Was waren das noch für Zeiten, als sich vor Weihnachten in den Firmen die Präsente türmten? Oder aber wertvolle Geschenke diskret an die Privatadresse zugestellt wurden, mit denen sich Lieferanten und Geschäftspartner zu Weihnachten für die gute Zusammenarbeit oder was auch immer sonst bedankten. Rollschinkli und Weinkisten, Lederschreibmappen und XXL-Mugs fanden ihren Weg zu den Beschenkten. Während heute die Paketpost um diese Zeit nur mehr selbst bestellte Black-Friday-Angebote ausliefert, konnte man damals darauf zählen, den Lachs und den Champagner für den Heiligabend gratis und franko von einer wohlmeinenden Geschäftsbeziehung zu erhalten.
Sparrunden, Corporate-Governance-Regeln, neue Korruptionstatbestände und zu guter Letzt die Pandemie haben dieser guten alten Tradition den Garaus gemacht. So ist es viel schwerer herauszufinden, welchen ökonomischen Stellenwert man bei einem Partner einnimmt.
Bleiben – immerhin – die Weihnachtskarten, die durchaus auch das eine oder andere über das Unternehmen oder den Absender oder die Absenderin und unser Verhältnis zu ihnen kommunizieren. Formal kann man die Beurteilung dieser Karten nach vier Kriterien vornehmen: Format, Sujet, Vordruck und individueller Text.
Format zunehmend unspektakulär
Das Format hat leider viel von seiner Aussagekraft verloren. Früher kam es doch vor, den Pöstler fluchend vor dem eigenen Briefkasten zu treffen, weil er die A3-Karte nicht in den Schlitz hineinbrachte und läuten musste. Oder dann liess sich die Karte immerhin beim Auspacken zu einem Megaposter auseinanderfalten.
Tempi passati: Heute beherrschen normgerechte C5-Couverts das Feld, maschinell adressiert und durch den Frankierautomaten gelassen. Das einzige Spannungselement, das es noch gibt: Hoch- oder Querformat?
Vielfalt der Sujets
Bei den Bildsujets gibt es eine grosse Bandbreite. Im Bereich Fotografie dominieren verschneite Landschaften und Lichterketten in der Dunkelheit, wenn es nicht festlich dekorierte Weihnachtsbäume sind. Im Bereich Reproduktionen ist von klassischer Genre-Malerei bis zeitgenössischer Konzeptkunst alles vertreten. Handwerkliche KMU können sich aber auch einmal für eine lustige Karikatur entscheiden, bei der Rentier Rudolph die Hauptrolle übernimmt.
Ab nächstem Jahr bringt allerdings kein Künstler in Sachen Weihnachtskarten mehr einen Fuss auf den Boden. Bis dann hat jede KV-Stiftin und jeder Bürolist gelernt, wie man mit Dall-E 2 eigene Bilder mit natürlicher Sprache gestalten kann – und das vollkommen gratis.
Vordruck
Ob die Karten gekauft oder selbst kreiert sind: In vielen Firmen ist der Umfang der Adressliste für Weihnachten unendlich lang geworden, weil es keinen Grund gibt, jemals eine Adresse zu streichen. Die Person könnte ja für irgendjemand in der Firma wichtig sein oder werden. Und zu Jahresbeginn hat dann niemand Lust darauf, die Adressmutationen der Post zu bearbeiten – die nächsten Weihnachten sind ja noch weit weg.
Die Lösung: Eine vorgedruckte Karte, bei der es im Notfall reicht, mit dem Kugelschreiber einen Haken hinzukritzeln, der entfernt an eine Unterschrift erinnert. Dies ist nicht nur hocheffizient, sondern sorgt auch dafür, dass sich das Unternehmen bezüglich der Rechtschreibsicherheit oder der politischen Korrektheit bei Eigenformulierungen der Mitarbeitenden nicht blamieren kann.
Klar, dass die Vordrucke sich für alle Situationen und Beziehungen eignen müssen, womit jegliche Individualität ausgeschlossen ist. Aus diesem Grund beschränken sich internationale Konzerne auf ein möglichst unverbindliches und kurzes "Seasons Greetings", das dann dafür in möglichst vielen Weltsprachen gedruckt wird. Wer hingegen in der Region Business betreibt, kann die Karte nutzen, um gleich noch einen Jahresend-Rabatt auszuloben.
Eigenhändiger Text
Erhält man eine handschriftlich verfasste Weihnachtskarte, die aus mehr als einer Floskel besteht, darf man sich wertgeschätzt fühlen. Die Weihnachtskarte stellt oftmals die einzige schriftliche Kommunikation eines Geschäftspartners dar, die nicht digital stattfindet. Dem Text ist daher meist anzusehen, dass der Verfasser nicht mehr geübt ist, von Hand zu schreiben – So benötigt jemand, der von mir eine Karte erhält, einen Abschluss in Ägyptologie, um die Hieroglyphen zu entziffern. Immerhin kommen diese aus tiefstem Herzen.
Jean-Marc Hensch ist seit 2012 Kolumnist von inside-it.ch. Als Verwaltungsrat, Startup-Investor und Coach ist er in der ICT- sowie in weiteren Branchen engagiert. Er äussert hier seine persönliche Meinung und twittert als @sosicles.