Am 12. Juli 2024 wurde die Verordnung der EU zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz und zur Änderung weiterer Verordnungen im
Amtsblatt der Europäischen Union publiziert. Damit liegt der Text des weltweit ersten umfassenden KI-Gesetzes in den 24 Amtssprachen der EU vor. Doch welche Auswirkungen hat diese Verordnung auf die Schweiz, die nicht Mitglied der EU ist, aber dennoch enge wirtschaftliche und technologische Beziehungen zu ihren Nachbarländern pflegt? Welcher Handlungsbedarf besteht auf Bundesebene?
Direkte Auswirkungen auf Akteure in der Schweiz
Der territoriale Anwendungsbereich der KI-Verordnung folgt dem sogenannten Marktortprinzip. Das bedeutet, dass alle Anbieter, die in der Union Systeme in Verkehr bringen oder in Betrieb nehmen oder KI-Modelle für allgemeine Zwecke ("General Purpose AI") in Verkehr bringen, die Vorgaben der Verordnung einhalten müssen – unabhängig davon, ob diese Anbieter in der Union oder in einem Drittland wie der Schweiz niedergelassen sind.
Auch in Konstellationen, in denen keine KI-Systeme in einem EU-Mitgliedstaat in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, sind in einem Drittland niedergelassene Anbieter und Betreiber verpflichtet, die Vorgaben der KI-Verordnung zu erfüllen, sofern die von diesen Systemen erzeugte Ausgabe zur Verwendung im Unionsgebiet bestimmt ist.
Für eine Vielzahl von Schweizer Unternehmen werden die Vorgaben der KI-Verordnung somit künftig von Belang sein.
Schaffung einer Konformitätsbewertungsstelle?
Die KI-Verordnung verfolgt nicht zuletzt das Ziel, eine globale Harmonisierung von Produktstandards zu erreichen. Dazu zählt insbesondere die Möglichkeit, dass Drittländer Konformitätsbewertungsstellen im Sinne der KI-Verordnung errichten und unter bestimmten Voraussetzungen von der EU anerkennen lassen können.
Konformitätsbewertungsstellen sind in verschiedenen EU-Rechtstexten vorgesehen. Als neutrale, unabhängige und kompetente Stellen sind sie für die Konformitätsbewertung von Produkten des freien Warenverkehrs zuständig. Der Bund sollte prüfen, ob dies im Bereich der KI-Systeme zielführend ist.
Abgestuftes Inkrafttreten – es bleibt noch etwas Zeit
Die KI-Verordnung tritt zwar am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft, allerdings werden die meisten Bestimmungen erst nach einer Übergangszeit von zwei Jahren, also ab dem 2. August 2026, vollständig anwendbar sein. Einige spezifische Regelungen, wie das Verbot von KI-Systemen mit unannehmbaren Risiken, werden bereits zum 2. Februar 2025 wirksam; die Verpflichtungen für Hoch-Risiko-KI-Systeme gelten dagegen erst ab dem 2. August 2027. Es bleibt also noch etwas Zeit, die jedoch gut genutzt werden sollte, besonders wenn der Bund Rechtsetzungsbedarf sieht.
Auslegeordnung zum rechtlichen Umgang mit KI
Nicht nur mit Blick auf die Auswirkungen der KI-Verordnung, sondern auch vor dem Hintergrund des am 17. Mai 2024 vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedeten
Übereinkommens über Künstliche Intelligenz will der Bundesrat Ende 2024 auf Basis einer
Auslegeordnung über den weiteren Handlungsbedarf entscheiden.
Fazit
Die Meinungen hinsichtlich des notwendigen Handlungs- und vor allem Rechtsetzungsbedarfs in der Schweiz in Bezug auf Künstliche Intelligenz gehen auseinander. Mit dem Inkrafttreten der KI-Verordnung ist jedoch eines klar: Nichtstun ist keine Option.
Über die Autorin:
Prof. Dr. Nadja Braun Binder, MBA, ist Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Basel und Co-Leiterin der Forschungsstelle für Digitalisierung in Staat und Verwaltung
(e-PIAF).
"AI Act" tritt in Kraft
Dieser Text ist Teil einer Reihe an Gastbeiträgen, die den "AI Act" der EU aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten.
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