"KMU sollten sich eher über Google statt die Post aufregen"

29. September 2023 um 06:30
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Nicole Burth. Foto: zVg

E-ID, EPD, SwissID: Die Post mischt überall mit, wenn es um wichtige Digitalisierungsprojekte der Schweiz geht. Wir haben uns mit der Verantwortlichen im Konzern, Nicole Burth, darüber unterhalten.

Nicole Burth ist Leiterin Kommunikations-Services und Mitglied der Post-Konzernleitung. Sie ist damit einerseits verantwortlich für die vielen Akquisen, andererseits aber auch für den Betrieb kritischer Infrastruktur. Im Interview haben wir sie gefragt, woher die Post die Kompetenz für diese schwierigen Aufgaben nimmt und ob die Akquisestrategie abgeschlossen ist. Spoiler: Ist sie nicht.
E-Voting, EPD, SwissID: Die Post ist klammheimlich zu einem der wichtigsten Infrastrukturprovider der Schweiz geworden. Wie ist das passiert? Es freut mich natürlich, wenn Sie das so einschätzen. Es nützt meiner Meinung nach nichts, mehrere Infrastrukturen parallel zu betreiben. Wir als Post setzen uns für einen digitalen Service public ein und wollen dabei mithelfen, diesen zu betreiben.
Sie sagen, mehrere Infrastrukturen parallel zu betreiben, ergebe wenig Sinn. Konsequenterweise müssten Sie also mit der SwissID aufhören und auf die staatliche Lösung warten. Langfristig haben Sie absolut recht, dass es nur ein Identitäts-Ökosystem rund um die E-ID geben sollte. Aber die E-D kommt frühestens 2027 und niemand in der Schweiz möchte so lange warten. Es ist schade, dass das Volk im März 2021 'Nein' zur E-Identität gesagt hat, aber ich kann den Entscheid nachvollziehen. Der Nutzen konnte zu wenig gut aufgezeigt werden.
Da können Sie ja fast froh sein, ist es beim elektronischen Patientendossier (EPD) noch zu keiner Abstimmung gekommen… Verschiedene Umfrage zeigen, dass der Wunsch nach einem EPD in der Bevölkerung eigentlich sehr gross ist. Der Widerstand kommt eher von den ambulanten Leistungserbringern. Ausserdem gibts noch nicht lange ein wirklich schlaues Onboarding. Der Wert eines EPDs wächst, je mehr Spitäler, Hausärzte und Apotheken angeschlossen sind.
Also glauben Sie, dass das EPD noch zu einem Erfolg wird, wenn man jetzt weitermacht und auf dem Bestehenden aufbaut? Das glaube ich. Es braucht noch Zeit, aber mit der angepeilten Zentralisierung der Stammgemeinschaften geht der Weg in die richtige Richtung.
Die Post ist nicht nur Infrastrukturprovider, sondern betreibt mit Sanela eine der 8 Stammgemeinschaften. Nun hat jene des Kantons Aargau bei Ihnen gekündigt und wechselt den Infrastrukturprovider. Das ergibt angesichts der bevorstehenden Zentralisierung null Sinn. Ich bedaure das. Wie Sie richtig sagen, kommt am einen Tag das Thema Zentralisierung durch die Konferenz der Gesundheitsdirektoren auf den Tisch und am nächsten agiert die Stammgemeinschaft im Kanton Aargau genau in die andere Richtung. Das ist schade.
Kommen wir zurück zum Thema Infrastrukturprovider. Woher hat die Post als Logistikbetrieb das Know-how, um die kritischen Infrastrukturen wie eben EPD, E-Voting oder SwissID zu betreiben? Wir sind mehr als nur ein Logistikbetrieb, wir sind beispielsweise auch eine Bank. Und heute geht ein Brief nicht mehr durch viele Hände, der Prozess nach dem Einwurf ist fast vollautomatisiert. Dadurch haben wir schon heute sehr viel IT-Know-how, das wir zum grössten Teil organisch aufgebaut haben. Ich weiss, dass Sie auf unsere Akquisen hinauswollen. Die sind nötig, um unsere digitalen Kompetenzen auszubauen, vor allem auch im Bereich Cybersicherheit.
Aber woher nimmt sich die Post das "Right to Play" im Bereich digitale Infrastrukturen? Es gibt nur wenige Anbieter in der Schweiz, die vertrauensvolle Kommunikationsplattformen anbieten können. Dabei ist es absolut zentral, dass dieser Anbieter eine gewisse Unabhängigkeit hat und das Vertrauen in der Bevölkerung geniesst.
Letzten Endes sind dies aber alles Staatsaufgaben, wie Strom, Wasser, Strasse und Schiene oder sehen Sie das anders? Das ist eine politische Debatte und ein politischer Entscheid, ob es eine Frage der Grundversorgung ist oder eine Staatsaufgabe. Aktuell ist das Wirkungsfeld der Post klar geregelt und wir bewegen uns in den Vorgaben. Wenn das geändert werden soll, muss es in den entsprechenden Gesetzen angepasst werden.
Sie haben es selbst gesagt: Sie mussten viel Know-how zukaufen, um überhaupt in diesem Bereich tätig sein zu können. Wie identifizieren Sie Übernahmekandidaten? Wir haben verschiedene Felder definiert, in denen uns das Know-how fehlte, und darin haben wir angefangen, spezifisch nach Unternehmen zu suchen.
Gibts denn aktuell noch Lücken in Ihrem Portfolio oder ist die Akquisestrategie langsam abgeschlossen? Nein, es gibt noch weitere Lücken – vor allem in 3 Bereichen: erstens Kommunikation, zweitens Cybersecurity und drittens Behördendienstleistungen.
Ist denn die Kasse noch gut gefüllt für weitere Übernahmen? Das Investitionsvolumen in die Logistikinfrastruktur sowie in Kommunikations-Services der Post betrug am Anfang der neuen Strategieperiode "Post von morgen" 3 Milliarden Franken. Das Geld nutzen wir sowohl für organisches wie anorganisches Wachstum. Die grosse Mehrheit der Investitionen gehen in die Infrastruktur der Logistik.
Die 'NZZ' schrieb vor gut einem Jahr: "Die Akquisen sind aus betriebswirtschaftlicher Sicht riskant, aber vertretbar. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist allerdings fraglich, warum ein Staatskonzern in Märkte eingreifen soll." Wie sehen Sie das? Ich sehe das nicht so, weil es, wie gesagt, wenig sinnvoll ist, mehrere Infrastrukturen parallel zu betreiben. Die Post ist ein Erfolgsmodell, weil wir eigenwirtschaftlich sind. Wir verwalten keine Budgets, sondern es muss am Schluss aufgehen. Entsprechend wollen und müssen wir dafür sorgen, dass wir auch die nächsten 175 Jahre gute Dienstleistungen erbringen können. Die Kundenwünsche verändern sich, die Post mit ihnen.
Verstehen Sie private Anbieter, die sich gegen Ihre Akquisen wehren? Ihr Argument, dass aufgekaufte Dienstleister mit tieferen Preisen den Markt verfälschen, ist valide. Ich verstehe sie ehrlich gesagt nur bedingt. Das sieht übrigens auch die Wettbewerbskommission so. Ausser bei nationaler Infrastruktur ist mehr Wettbewerb immer positiv, für alle Beteiligten.
Wettbewerb ist aber nicht gleich Wettbewerb, wenn ein staatliches Unternehmen mit quasi unlimitierten Mitteln eingreift. Aber das ist ja nicht so. Wie erwähnt, operieren wir eigenwirtschaftlich. Als KMU in der Schweiz würde ich mich eher über Google aufregen als über uns. Denn die haben definitiv mehr Mittel als wir.
Apropos "aufgehen": Im ersten Halbjahr 2023 haben Sie 35 Millionen Verlust gemacht, im Jahr 2022 waren es 72 Millionen. Das Ergebnis ist also leicht besser, aber wenns so weitergeht, brauchen Sie noch über 30 Jahre, um profitabel zu werden. Wann soll es denn soweit sein? Mir wärs auch lieber, wenn wir schneller profitabel wären. Es ist mir bewusst, dass wir nicht immer nur investieren können, ohne rentabel zu sein. Aber bis sich Dienste wie das EPD oder E-Voting etablieren, braucht es einen langen Atem. Bei Letzterem haben wir bald den 4. Kanton an Bord, aber es müssen irgendwann 8 bis 10 sein, um den Break-even zu erreichen. Und nochmal: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Schweiz all diese Dienste braucht.
Haben Sie sich bei Ihrem Wechsel von Adecco zur Post Ihre neue Rolle so politisch vorgestellt, wie sie jetzt ist? Viele verschiedene Stakeholder hatte ich auch im früheren Job, nur sind sie halt jetzt in der Verwaltung und der Politik. Mein Zeitaufwand für deren Management ist jetzt nicht bedeutend grösser als früher. Es ist einfach …
… komplizierter und braucht mehr Geduld? Interne Prozesse in Grossfirmen sind auch nicht zu unterschätzen. (lacht) Was ein wichtiger Unterschied ist: Was wir hier bei der Post machen, hat einen viel längerfristigen Charakter.
Womit wir wieder beim Einfluss der Post auf die digitalen Infrastrukturen sind. Ja. Früher oder später müssen alle Prozesse digital angeboten werden. Wichtig ist aber, die Menschen dabei zu begleiten und sie wo nötig zu unterstützen, so wie wir das jetzt bei der EPD-Eröffnung in unseren Filialen tun.
Meiner Ansicht nach hilft es, wenn Anbieter Anreize schaffen, damit die Services genutzt werden. Bei der SwissID zum Beispiel tun Sie das nicht, sondern setzen auf einen Zwang. Warum? Die SwissID ist unser Login-Approach, der einen sehr hohen Sicherheitsstandard bietet. Jede Unternehmung setzt auf eigene Logins, wir tun nichts anderes. Man kann die SwissID auch nur für das Post-Login nutzen, das ist kein Problem für mich.
Der Vergleich mit anderen Unternehmen hinkt. Die meisten ermöglichen ein Login mit E-Mail-Adresse und Passwort, manchmal ergänzt mit einem zweiten Faktor wie der Handynummer für mehr Sicherheit. Sie verpflichten Ihre Kundinnen und Kunden zur Nutzung eines 3rd-Party-Dienstes. SwissSign ist eine 100% Tochtergesellschaft der Post, also für uns nicht 3rd-Party. Der Vorteil ist, dass Sie die SwissID auch für andere digitale Dienste wie das elektronische Patientendossier nutzen können, wenn Sie das möchten. Und wie gesagt, bieten wir dank dieser Login-Methode einen höheren Sicherheitsstandard.
Dennoch haben Ihre Kundinnen und Kunden keine Wahlfreiheit mehr, wenn Sie digitale Post-Services nutzen möchten. Meine These ist: Die Post versucht möglichst viele Userinnen und User auf die SwissID zu bringen, bevor die staatliche E-ID kommt. Unsere SwissID wird nie den Standard der E-ID haben, welche nur das Bundesamt für Justiz wird herausgeben können. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist es nicht sinnvoll, mehrere Loginprozesse parallel zu betreiben, weshalb wir uns für die SwissID als Single-Sign-On entschieden haben. Deshalb ist diese jetzt unser einziges Login, welches erst noch mehr Sicherheit bietet.
Blicken wir in die Zukunft: Wie weit ist die Post mit ihren digitalen Diensten in einem Jahr? Mein grosser Wunsch ist, dass sich die 3 Dossiers weiterentwickeln. Das EPD sollte an möglichst viele Institutionen angeschlossen sein. Darüber hinaus wollen wir beim E-Voting weitere Erfolge verbuchen und nicht zuletzt wollen wir mithelfen, Bürgerportale mit Einwohnerkonten bei Gemeinden und Behörden weiter auszubauen.
Bei welchem der 3 Dossiers sind Sie am optimistischsten? Das ist wahnsinnig schwierig zu sagen, weil sie sich gegenseitig positiv oder auch negativ beeinflussen.
Sonst mache ich eine Liste. Da bin ich gespannt.
Ich denke, dass bei E-Voting das Potenzial am grössten ist. Umfragen zeigen eine hohe Akzeptanz. Beim EPD hingegen sehe ich kaum eine Möglichkeit, dass das jemals noch auf die Beine kommt. Ich sehe das nicht so negativ. Es gibt Regionen, in denen das EPD bereits heute anständig funktioniert. Meine Hoffnung ist, dass diese Teile der Schweiz das Thema vorwärtstreiben. Aber natürlich wirds auch Kantone geben, die lieber den Status Quo behalten.

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Interessenbindung: Nicole Burth ist am 27. September 2023 am C-Level Thought Leaders Forum zum Thema "Fight for the Customer of Tomorrow" aufgetreten. Inside-it.ch ist Medienpartner von C-Level.

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