Foto: Kimberly Kläy und Aaliyah Janser / Deep Impact
Am 02. Februar 2023 ist das erste Event seiner Art – "E-Government im Fokus" – von inside-it.ch über die Bühne gegangen. Wir haben mit 4 Speakern diskutiert, die das Beschaffungswesen in- und auswendig kennen.
Das Kino Riffraff in Zürich füllt sich mit Informatikerinnen und Informatikern, Behördenangestellten und Juristinnen. Auf dem Kinoprogramm steht jedoch ausnahmsweise kein Marvel-Film, sondern das Mysterium ICT-Beschaffungswesen – was wohl angemerkt fast genauso verstrickt und kompliziert ist wie die ganze Marvel-Timeline.
Behörden und Organisationen schreiben täglich Hunderte von Aufträgen aus, viele davon aus dem ICT-Sektor. Doch mit der zunehmenden Bedeutung von Kriterien wie Nachhaltigkeit verändert sich auch das Beschaffungswesen. Das totalrevidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB), das eben diesem Kriterium in der Beschaffung mehr Gewicht beimessen wollte, trat am 1. Januar 2021 in Kraft.
An unserer hauseigenen Konferenz am 02. Februar 2023 haben wir mit 4 Expertinnen und Experten darüber diskutiert, was gerade im Schweizer Beschaffungswesen passiert, warum es Ausschreibungen des Bundes gibt, für die sich kein Anbieter meldet und mehr.
Öffentliche Beschaffung ist politisch
Laut Gerhard Andrey, Nationalrat Grüne und Mitgründer von Liip, sind öffentliche Beschaffungen Wirtschaftspolitik. Viel Geld der öffentlichen Hand fliesse in die Wirtschaft, was das Beschaffungswesen höchst politisch mache – und das nicht nur in der IT.
Gerhard Andrey, Nationalrat Grüne und Mitgründer von Liip. Foto: Kimberly Kläy und Aaliyah Janser / Deep Impact
Ausschreibungen müssen immer wieder abgebrochen werden, weil keine Anbieter gefunden werden. Dafür gibt es einige Gründe, der Ursprung dieser liegt meist in den Ausschlusskriterien. Die Einschränkungen seien zu umfassend, was solche Ausschreibungen für KMU oftmals viel zu aufwändig mache, meint Gerhard Andrey an der Konferenz.
Ein weiterer Knackpunkt ist die Komplexität. Der strukturelle Aufwand ist für viele Anbieter ein Ausstiegskriterium. Dieser Meinung ist auch Magdalena Koj, Head of E-Government Ti&m. Sie zitiert in ihrem Vortrag den Bundesverwaltungsrichter Marc Steiner, der mal sagte: "Die öffentliche Beschaffung ist Gott gewolltes administratives Gewurschtel." Da muss man schon fast ein Superheld sein, um den hohen Anforderungen und dem "Gewurschtel" gerecht zu werden.
Magdalena Koj, Head of E-Government Ti&m. Foto: Kimberly Kläy und Aaliyah Janser / Deep Impact
Diese Probleme bestehen auch noch unter dem neuen Gesetz. Eine mögliche Lösung für Koj: Dialog. "Als Dienstleister müssen wir mit den Anbietern gemeinsam in einen Dialog kommen. Dieser Austausch fehlt heute noch", sagt sie. Etwa die Diskussion um die Nachhaltigkeit, die im aktuellen Gesetz verankert ist. Was versteht man unter Nachhaltigkeit? Das sei sowohl für die ausschreibenden Stellen als auch für IT-Dienstleister wie Ti&m noch nicht greifbar. "Das ist für mich genau einer der Punkte, bei dem ein gemeinsamer Austausch erfolgen muss", erklärte Koj.
Hürden für Startups
Die Neuerung der Nachhaltigkeit im Beschaffungswesen und weitere Änderungen führte Marc Bergmann, Verwaltungsrat APP, Dienstleister für öffentliche Ausschreibungen, weiter aus. Was hat sich bisher in der öffentlichen Beschaffung verändert?
Marc Bergmann, Verwaltungsrat APP. Foto: Kimberly Kläy und Aaliyah Janser / Deep Impact
Obwohl das eingangs erwähnte, neu eingeführte Dialogverfahren seitens Anbieter wohl durchaus erwünscht wäre, erfreut es sich noch nicht grosser Beliebtheit. "Hier ist man noch sehr zurückhaltend", meinte Bergmann. "Das Dialogverfahren ist sehr aufwändig für beide Seiten."
Dafür haben RFIs einen starken Anstieg verzeichnet, auch die Zahl der funktionalen Ausschreibungsverfahren würde schrittweise zunehmen. "Die Hürden für Startups sind jedoch immer noch zu hoch", so Bergmann. Jungunternehmen könnten an vielen Ausschreibungen immer noch nicht teilnehmen. Viele Auftragsgeber erwarten Referenzen und Lösungen, die bereits etabliert sind.
Bergmanns Fazit: In der Praxis läuft effektiv noch viel unter der alten Gesetzgebung. Grund dafür seien unter anderem die fehlende Bereitschaft und der fehlende Zwang, Neues zu wagen. Die neuen Zuschlagskriterien im Gesetz seien gut, aber sie umzusetzen sei eine riesige Arbeit. Die Ressourcen für die Umsetzung würden noch fehlen.
Pandora Kunz-Notter, Rechtsanwältin. Foto: Kimberly Kläy und Aaliyah Janser / Deep Impact
Für Auftraggeber und -nehmer ist die Situation komplex. Aus rechtlicher Sicht sei es jedoch einfacher geworden, meint die Anwältin Pandora Kunz-Notter. Gewisse Aspekte, die in der Praxis bereits gelebt wurden, seien nun klar im Gesetz verankert. Gleichzeitig vereinfache die Harmonisierung in den Kantonen ihre Arbeit.
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Dass das Thema öffentliche Beschaffungen zu vielen Diskussionen anregt, zeigte sich auch während des anschliessenden Apéros.
Dank an die Sponsoren
Ohne die Unterstützung unserer Sponsoren CM Informatik und T-Systems wäre dieser Anlass nicht durchführbar gewesen. Vielen herzlichen Dank an dieser Stelle.