Das Ressort Cyber im Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hatte über Jahre hinweg bei privaten Providern illegal Daten beschafft und diese an private IT-Sicherheitsfirmen weitergegeben. Als die Praktiken bekannt wurden, gab der Bundesrat beim ehemaligen Bundesrichter Niklaus Oberholzer eine Untersuchung in Auftrag.
Die Regierung klassifizierte den 90-seitigen Bericht als geheim und veröffentlichte Ende 2022 lediglich eine kurze Zusammenfassung. Der Bereich Cyber des Geheimdienstes habe die fernmelderechtliche Dimension der Datenbeschaffung und -bearbeitung nicht erkannt,
hiess es damals. Es seien weder richterliche Genehmigungen noch die politische Freigabe vorhanden gewesen. So sei es zur unrechtmässigen Datenbeschaffung gekommen.
Gravierende Verletzung des Gesetzes
Dem
'Blick' liegt jetzt der ganze Bericht vor, allerdings mit zahlreichen geschwärzten Stellen in "entscheidenden Passagen". Oberholzer stelle aber dem NDB kein gutes Zeugnis aus, konstatiert die Zeitung. Mit der illegalen Datenbeschaffung habe der Nachrichtendienst zwar erfolgreich Cyberangriffe gegen die Schweiz abgewehrt. Doch dieser Erfolg basiere auf gravierenden Verletzungen des Gesetzes. Es sei schwierig, die Praktiken vollständig zu durchleuchten. Die Abläufe seien zu wenig erfasst, dokumentiert und kontrolliert worden, "sodass sich eine nachträgliche Rekonstruktion der Vorgänge im Einzelnen als unmöglich erweist", kritisiert Oberholzer.
Die Cyber-Abteilung sei 2014 unter hohem Zeit- und Erwartungsdruck aufgebaut worden. "Bei der Einführung von Cyber NDB blieb es weitgehend dem damals neu ernannten Chef überlassen, die aus seiner Sicht geeigneten und erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um die in das Ressort gesetzten Erwartungen erfüllen zu können", heisst es in Oberholzers Bericht. Dabei habe die neue Abteilung zunehmend "eigene Methoden der Datenbeschaffung und -bearbeitung" entwickelt.
"Kritik mundtot machen"
Kontrolliert worden seien diese Methoden nicht. "Vorgesetzte und Geschäftsleitung liessen es im Wesentlichen dabei bewenden, sich vom ehemaligen Chef Cyber NDB vergewissern zu lassen, dass alles in Ordnung sei", so Oberholzer. "Dies lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass es an einer effizienten Führung und Beaufsichtigung fehlte."
Die NDB-Mitarbeitenden hätten nicht vorsätzlich gegen das Gesetz verstossen, sondern "die Rechtslage verkannt". Anzeichen für das illegale Vorgehen habe es gegeben, aber die Geschäftsleitung habe diese nicht erkennen wollen. Sie sei erst eingeschritten, als sich die Probleme im Ressort nicht mehr hätten verbergen lassen. Aufkeimende Fragen oder Kritik von Mitarbeitenden seien nicht ernst genommen worden, zitiert der 'Blick' aus dem Untersuchungsbericht. Der damalige NDB-Direktor Jean-Philippe Gaudin soll sogar versucht haben, eine erste interne Untersuchung kleinzuhalten. "Gewissen Leuten innerhalb des Dienstes sei es nicht darum gegangen, den Sachverhalt zu klären, sondern die Quellen von Kritik mundtot zu machen", hält Oberholzer fest.
Gaudin musste im Mai 2021 seinen Hut nehmen. Auch vom zuständigen Bereichsleiter trennte sich der Bund. Die unabhängige Aufsichtsbehörde über den Nachrichtendienst bleibt aber unzufrieden. Sie will weitere Informationen zu Ungereimtheiten und hat eine nächste Untersuchung eingeleitet.