

Studie: Auf dem Arbeitsmarkt gibt es genügend ICT-Kompetenzen
27. Oktober 2020 um 15:08Eine Studie sieht den Kompetenz-Mangel im ICT-Arbeitsmarkt als Mythos. Sie widerspricht ICT-Berufsbildung Schweiz. Der Verband wehrt sich vehement.
Der Fachkräfte-Mangel in der Schweizer IT-Welt wird viel diskutiert. Eine neue Studie der Universität Basel will nun Licht ins Dunkel bringen – oder zumindest die Frage neu beleuchten. Ihre Hauptaussage: ICT-Kompetenzen sind weniger gefragt, als gemeinhin angenommen. Der Befund beruht auf der Auswertung von fast 5 Millionen Stelleninseraten zwischen 2012 und 2019.
Die Online-Stelleninserate nahmen in diesem Zeitraum jährlich um einen Fünftel zu, so dass jedes Jahr rund 82'000 Stellen mehr ausgeschrieben wurden. Im gleichen Zeitraum fiel die Nachfrage nach ICT-Kompetenzen: Waren sie 2012 noch bei über einem Drittel der Stellenausschreibungen gefragt, war dies 2019 nur noch in etwas mehr als einem Viertel der Fall. Dies deute auf eine nachlassende Nachfrage nach ICT-Know-how hin, schreibt Studienautor George Sheldon.
Auch die Ausschreibungsdauer der Stelleninserate würde auf keine Knappheit an Arbeitssuchenden mit ICT-Kompetenzen hindeuten – im Gegenteil: Es sei über den gesamten Zeitraum der Untersuchung kein statistisch gesicherter Unterschied bei der Aufschaltungs-Dauer von Online-Stelleninseraten mit und ohne ICT-Anforderungen festzustellen, heisst es in der Studie aus Basel. Bei Inseraten mit ICT-Bezug habe sich die Schaltdauer im Mittel sogar reduziert, was darauf hindeute, dass die Stellen rascher besetzt wurden. In der Arbeitsmarktforschung neheme man bei einem solchen Trend üblicherweise an, dass der Mangel anArbeitskräften mit den betreffenden Fähigkeiten sinkt.
Worauf der Alarmruf von ICT-Berufsbildung beruht
Ganz anders sieht dies ICT-Berufsbildung Schweiz. Der Verband hatte erst im September eine Studie publiziert, in der vor einem riesigen Mangel an Fachkräften gewarnt wird: Die Schweizer Wirtschaft benötige bis 2028 insgesamt 117'900 zusätzliche ICT-Fachkräfte, hiess es dort. "Dies ist eine enorme bildungspolitische und gesamtwirtschaftliche Herausforderung, die nach ausserordentlichen Massnahmen verlangt", schlug der Verband damals Alarm.
ICT-Berufsbildung ermittelt die Knappheit in seiner Bedarfsprognose anders als George Sheldon: Der Verband schätzt Angebot und Nachfrage von ICT-Fachkräften und macht die Knappheit, daran fest, wie viele Stellen auf wie viele Stellensuchende kommen. Man habe aber auch auf die Datenbank zurückgegriffen, die in der neuen Studie aus Basel genutzt wurde, unterstreicht Andreas Kälin, Präsident von ICT-Berufsbildung Schweiz, auf Anfrage.
Die Basler Studie widerspricht dem Befund von ICT-Berufsbildung fundamental. Und Sheldon von der Basler Forschungsstelle für Arbeitsmarkt- und Industriökonomik stellt die Vorgehensweise der Verbandsstudie in Frage: Es würden Äpfel mit Birnen verglichen. Denn einen frisch Pensionierten könne man nicht einfach mit einem Studienabgänger gleichsetzen, so der Wirtschaftswissenschaftler auf Nachfrage von inside-it.ch. Zudem seien die zugrundeliegenden Berufsbezeichnungen nicht wirklich passend. In Inseraten würden schliesslich Fähigkeiten nachgefragt. Diese brächten zum Teil auch anderen Berufsgattungen mit, so würden etwa Absolventen eines Ökonomie-Studiums auch in IT-Berufen arbeiten.
Sheldon schränkt aber zugleich ein, dass Online-Ausschreibungen nicht alle offenen Stellen abdecken würden und viele Stellen intern oder informell besetzt würden. Allerdings biete keine andere Datenquelle als die in seiner Studie genutzte Datenbank des Unternehmens X28 einen detaillierteren Einblick in das aktuelle Geschehen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt, ist er überzeugt.
ICT-Berufsbildung kritisiert die Studie scharf
Kälins Entgegnung ist harsch: "Die Studie hat bezüglich des Fachkräftemangels keinerlei Aussagekraft". Der Präsident von ICT-Berufsbildung verweist darauf, dass laut Untersuchung aus Basel nur in einem Viertel der Berufe der Informatik auch ICT-Kompetenzen benötigt würden. "Die Studie sagt in anderen Worten, dass drei Viertel der Berufe der Informatik keine ICT-Kompetenzen benötigen", so Kälin. Des weiteren seien diverse Werte in der Studie nicht plausibel und die Zahl der ICT-Beschäftigten sei in den letzten neun Jahren um 50 Prozent gewachsen.
Die Differenzen mögen sich zum Teil auch aus den Definitionen erklären: Laut der Basler Studie sind von den ICT-Kompetenzen Prorammierkenntnisse am meisten gefragt. Dahinter folgen aber bereits konkrete Anwendungen, wobei Bürosoftware, deren Beherrschung in der Studie auch als ICT-Know-how klassifiziert ist, klar dominiert. Dahinter rangiert Wissen in Sachen Netzwerk gefolgt von Kenntnissen in den Bereichen Audio, Video und Grafik. Viele Anwenderkenntnisse würden heute als Allgemeinwissen vorausgesetzt und nicht mehr explizit ausgeschrieben, so dass sie in den untersuchten Inseraten nicht mehr auftauchen, so Kälin.
In der Studie "Bedarf und Knappheit an ICT‐Kompetenzen in der Schweizer Wirtschaft im Zeitraum 2012 – 2019" wurde auf die Datenbank des Unternehmen X28 zurückgegriffen, das seit 2012 mit einer spezialisierten Suchmaschine 5 Millionen Stelleninserate von Schweizer Firmenwebsites aggregiert hat. Das sind nach eigenem Bekunden 95% aller Stellenausschreibungen. Verfasst hat die Studie Professor George Sheldon von der Universität Basel im Auftrag der Foundation CH2048, die sich die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz auf die Fahnen geschrieben hat.
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