Die andere Sicht: die Post am Software-Wühltisch

6. Januar 2022 um 09:41
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Warum der Übernahme-Feldzug der Schweizer Post schädlich für die Schweizer Software-Industrie ist.

Als die Post im September 2020 die Mehrheit an der Luzerner Business-Software Klara für 22 Millionen Franken übernommen hatte, musste sie gleich danach 13 Millionen Goodwill abschreiben. Klara war zum Zeitpunkt der Übernahme zudem offenbar massiv überschuldet, wie dem Finanzbericht des Grossunternehmens in Staatsbesitz zu entnehmen war. Vor gut einem Monat griff die Post am Software-Wühltisch erneut zu und übernahm die Firma Dialog Verwaltungs-Data, ein relativ kleiner Anbieter von Gemeindesoftware – und das notabene nur in der Deutschschweiz.

Massive Vorteile gegenüber Privaten

Die Post betätigt sich im Fall Klara entweder als Risikokapitalist im Software-Markt oder als Sanierer. Doch kann man Klara noch als ein Startup bezeichnen? Das Mutterhaus von Klara, die Softwareschmiede Axon Active, versuchte schon 2016 zusammen mit Swisscom, eine Administrationslösung für KMU zu entwickeln. Das Projekt überlebte nicht lange, denn schon im Herbst 2016 stieg Swisscom wieder aus. Kurz darauf lancierte Axon Active dann Klara im Alleingang. Seither sind einige Finanzierungsrunden über die Bühne gegangen. Die Wurzeln von Klara reichen sogar noch weiter in die Vergangenheit. Denn Axon Active hat 2011 eine Business-Software-Firma namens Soreco gekauft und die nicht mehr passenden Teile danach Stück für Stück (und nicht unbedingt zum Wohl der Kunden) wieder verkauft. Ein Startup kann man Klara also nicht mehr nennen. Die Post betätigte sich mit dem Kauf der Mehrheit an Klara also – zum Wohle von Axon Active – als Sanierer im Software-Markt. Ist das die Aufgabe eines Service-Public-Providers in Staatsbesitz?
Als staatliches Grossunternehmen hat die Post massive Vorteile gegenüber Privaten im Markt. Der Konzern hat unbeschränkten Zugang zu den KMU der Schweiz, kann die Services von Klara mit anderen, Post-nahen oder Post-fernen Services verknüpfen und hat beliebig viel Zugang zu beliebig billigem Geld. Denn die Post ist nicht nur "too big", sondern auch "too Bern" to fail.

Die Post ist "Too Bern to fail"

Mit dem Kauf der Firma Dialog Verwaltungs-Data vor gut einem Monat ist es ganz ähnlich. Dialog ist keineswegs ein Startup, sondern ein etablierter Player im Schweizer Markt für Gemeindelösungen. Allerdings ein verhältnismässig kleiner. Die Anbieter von Gemeindesoftware sehen sich alle mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Lösungen auf den neuesten technologischen Stand zu hieven. Je kleiner ein Anbieter ist, und je mehr er sich mit sich selbst beschäftigt, zum Beispiel weil er sich gerade in einen riesigen Konzern integrieren sollte, desto grösser die Risiken. Wohin Dialog im Post-Konzern passt, ist unklar. Die Post bietet zwar schon eine Lösung für E-Voting an. Doch dieses Angebot richtet sich an die Kantone, nicht an Gemeinden. Und hat ausserdem mit ihrer Lösung aus Spanien bereits den einen oder anderen Schuh herausgezogen. Ergo betätigt sich die Post erneut als Sanierer und geht nicht nur grosse Risiken ein, sondern hebelt den Markt aus.

Die Post kann risikofrei investieren

Nun werden Sie, liebe Leserinnen und Leser von inside-it.ch und liebe Mitspieler im Software-Geschäft sagen: "Der Hintermann meckert, weil er selbst mit Swiss21.org und mit Abacus ein Konkurrent von Klara und Dialog ist." Dass Abacus nun zum unfreiwilligen – wer legt sich schon gerne mit Elefanten an? – Konkurrenten der Post geworden ist, ist richtig. Nur: Wenn wir mit einer oder zwei missglückten Übernahmen Geld verlochen würden, so wäre Abacus im schlimmeren Fall in der Existenz bedroht. Im besseren Fall müssten wir mindestens die Gürtel enger schnallen und noch mehr arbeiten. Die Post hingegen wühlt ungehemmt am Software-Wühltisch der Schweizer IT-Branche und muss nichts befürchten. Im schlimmsten Fall wird in irgendeiner Tabelle im vielhundertseitigen Finanzbericht berichtet, man habe etwas Goodwill abgeschrieben.
Die Post kommuniziert viel und gerne darüber, dass sie mit "Innovation" die Schweizer KMU unterstützen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Das wilde Grabschen der Post am Schweizer Software-Wühltisch schafft unfaire Bedingungen im Markt. Und behindert deshalb die Innovation. Arme KMU. 
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    Claudio Hintermann

    CEO Abacus

    Hintermann hat im Jahr 1985 mit seinen Studienkollegen Eliano Ramelli und Thomas Köberl das Software-Unternehmen Abacus Research gegründet. Er ist bis heute dessen Mitinhaber und CEO.

In "Die andere Sicht" kommen operativ Verantwortliche aus der Schweizer ICT-Branche zu Wort. Sie verlassen ausgetretene Pfade und erschliessen neue Horizonte.

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