Die Vorgeschichte beginnt vor rund einem Jahr. Im Mai 2022 hat das Parlament die
vorsorglichen Massnahmen gegen Medien verschärft. Seitdem können missliebige Medienartikel einfacher mit einer superprovisorischen Verfügung verhindert werden als zuvor, es genügt, einen "schwerwiegenden Nachteil" geltend zu machen. CH-Media-Chefredaktor Patrik Müller nannte das damals ein
"Signal gegen die Medienfreiheit". Nun wendet das Medienhaus das Mittel selbst an, um eine Passage aus unserem Artikel über den Cyberangriff auf CH Media streichen zu lassen.
Jahrelange Berichterstattung war nie ein Problem – bis jetzt
Wir
berichten seit Jahren über Cyberangriffe auf Schweizer Unternehmen, Organisationen und Behörden. Die Berichterstattung von uns und von Kolleginnen und Kollegen hat so manches Mal dafür gesorgt, dass Cyberangriffe von den Betroffenen nicht unter den Teppich gekehrt werden konnten, sondern dass Mitarbeitende, Kundinnen und Kunden und weitere Stakeholder Bescheid wussten. Das ist essenziell und trägt einerseits zu einem besseren Datenschutz bei, andererseits sorgt es dafür, dass künftig weniger Cyberangriffe passieren. Denn je transparenter die Kommunikation, desto besser die Awareness für Security-Massnahmen.
Trotz unzähliger Artikel und trotz umfangreichen Recherchen im Darkweb wurde unser Vorgehen nie angezweifelt. Schliesslich sind im Darkweb geleakte Dateien öffentlich verfügbar und selbst für Menschen ohne Fachwissen auffindbar. Ausserdem nutzen nicht nur wir das Darkweb für Recherchen, sondern zahlreiche weitere Redaktionen im In- und Ausland. Nie hätte ich damit gerechnet, dass die Durchsicht öffentlicher Dateien für Probleme sorgen wird.
Medien zensieren Medien
Umso schlimmer, dass ausgerechnet ein Medienhaus nun von der "Superprovisorischen" Gebrauch gemacht hat: Nach unserer Berichterstattung zum Cyberangriff auf CH Media zwang uns das Aargauer Handelsgericht auf Gesuch von CH Media einen Abschnitt aus dem Text zu löschen. Darin war zu lesen, welche Art Dokumente Cyberkriminelle dem Medienhaus gestohlen und im Darkweb veröffentlicht haben.
Darüber hinaus wurde uns verboten, "von Cyberkriminellen im Darknet veröffentlichte Dokumente aus dem Darknet herunterzuladen, zu bearbeiten und diese oder Informationen aus diesen Dokumenten im Rahmen von Medienberichterstattungen zu veröffentlichen." Genauso wie uns erging es auch der '
Wochenzeitung', '
Zentralplus' oder der 'Netzwoche'. Niemand der Betroffenen hat sich etwas vorzuwerfen, weil keine konkreten Inhalte der Dokumente publiziert worden sind.
Aufhebung der Verfügung gefordert
Mich irritiert das Vorgehen der Gesuchsteller CH Media Holding AG und AZ Vertriebs AG in höchstem Masse. Einerseits, weil in einem Telefonat womöglich die wichtigsten Differenzen schon hätten ausgeräumt werden können. Andererseits, weil Medien anderen Medien nicht die Recherche verbieten und die Berichterstattung erschweren sollten. Das Vorgehen des Aargauer Medienhauses ist enorm pressefeindlich.
Wir werden die superprovisorische Verfügung anfechten und das Handelsgericht Aargau auffordern, diese wieder aufzuheben. Denn: Recherchen im Darkweb müssen möglich sein.