Einer von zwei Lastwagen mit dem IBM 360/65 für den ersten Hardwarewechsel 1968 bei den SBB. Quelle: SBB
Als eine der ersten Firmen in der Schweiz hat der Bahnbetrieb in den 1960er-Jahren einen Grossrechner beschafft. Jetzt wurde er ausser Betrieb genommen. "Eine Operation am offenen Herzen", beschreibt es der Verantwortliche im Projekt.
In den 1960er-Jahren waren die SBB eines der ersten Schweizer Unternehmen, die sich einen Mainframe beschafften. Bereits damals wurden auf dem Grossrechner beispielsweise Sitzplatzreservierungen, Ticketbuchungen und Annullierungen digital abgewickelt. Nach über 60 Jahren ist nun Schluss. Die SBB haben ihren Mainframe am 28. März ausser Betrieb genommen.
Von der ersten Entscheidung, den Mainframe abzulösen, bis zum tatsächlichen Ende sind mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Das Ende habe ihn etwas traurig gestimmt, sagte Andre Schaffer-Schürch von den SBB. Er ist seit 1999 beim Bahnbetrieb in der Informatik tätig und verantwortete als Product Owner und IT-Architect die technische Mainframe-Ablösung. Inside-it.ch hat mit ihm über das Projekt gesprochen.
André Schaffer. Quelle: SBB
60 Jahre Mainframe. In dieser Zeit hat sich wohl einiges getan.
1961 kam der erste Grossrechner, ein IBM-7070. Die 7070-Serie war damals der erste transistorbasierte, speicherprogrammierbare Rechner. Entsprechend war das ein grosses Fest: Die SBB gehörten in der Schweiz zu den ersten, die ein solches Grosssystem eingesetzt hatten. 1968 wurde der 7070 durch den IBM 360/65 abgelöst. Über die Jahre gab es natürlich laufend Updates, Release- und Hardwarewechsel, bis die SBB für die letzten Monate noch den IBM z15 nutzten.
Wann kam der Entscheid der SBB, den Mainframe abzulösen? Und warum?
Hauptgrund waren die Kosten. Man darf betonen, dass es ein sehr stabiles und äusserst sicheres System ist. Aber Stabilität und Sicherheit kosten auch entsprechend. Der Entscheid zur Ablösung per Ende 2018 wurde im Mai 2011 gefällt. 2014 wurde festgestellt, dass der vollständige Mainframe-Ausstieg per 2018 nicht realistisch ist und dringend aktiver gesteuert werden muss.
Es dauerte noch ein paar Jahre länger…
2015 beschloss die Geschäftsleitung eine kontrollierte Restnutzung des Mainframe (KoReMa) bis Ende 2023. Ab diesem Zeitpunkt waren verschiedene Teams damit beschäftigt, Anwendungen detailliert zu analysieren, abzulösen oder auf neue Umgebungen zu portieren, neu zu entwickeln und intensiv zu testen. Das haben wir dann mit viel Aufwand erreicht, Ende 2023 wurde der Mainframe aus dem produktiven Betrieb genommen. Im ersten Quartal 2024 wurden noch diverse Archivierungsarbeiten und Finanzabschlüsse durchgeführt. Am 28. März 2024 wurde der SBB Mainframe endgültig heruntergefahren.
Nein, bei T-Systems in Deutschland. Der Grossrechner befand sich ursprünglich im Rechenzentrum der SBB, im Bollwerk in Bern, aber mit den Jahren war es nicht mehr lukrativ, RZs selber zu betreiben. So suchte man einen Outsourcing-Partner. Später stand der Mainframe in den Rechenzentren von T-Systems (Schweiz) in Bern und Zollikofen. 2013 wurde der Mainframe dann nach München in die Rechenzentren von T-Systems (International) gezügelt, aber gemeinsam mit der hiesigen Crew des IT-Dienstleisters aus der Schweiz betrieben respektive gesteuert. Eine grosse Herausforderung, wenn man bedenkt, dass über all die Jahre rund 90 Anwendungen auf dem System betrieben wurden, die sehr wichtig für den Betrieb des Unternehmens sind.
Was waren das für Anwendungen, die zuletzt noch auf dem Mainframe liefen?
Eine ganze Reihe. Das Backoffice war sicher eine der wichtigen Anwendungen, wie auch die Cargo- und Infrastruktur-Informationssysteme (CIS Cargo / CIS-Infra), das Pricing, der Ticketverkauf und die Reservationen, sowie Anwendungen für die Hochrechnungen Personenverkehr (HOP), Preissimulationen und -berechnungen, oder beispielsweise auch die Anwendungen Einnahmesicherung und Abrechnungsmanagement (Sesam) und Prisma-Verkauf.
Also sozusagen Herzstücke der SBB.
Das kann man wohl schon sagen, sehr wichtige Systeme für den Bahnbetrieb. Und der Rundown war zum Teil eine Art Operation am offenen Herzen. Wir mussten alles daran setzen, dass währenddessen keine Ausfälle geschahen – die Anwendungen mussten weiterhin rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Was nicht auf dem Mainframe läuft, ist die Zugsicherung und Verkehrssteuerung der Bahnproduktion. Das sind ganz andere, sehr wichtige Systeme.
Wo werden diese Anwendungen jetzt betrieben?
In ganz unterschiedlichen Umgebungen. Ziel der SBB ist es, einerseits Anwendungen möglichst in die Cloud zu verschieben, und andererseits Open-Source-Technologien zu nutzen. Neben dem Mainframe waren noch weitere Systeme im Einsatz, die entweder in den letzten Monaten abgelöst wurden oder noch abgelöst und modernisiert werden. Darunter beispielsweise Websphere Application Server und Message Broker sowie Red Hat Single Sign on. Die SBB wollen und müssen von modernen Technologien und Möglichkeiten profitieren können. Das führt auch zu spannenden und herausfordernden IT-Jobs im Unternehmen. Damit will ich aber nicht sagen, dass der Mainframe nicht spannend wäre.
Wie viele Ressourcen hat das Projekt benötigt?
Über die Jahre hinweg ist das schwer zu sagen. Die kleine Kerngruppe umfasste etwa 15 Personen, die sich mit den unterschiedlichen Themen beschäftigt hatte. Dazu gehörte beispielsweise der Austausch mit den Applikationsverantwortlichen. Die meisten Aufgaben, Herausforderungen und Ressourcen wurden bei der Ablösung und Neuentwicklung der Anwendungen im Business benötigt und eingesetzt. Somit steckten über die Jahre sehr viel mehr Menschen dahinter.
Wie war die personelle Situation? Mainframe-Experten sind ja durchaus rares Gut?
Ja, die Personalfrage war vor allem um 2017 und 2018 ein grosses Thema. Wir versuchten Fachkräfte auf dem Markt zu finden, das stellte sich aber als sehr schwierig heraus. An den Unis wird dem Thema in der Ausbildung mittlerweile wieder mehr Gewicht gegeben. Aber in unserem Mainframe-Umfeld war besonders das Business-Know-how nötig. Um solche Systeme abzulösen, braucht es ein vertieftes Verständnis dafür, wie Business-Prozesse funktionieren. Schliesslich haben wir Mitarbeitende gefunden, welche bereit waren, über das Pensionsalter hinaus weiter zu arbeiten.
Welche Herausforderungen gab es sonst noch? Hatten Sie schlaflose Nächte?
Keine schlaflosen Nächte, aber die Personalfrage bereitete mir auf jeden Fall Bauchschmerzen. Wenn drei, vier Personen im Kernteam ausgefallen wären, hätte es noch mehr Verzögerungen gegeben. Gleichzeitig handelt es sich um ein historisch gewachsenes, komplexes System. 60 Jahre lang sind immer wieder neue Anwendungen, Programme und Technologien eingeführt worden. Diese Abhängigkeiten während des Rundowns im Griff zu haben, war eine Riesenherausforderung.
Da Sie die Verzögerungen ansprechen, gab es viel Druck von oben?
Es war eher das Gegenteil der Fall. Die frühzeitige und intensive Einbindung des Managements ist extrem wichtig. Somit auch mein Tipp: Wer einen Mainframe abbauen möchte, muss das Management frühzeitig einbeziehen, verbindlich planen, Ressourcen sichern, Ziele setzen und dann ehrgeizig bleiben.
Der Entscheid der SBB wurde aus Kostengründen gefällt. Was kostet die neue Landschaft im Vergleich?
Wir wissen sehr genau, was der Mainframe über die Jahre gekostet hat. Aber für die neuen Anwendungen in ihren neuen Umgebungen eine Gesamtkostenbetrachtung zu erstellen und dann zu vergleichen ist extrem schwierig. Denn es handelt sich um völlig andere Technologien, Architekturen und Betriebsprozesse. Für deren Entwicklung und Unterhalt braucht es andere Mittel, Strukturen und Fachleute. Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.