Normalerweise schenke ich Mails der von mir genutzten Online-Anbieter wenig Beachtung und lösche sie sogleich. Wenn der Titel allerdings "Wir haben unsere AGB und Datenschutzerklärung vereinfacht" lautet, dann werde ich allein wegen des Begriffs "vereinfacht" hellhörig. Denn "vereinfachen" bedeutet meist wie bei Preisen "anpassen" statt "erhöhen" wenig Gutes. So geschehen Ende letzter Woche, als eine E-Mail mit dem oben zitierten Betreff von Bexio in meiner Inbox landete.
Bexio verlinkt in seiner Mail nicht einfach die "vereinfachten" Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und die Datenschutzerklärung (DSE) – die in der Regel sowieso niemand liest, weil viel zu lang und in Juristendeutsch geschrieben, sondern bringt verdankenswerterweise auch einen kurzen Überblick über die wichtigsten Anpassungen. In Bullet Point 2 heisst es dort: "Um Ihr Kundenerlebnis und die Leistungserbringung noch weiter zu verbessern, soll es zukünftig möglich sein, Stamm-Daten für Analyse- und Marketingzwecke mit der Muttergesellschaft Die Mobiliar zu teilen." Spätestens ab da hatten sie meine volle Aufmerksamkeit auf sicher.
Bevor ich etwas Licht in die, gelinde gesagt, leicht verwirrende Formulierung bringen will, muss ich vorgängig noch etwas ausholen.
Da ich mich erst einen Monat vor dem Deal intensiv mit Bexio und seiner Strategie auseinandergesetzt hatte, war ich über diese Entwicklung einerseits sehr aufgewühlt, andererseits fühlte ich mich aber auch dazu berufen, einen strategisch motivierten Kommentar zur Übernahme abzugeben. Meine Juli-Kolumne 2018 lautetet daher:
"Bexio und die Angst vor der Digitalisierung".
Eintreffende Prophezeiungen
In meiner Kolumne knüpfte ich an der zitierten Aussage von Jeremias Meier an und kam zum Schluss: "Plattform-Strategie verlangt Unabhängigkeit". Weiter stellte ich fest: "Ist es nicht vielmehr so, dass eine vertrauenswürdige KMU-Plattform vor allem ihre Unabhängigkeit pflegen sollte? Als Swiss Life, Baloise, Generali, Elvia oder Zurich und gleichzeitig Partner auf der Bexio-Plattform würde ich mich auf alle Fälle ständig fragen, ob ich die gleich langen Spiesse haben, wie der Eigentümer. Ich meine, mit der Änderung der Eigentümerschaft ist gleichzeitig auch eine grundlegende Änderung der Strategie angesagt. Und zwar eine Strategie, welche primär die Interessen der Mobiliar verfolgt." Vor dem Hintergrund der eingangs genannten Mail von Bexio klingt diese Feststellung geradezu prophetisch.
Doch nun zurück zu den "vereinfachten" Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und der Datenschutzerklärung (DSE) von Bexio.
In Ziffer 17 der AGB heisst es: "Der Kunde erklärt hiermit ausdrücklich sein Einverständnis zum Datenaustausch zwischen dem Provider (damit ist Bexio gemeint, Anm. Autor) und seiner Muttergesellschaft, der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft AG sowie den Versicherungsgesellschaften der Gruppe Mobiliar und weiteren zur Gruppe Mobiliar gehörende Gesellschaften gemäss Kapitel 6 der Datenschutzerklärung." Im Kapitel 6 der Datenschutzerklärung mit dem Titel "6. Datenaustausch Gruppe Mobiliar" heisst es sodann: "Mit Akzeptierung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sowie der vorliegenden Datenschutzerklärung des Providers erklärt der Kunde ausdrücklich sein Einverständnis zur Weitergabe seiner Daten an die Muttergesellschaft des Providers sowie verbundene Gesellschaften (nachfolgend gemeinsam "Mobiliar")". Zu welchen Zwecken die Daten an Mobiliar weitergegeben werden, führt die DSE-Bestimmung in der Folge auch aus. So soll dies für "Kundenstamm-Abgleich", "Marktsegment-Analyse", "Informationsaustausch" und für "Marketing- und Analysezwecke" erfolgen.
Meine Interpretation der obigen Zweckbestimmungen, zusammen mit den weiteren Ausführungen von Bexio, "die Kundenstammdaten werden zu statistischen Zwecken abgeglichen. Mit dem Abgleich wird analysiert, wie viele gemeinsame Kunden (zwischen Bexio und Mobiliar, Anm. Autor) bestehen, wie sich dieser Anteil im Zeitverlauf entwickelt und wie sich die gemeinsamen Kunden geografisch verteilen" und "ein Datenaustausch kann stattfinden, um den Kunden Angebote, Informationen oder Marketingmaterial über Produkte oder Dienstleistungen zukommen zu lassen, von welchen gestützt auf die Daten angenommen werden kann, sie könnten für den Kunden von Interesse sein", lässt dann für mich nur noch einen Schluss zu:
Die Mobiliar plant, alle Bexio KMU-Kunden mit dem eigenen Versicherungskundenstamm abzugleichen, die Noch-nicht-Kunden anschliessend mit penetrantem Marketing und – ich fürchte auch – nervigem Hardselling zu traktieren und gleichzeitig den bereits bestehenden Versicherungskunden so viele zusätzliche Policen wie möglich aufs Auge zu drücken. Methoden, derer sich die Versicherungen auch heute im Zeitalter von Content- und Inbound-Marketing nach wie vor gerne bedienen.
Um es an dieser Stelle ganz klar zu sagen. Als ich vor vielen Jahren bei Bexio (damals noch easySYS) ein Konto eröffnete und begann, dafür eine jährliche Gebühr zu bezahlen, wollte ich damit Rechnungen schreiben und meine Buchhaltung führen. Ich wollte damit aber keine Versicherungen abschliessen.
Fragen und fragwürdige Antworten
Dessen scheint sich auch Bexio bewusst zu sein. So finden sich in den aktuellen FAQs zu den "vereinfachten" Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) und Datenschutzerklärung (DSE) einige hochinteressante Fragen und Antworten.
Frage: "Ist der Datenzugriff durch unsere Mutter «die Mobiliar» legal?" Antwort: "Der Zugang zu den Daten erfolgt grundsätzlich nach dem Einwilligungsprinzip. D.h. Sie als Bexio-Kunde erteilen gemäss den geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) und Datenschutzerklärung (DSE) Ihre Einwilligung zu dieser Datenlieferung." Auf die Frage, warum die Daten an die Mobiliar weitergegeben werden, auch wenn man seine KMU-Versicherung gar nicht wechseln möchte, wird mit dem Allgemeinplatz von "ständiger Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen" geantwortet.
Der Hammer ist dann aber die Antwort auf die Frage, was man als Bexio-Kunde tun kann, wenn man mit dem Mobiliar-Datenaustausch nicht einverstanden ist. "Für die weitere Nutzung von Bexio ist die Zustimmung zu unseren neuen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) & Datenschutzerklärung (DSE) Voraussetzung. Sollten Sie als Bexio-Kunde mit den Anpassungen nicht einverstanden sein, so können Sie ihr Bexio Konto bis einschliesslich 01.06.2022 schliessen – was wir jedoch sehr bedauern würden." Das ist wahrlich starker Tobak.
Am Donnerstag, 19. Mai 2022 erhielt ich also als langjähriger Bexio-Kunde die Info, dass ab dem 01.06.2022 meine Daten an die Mobiliar weitergegeben werden. Wenn ich das nicht will, so habe ich also 12 Tage Zeit, mein Bexio-Konto zu schliessen. Im Ernst! 12 Tage, um ein komplettes ERP mit Geschäfts- und Buchhaltungsdaten aus zig Jahren zu migrieren! Die Beurteilung dieses Vorgehens überlasse ich gerne jedem Leser selbst, denn mir selbst fällt dazu nur der Begriff "Erpressung" ein.
Ich erlebe momentan eine zweite Prophezeiung. In meiner Kolumne zum Kauf von Bexio durch die Mobiliar formulierte ich am Schluss nämlich eine Hoffnung: "Als Bexio-Kunde hoffe ich auf zwei Dinge. Erstens, dass ich nicht bald alle meine Daten zu einer anderen Software zügeln muss und zweitens, dass aus Bexio nicht auch so eine langweilige und uninspirierende – wenn auch gut funktionierende – Plattform wie Ricardo.ch wird, nachdem diese von Tamedia gekauft wurde."
Meine erste Hoffnung hat sich gerade zerschlagen. Allerdings, und das weiss ich jetzt schon, werde ich vorderhand nicht wechseln. Da halte ich es mit dem Ausspruch von Thomas Flatt, Präsident von SwissICT. Er meinte an der letzten GV des Verbands, dass bei IT-Anwendern in 90% der Fälle die Convenience vor anderen Überlegungen gewinnt. Und ich gebe zu, ich bin in diesem Fall sehr bequem, denn eigentlich bin ich mit Bexio und dem, was es für meine Firma leistet, happy.
Und meine zweite Hoffnung? Ich sehe deutliche Anzeichen, dass auch diese den Bach hinunter geht. Nicht zuletzt, weil erst grad kürzlich bei Bexio die letzte unternehmerische Führung durch ein Grosskonzern-Management ausgewechselt wurde. Für mich ein deutliches Zeichen, dass der innovative Startup-Groove endgültig der Vergangenheit angehört. Gut denkbar, dass dieser Move sogar mit den von mir hier ausführlich geschilderten Ereignissen in einem Zusammenhang steht?
Urs Prantl war über 20 Jahre als Softwareunternehmer tätig. Seit 2012 begleitet er IT- und Software-Unternehmen auf ihrem Weg zu nachhaltig gesundem Wachstum und ist als M&A-Transaktionsberater in Nachfolgesituationen tätig. Er äussert als Kolumnist für inside-it.ch seine persönliche Meinung.