Britischer Core-Banking-Gau: Neue Erkenntnisse, neue Aussagen

30. April 2018 um 15:00
  • fintech
  • ibm
  • core-system
image

Zu wenig Zeit, zu wenig Ressourcen und kein Rollback-Plan: Daran scheiterte die TSB-Migration laut Insidern.

Zu wenig Zeit, zu wenig Ressourcen und kein Rollback-Plan: Daran scheiterte die TSB-Migration laut Insidern.
Der Launch eines neuen Corebanking-Systems der britischen Bank TSB ist noch immer nicht abgeschlossen, die Probleme dauern an. Laut TSB-CEO Paul Pester haben man 2'500 Mannjahre von 1'000 Informatikern für die Migration von einem System von Lloyds (LBG) auf einen Eigenbau aufgewendet. Dabei war die spanische TSB-Mutter Sabadell im Lead.
Nun äussern sich Insider unter anderem bei 'The Guardian' oder beim Security-Guru Bruce Schneier zu den Projekthintergründen, welche zu den Problemen geführt haben sollen.
Problem eins: "Der Zeitraum, um das neue System zu entwickeln und TSB darauf zu migrieren, betrug nur 18 Monate", sagte der Insider zum 'Guardian'. "Die TSB-Leute sagten, Sabadell habe das viele Male in Spanien gemacht."
Inwiefern das Erfahrungen mit LBG-Legacy-Systemen sind, wird von der Quelle angezweifelt. Zudem gebe es Probleme mit dem bisherigen Corebanking-Lieferanten. "Das hat einen extrem harten Systemjob in einen Clusterf*** verwandelt", sagte der Insider.
Des Weiteren habe man nur wenige Prototypen entwickelt, Machbarkeitsstudien vernachlässigt und eine kaum zweimonatige Testfrist angesetzt. Im Mai 2017 war "selbst das Einloggen schwierig". Bis zum Herbst war das neue Corebanking-System noch nicht fertig und Sabadell verschob die Umstellung von Ende 2017 auf April und nutzte weiterhin das alte System von LBG, mit den entsprechenden Kostenfolgen.
Am 23. April gab Sabadell bekannt, dass Proteo4UK – der Name der TSB-Version der Corebanking-Lösung von Sabadell – fertig sei und dass 5,4 Millionen Kunden "erfolgreich" auf das neue System migriert worden seien. Doch nur wenige Stunden nach dem Umstieg brachen die Systeme zusammen und bis zu 1,9 Millionen TSB-Kunden, die Internet- und Mobile-Banking nutzen, wurden ausgesperrt.
Und warum hat man nach den tagelangen Problemen kein Rollback auf das LBG-System gemacht, wie es die Vernunft (und ITIL) nahelegen würden? Ein anonymer Kommentator: "In Ihrem Artikel vermuten Sie, dass Lloyds die Migration ohne Rollback weitergeführt hat. Als Insider auf der LBG-Seite stelle ich kategorisch klar, dass Sabadell den Umfang und die Methode der Migration unter Kontrolle hat. Es war klar, dass Lloyds von Sabadell angeregte Aktionen unterstützen würde. Wir hatten keinerlei Einfluss auf ihre Optionen zum Rollback. Wären wir darum gebeten worden, wäre ich ziemlich sicher, so wäre dies von ganzem Herzen unterstützt worden."
Auch sonst wächst die Verwirrung. Zum einen feierten Informatiker via LinkedIn die Lloyds-TSB-Migration (ein Post der seither gelöscht wurde), zum andern fragt sich die IT-Community, wie kurzfristig angeheuerte IBM-Leute die Probleme mit dem Code der Spanier lösen könnten.
Es gibt anonyme Aussagen, dass das System nur auf 500 Concurrent-User angelegt worden sei. Die Bank hingegen sagt, das System sei auf 450'000 Sessions pro Tag konzipiert gewesen, aber bei 200'000 sei das System partiell in die Knie gegangen.
Eine weitere anonyme Kritik: seitens TSB sei nur eine Handvoll Informatiker und viele externe Cobol-Programmierer involviert gewesen.
Unklar ist auch noch, ob eigentlich das modifizierte Sabadell-Backend die Wurzel des Bösen ist, oder andere involvierte Technologien von TIBCO SilverFabric über ElasticSearch bis hin zu Docker.
Jetzt, am Monatsende beruhigt TSB ihre Kunden mit Tweets: "Wir möchten den Kunden versichern, dass ihr Gehalt am Zahltag wie gewohnt auf ihrem Konto ist und ausgehende Zahlungen wie Lastschriften und Daueraufträge wie gewohnt funktionieren. Vergessen Sie nicht, dass Sie Ihr Guthaben jederzeit an einem Geldautomaten überprüfen können."
Klar sind die gröbsten Probleme, die offenbar noch nicht vollständig gelöst sind: Kunden sehen in ihrem Online-Banking die Kontodaten von jemand anderem; Kunden haben ohne Anlass Geld erhalten; Überweisungen von TSB-Kunden gingen an ein falsches Bankkonto; falsche Transaktionswerte werden übermittelt (empfangen oder gesendet). In einem Brief ans britische Parlament (PDF) hält CEO Pester fest, welche Probleme auftraten.
Klar ist auch, dass nun die Verantwortlichen von TSB und Sabadell den Behörden und Parlamentariern Red und Antwort stehen müssen. (mag)

Loading

Mehr zum Thema

image

Twint vergrössert Geschäftsleitung

Beim Zahlungsanbieter wird die Anzahl der Personen in der Führungsetage verdoppelt. Damit will sich Twint besser für die Zukunft aufstellen.

publiziert am 21.3.2023
image

Crealogix ist zurück in den schwarzen Zahlen

Mit dem Fokus aufs Kerngeschäft konnte das Fintech die Profitabilität verbessern. Auch ohne den Verkauf des E-Learning-Geschäfts hätte Crealogix einen kleinen Gewinn erzielt.

publiziert am 14.3.2023
image

Lausanner BPO-Dienstleister Azqore ernennt neuen CEO

Pierre Masclet kommt vom Mutterhaus Indosuez. Sein Vorgänger geht in Pension.

publiziert am 13.3.2023
image

Blockchain sei dank: Die Schweizer Fintech-Branche wächst wieder

Das Geldsammeln ist für Fintechs 2022 deutlich schwieriger geworden, dennoch hat sich die Branche nach dem schlechten Vorjahr gefangen.

publiziert am 10.3.2023