Klotzen, nicht kleckern: Das Stadtkomitee (Exekutive) von Ho-Chi-Minh-Stadt stampft eine riesige Software-Stadt aus dem Boden. Topshots erläutern die Strategie von Partei und Regierung Vietnams in Exklusiv-Gesprächen mit inside-it.ch.
Vietnam kommunistisch? Rita Nguyen, "Jedi Master" des kalifornisch-vietnamesischen Startups Skunkworks und Tochter von 'Boatpeople' (Flüchtlingen) lacht und antwortet auf unsere Frage, warum ausgerechnet ein US-Startup den Hauptsitz im kommunistischen Vietnam habe, mit einer Gegenfrage: "Ist Vietnam noch sozialistisch?" Auch andere Software-Unternehmer betonten im Gespräch mit inside-it.ch, wie unternehmerfreundlich, etwa im Bezug auf Arbeitsgesetze, das Land sei.
Andererseits: Wer gut hinschaut, entdeckt überall in Ho-Chi-Minh-Stadt altertümlich wirkende Propaganda-Plakate mit 'Onkel Ho', herzigen Kinderchen oder grimmig-siegessicheren Soldaten. Und beim Gespräch mit Nguyen Anh Tuan, Vizedirektor des Department of Information and Communication des Volkskomitees (Exekutive) der Stadt sitzen wir unter der roten Fahne mit dem gelben Stern in einem grossen Saal gleich sechs GenossInnen und einer goldenen Ho-Chi-Minh-Büste gegenüber. Nguyen ist übrigens auch nicht einfach Spitzenbeamter der Riesenstadt, sondern als Mitglied des Volkskomitees auch ein wichtiges Parteimitglied.
Und von Chu Tien Dung, Präsident der riesigen "Software-Stadt" am Rande von Ho Chi Minh City, in der unter vielen anderen auch der Schweizer Offshore-Anbieter Swiss IT Bridge angesiedelt ist, sagt man gar, er habe gute Chancen auf einen Ministerposten in Hanoi.
Hohe Wertschöpfung mit Software-Produktion
Der Staat fördert die Software-Industrie stark und offensichtlich erfolgreich. So wuchs der Umsatz der Software-Industrie 2009 um 25 Prozent (auf 850 Millionen Dollar), während die noch viel grössere Hardware-Industrie "nur" um 13 Prozent auf 4,6 Milliarden Dollar zulegte.
Ganz offensichtlich will Vietnam kein Tieflohn-Eldorado für die grossen Textilmarken und Hardware-Hersteller bleiben. Nguyen: "Menschliche Ressourcen sind der wichtigste Faktor in der Software-Industrie. Wir haben sehr viele junge und talentierte Leute, die wir zu Ingenieuren ausbilden können. Für die Entwicklung einer Hardware-Industrie braucht es hingegen viel Kapital und die technologischen Hürden sind hoch. Deshalb haben wir beschlossen, uns auf Software zu konzentrieren."
Die Investitionen von Vietnam in die Förderung der Software-Industrie sind eindrücklich. Im März 2001 begann die Stadt mit dem Bau der 'Quang Trung Software City' in der Nähe des Flughafens, um nur ein Beispiel zu nennen. Heute gibt es dort eine ganze Reihe von Bürotürmen, Restaurants, Sportplätzen, Schulen und eine Universität. Die vom damaligen Bürgermeister und heutigen Premierminister, Nguyen Tan Dung, initiierte "Software-Stadt" bietet heute nach 10 Jahren 22'000 Ausbildungs- und Arbeitsplätze und gilt in Vietnam als vorbildliches Projekt. Doch der Andrang von Firmen ist nicht so gross, wie man es gerne darstellt - wir sahen bei unserem Besuch auch leere Büroflächen, unvollendete Bauten und geschlossene Restaurants. Doch erfolglos ist die "Software-Stadt" nicht - erst vor kurzem hat Hewlett-Packard angekündigt, mit 1000 Arbeitsplätzen einziehen zu wollen. Der US-Riese könnte weitere Firmen nach sich ziehen, hofft der Chef der Quang Trung Software City, Chu.
Rundum-Services für Software-Firmen
Firmen, die sich in Ho Chi Minh City niederlassen wollen, bietet die Software-Stadt eine Reihe von Dienstleistungen, so die Hilfe bei Genehmigungen und anderen Formalitäten, Vermietung von Büros, sichere Stromversorgung und Telekommunikaton, Marktforschung, Hilfe bei der Rekrutierung von Mitarbeitern, die Organisation von Konferenzen und Kontakte zu den Behörden. Ausserdem müssen Software-Firmen - auch ausländische - in den ersten vier Jahren keine Gewinnsteuern bezahlen.
Ausland-Vietnamesen zurückholen
Die Ziele der kommunistischen Partei und der Regierung sind hoch: Bis 2020 soll die IT-Industrie zwanzig Prozent des Bruttosozialprodukts des Landes erarbeiten. Um das zu erreichen, verfolgt das Land drei Ziele, wie Nguyen im Gespräch mit inside-it.ch sagte. Erstens will man die Ausbildung der Ingenieurinnen und Ingenieure verbessern und holt dafür Top-Referenten aus dem Ausland nach Vietnam und kooperiert mit ausländischen Universitäten. Zweitens will Vietnam mit Outsourcing-Aufträgen Know-how ins Land holen. So begann die heute grösste Software-Firma Vietnams FPT Software mit Software-Testing.
Wer Software-Entwicklung nach Vietnam verlagert, muss sich also im klaren sein, dass das Outsourcing-Geschäft für Regierung und Wirtschaft Vietnams nur Mittel zum Zweck auf dem Weg zu einer modernen Gesellschaft ist.
Drittens, so Nguyen, fordert der Staat seine Bürger im Ausland, die in der IT-Industrie arbeiten, dazu auf, zurückzukehren und in Vietnam zu investieren. Wie sehr Nguyen dies betont, zeigt wie rasch und radikal sich Vietnam seit dem Krieg verändert hat, denn die Leute, die man nun gleichzeitig um Hilfe bittet und ihnen anbietet, Geld zu machen, sind die Kinder der ehemaligen Feinde der harten Zeit nach dem Sieg gegen die USA und die südvietnamesische Regierung. (Christoph Hugenschmidt)
(Foto: Sitz der zweitgrössten vietnamesischen Software-Firma TMA Solutions in Quang Trung Software City. Foto klein Startseite: Ausschnitt aus einer Werbezeichnung für die QTSC)