Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wurden in der Schweiz bis Mai über 55'000 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert. Fast alle davon haben den Schutzstatus S erhalten. Viele gut ausgebildete Personen seien in die Schweiz geflüchtet und würden entsprechende Jobs suchen. Das Seco geht davon aus, dass die Mehrheit bis jetzt Anstellungen im Gastgewerbe gefunden hat, der zweite Schwerpunkt liege im Sektor Informatik, Planung und Beratung.
Auf Nachfrage von inside-it.ch erklärt das Seco: "Von den 1173 Personen mit Schutzstatus S, die Ende Mai bei den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) angemeldet waren, verfügten nur wenige über einen IT-Hintergrund." Dies könne jedoch damit zusammenhängen, "dass Personen in diesem Sektor vergleichsweise schnell eine Anstellung finden und sich daher gar nicht erst bei den RAV anmelden". So würden Zahlen vom Staatssekretariat für Migration zeigen, dass 16% der erwerbstätigen Personen mit Schutzstatus S eine Anstellung in der Branche Planung, Beratung, Informatik gefunden haben.
Über 10% der Ukraine-Flüchtenden haben IT-Background
Dies deckt sich auch mit den Angaben des Zürcher Amts für Wirtschaft und Arbeit. Dort heisst es auf unsere Anfrage: "Rund 10% der Personen mit Schutzstatus S, die sich bislang auf den Zürcher RAV angemeldet haben, sind Personen, die ausschliesslich oder unter anderem im IT-Bereich eine Stelle suchen beziehungsweise gefunden haben. Auf den IT-Bereich fallen Stand heute 37 Arbeitsbewilligungen, was etwa 7% der Gesamtmenge entspricht." Es sei aber wichtig zu betonen, dass man vonseiten der RAV nur einen Ausschnitt der Situation der Geflüchteten aus der Ukraine im Arbeitsmarkt kenne. "Nämlich von jenen Personen, welche sich auf den RAV zur Beratung und Vermittlung anmelden."
Der Wirtschaftsverband Swico wird konkreter: Von Geflüchteten mit Status S hätten 46% einen Tertiärabschluss, 19% Sek I und 14% hätten einen IT-Hintergrund, so Geschäftsführerin Judith Bellaiche an einer Medienkonferenz. 1272 Flüchtende mit Status S seien beim RAV gemeldet.
"IT-Branche ist optimaler Integrator"
Mit arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM) würden die RAV über ein Instrument verfügen, um Personen über die Beratung und Vermittlung hinweg beim Einstieg in den Arbeitsmarkt zu unterstützen, schreibt das Seco. "Mit AMM können auch IT-Kenntnisse gefördert werden. Im Sinne des dezentralen Vollzugs der Arbeitslosenversicherung geniessen die Kantone einen grossen Spielraum bei der Auswahl ihrer AMM, weshalb wir keine Aussage darüber treffen können, welche konkrete AMM bei Personen mit Schutzstatus S zur Förderung ihrer IT-Kenntnisse angewendet wird."
Auch beim Swico sieht man die ICT-Brache als optimalen Integrator. Einerseits sei die Sprachbarriere tiefer, weil aufgrund internationaler Teams ohnehin viel Englisch gesprochen werde. Zudem sei Remote Work spätestens seit der Pandemie etabliert, was die Kinderbetreuung erleichtere.
Wie schnell Geflüchtete eine Arbeitsstelle finden würden, hänge von einer Vielzahl von Faktoren ab. "Diese können davon beeinflusst werden, welche Sprache in einer Branche gesprochen wird oder wie gut die Kompetenzen, die in der Ukraine gewonnen wurden, in den Schweizer Arbeitsmarkt übertragbar sind", so das Seco. So müssten beispielsweise für einige reglementierte Berufe ukrainische Diplome zunächst vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) anerkannt werden. Auch soziodemografische Merkmale seien relevant. "Die Fluchtbewegung aus der Ukraine ist dadurch gekennzeichnet, dass viele Frauen mit Kindern geflohen sind. Bevor die Jobsuche in Angriff genommen werden kann, muss die Betreuung der Kinder geklärt und eine stabile Wohnsituation gefunden werden, was naturgemäss eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt."
Zahlreiche Initiativen gestartet
Neben den AMM und der Betreuung durch RAV, Sozialdienste und Migrationsbehörden wurden auch einige Initiativen von Verbänden und Unternehmen aufgegleist. So hat SwissICT auf seiner Website ein "Angebot für Flüchtende" aufgeschaltet, welches im Austausch mit dem Zürcher AWA entstand. Darüber bietet der Verband unter anderem kostenlos ein persönliches Gespräch, eine individuelle Auswertung der Salärstudie für Berufsprofile sowie den Zugang zu Events an.
Das Angebot sei erst kürzlich lanciert worden, erklärt Mediensprecher Simon Zaugg, "deshalb können wir noch nicht wirklich über Erfahrungen sprechen. Es braucht nun etwas Zeit und muss sich erst einmal herumsprechen." Es sei aktuell als temporäre Aktion gedacht, aber "es kann durchaus sein, dass im Verband Angebote für Flüchtende nachhaltig institutionalisiert werden". Wichtig sei, dass sich das Angebot nicht nur an Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern generell an Flüchtende mit einem anerkannten Flüchtlingsstatus richte.
Als grosser Konzern hat SAP ebenfalls ein "Jobs Portal for Refugees from Ukraine" eingerichtet. Bei SAP Schweiz heisst es, darüber hinaus würde man das bereits bestehende Changemakers-Programm von Socialbee auf DACH-Ebene für die Ausbildung von Flüchtlingen unterstützen. Dadurch sollen Flüchtende, nicht nur aus der Ukraine, zum Beispiel zu SAP-Consultants qualifiziert werden.
Als SAP-Spezialist beteiligt sich in der Schweiz auch Dataworld an der Initiative. CEO Christian Bläuenstein sagt uns: "Wir kriegen sehr viele äusserst qualifizierte Profile, zum Teil mit echtem Wow-Faktor. Die grosse Challenge ist allerdings, die Personen bei Kunden unterbringen zu können, denn nur Englisch als Sprache muss auch von den Kunden getragen werden." Leider habe man bis jetzt vor allem aus diesem Grund noch niemanden platzieren können. "Wir hatten Gespräche, müssen aber als kleineres Unternehmen die Mitarbeitenden auch irgendwo positionieren können, was genau das Problem war", sagt Bläuenstein. Die Bereitschaft sei dagewesen, Ukrainerinnen und Ukrainer einzustellen. Voraussetzung sei aber gewesen, Englisch als Projektsprache festlegen zu können.
Eine weitere Plattform hat Swico gemeinsam mit Powercoders und Twofold etabliert.
'IT-Careers without Borders' soll Jobangebote bündeln und allen Geflüchteten einen unkomplizierten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Das Non-Profit-Angebot richte sich sowohl an Einsteigerinnen und Einsteiger als auch an Profis mit Arbeitserfahrung.