit (NTC) oder der Chat-Kontrolle sowie ihre Antworten auf Fragen von CH++ nachlesen. Sie können auch nach Kantonen und Parteien gefiltert werden.
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Esther-Mirjam de Boer.
Bei den Fragen liege auch ein Unterschied zum Digitalisierungsmonitor von Smartvote, erklärt De Boer. "Der Smartvote-Fragebogen gibt keine Idealposition vor – wir dagegen schon. Wir sind dadurch inhaltlich viel eindeutiger. Und wir beziehen Fragen ein zur Wissenschaftlichkeit, die über reine Tech-Fragen hinausgehen." Die beiden Wahlhilfen seien deshalb komplementär zu nutzen.

Antworten von 400 Kandidierenden

Bei den neu Kandidierenden erstellte der Verein seine 2. Website Futuretechrating.ch auf Basis der Umfrage. "Wir haben für diesen ersten Durchlauf aus Ressourcengründen nur die Kandidierenden der nationalen Parteien angeschrieben", erklärt Gassert zum Vorgehen. Die Parteisekretariate hätten den Fragebogen an ihre Kandidierenden verschickt. Aktuell seien rund 400 Kandidierende mit ihren Antworten aufgeführt. "Bewährt sich das Instrument, lässt es sich fraglos auf die lokalen Parteien und Listen ausdehnen."
Zu den Ergebnissen sagt er: "Progressive Politik und verantwortungsvolle Digitalisierung gehen Hand in Hand. Wir haben Parlamentsmitglieder mit sehr guten Ergebnissen in den meisten Parteien und wir sind überzeugt, dass die bürgerlichen Parteien in der neuen Legislatur ihr technologiepolitisches Potenzial besser werden ausschöpfen können — ja müssen." Für Esther de Boer liegt hier auch eine Überraschung: "Wir hätten sicherlich bessere Resultate bei der FDP und der Mitte erwartet. Vor allem, da wir mit einigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus diesen Parteien sehr gut zusammenarbeiten."

Themen nicht mehr nur der Tech-Bubble überlassen

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Hannes Gassert.
Die Reaktion auf die Anfragen sei aber durchweg positiv gewesen. "Wir haben viele Verständnisfragen erhalten, was ein gutes Zeichen ist. Denn es ist auch unsere Aufgabe, Sachverhalte zu erklären", so Gassert. "Wir wollen, dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier viel systematischer auf die digitale Zivilgesellschaft zugehen, denn digitalpolitische Fragen stecken in sehr vielen parlamentarischen Geschäften. Die Schweizerische Technologiepolitik war zu lange von Partikularinteressen geprägt." Ohne Technologie könnten viele Krisen unserer Zeit wie die Klima- und Energiekrise nicht gemeistert werden.
Darum richte sich das Rating auch nicht nur an Tech-affine Menschen, sondern an die ganze Stimmbevölkerung, sind die beiden Vorstandsmitglieder des Vereins überzeugt. "Wir dürfen diese Themen nicht mehr der Tech-Bubble überlassen", sagt Gassert. Immer mehr Menschen würden merken, dass Daten und Algorithmen sie direkt betreffen. "Ob das E-ID-Referendum oder die Aufnahme der digitalen Souveränität in die Genfer Verfassung: Digitalpolitik ist längst kein Nischenthema mehr."

Rating soll laufend aktualisiert werden

Als wichtige Themen der kommenden Legislatur nennt er Cybersicherheit, KI-Regulierung, die Umsetzung von digitalen Grossprojekten wie der E-ID oder des elektronischen Patientendossiers. Themen, zu denen inside-it.ch im "Wahl-Report" auch die 6 Fraktionsparteien befragt hat. "Die Strukturen und Anreize müssen ebenso angepasst werden, damit wir nicht nur Gesetze, sondern Resultate kriegen", fordert Gassert weiter.
CH++ werde die Website deshalb auch nach den Wahlen aufdatieren. Das Tool soll sich zu einer Referenz in digitalen Themenbereichen entwickeln. "Es wird laufend mit den Resultaten der Sessionen in Bern nachgeführt werden. Es soll damit ein echtes Arbeitswerkzeug werden — vielleicht eines Tages sogar in den Kantonen", wünscht sich Gassert.

Wahl-Report 2023

Am 22. Oktober stehen die eidgenössischen Wahlen an. Inside-it.ch befragt die 6 Fraktionsparteien im Bundeshaus zu digitalen Themen.

Antworten der Parteien

30. August: GLP 6. September: Die Mitte 13. September: Die Grünen 20. September: SP 27. September: SVP 4. Oktober: FDP

Analysen

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