Weitreichende Kritik an neuem Nachrichten­dienst­gesetz

12. September 2022 um 10:43
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Foto: Tetiana Shyshkina / Unsplash

Die Grünen und verschiedene NGOs lehnen die Revision des Nachrichtendienstgesetzes ab. Zustimmung finden die Neuerungen bei den bürgerlichen Parteien.

Grüne und verschiedene NGO haben die vom Bundesrat vorgeschlagene Revision des Nachrichtendienstgesetzes stark kritisiert. Die Überwachung der Bevölkerung werde dadurch weitgehend ausgebaut. FDP und Mitte begrüssen die Vorlage. Die SVP will sie sogar noch ausweiten. Das geht aus den Antworten zur Vernehmlassung hervor.
Die Ausweitung der Überwachung gehe zulasten elementarer Grundrechte, schreibt eine Koalition von 15 NGOs, darunter Public Eye, Amnesty International Schweiz, Demokratische Juristinnen und Juristen Schweiz sowie Operation Libero in ihren Stellungnahmen zu der Revision. So werde etwa das bisher klar formulierte Verbot jeglicher Überwachung von politischer Betätigung und der Ausübung der demokratischen Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit mit Ausnahmeregelungen relativiert und aufgehebelt.
Mit der Revision soll der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) unter anderem schärfere Instrumente erhalten, um gewaltbereite Rechts- und Linksextreme zu überwachen. Eine weitere geplante Neuerung betrifft die Abklärungen über finanzielle Transaktionen, zum Beispiel bei der Finanzierung von Terrorismus oder Spionagenetzwerken.

Grüne: NDB hält sich nicht an Regeln

Bereits heute ziehe der Geheimdienst den Kreis der Verdächtigen viel zu weit, erklären die Grünen. Man unterstütze keine Revision, solange der NDB sich nicht an die heute geltenden Regeln halte. Immer wieder seien in der Vergangenheit Änderungen der Praxis versprochen worden, aber die Kultur des Nachrichtendienstes bleibe stets die gleiche.
Anfang Juni wurde bekannt, dass der NDB auch nach den Rügen durch die Aufsichtsbehörden weiter Informationen über Parteien, Politikerinnen und Politiker und über zivilgesellschaftliche Organisationen gesammelt hat. In den sicherheitsrelevanten Datenbanken des NDB fanden sich etwa 112 Einträge zur Grünen Partei und 35 zu Parteipräsident Balthasar Glättli.
Der NDB war in der Vergangenheit bereits mehrmals für die Sammelpraxis gerügt worden, sowohl von der Aufsichtsbehörde als auch von der parlamentarischen Oberaufsicht, der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte. Beide Aufsichtsorgane waren in ihren jeweiligen Berichten im Jahr 2020 zum Schluss gekommen, dass der NDB nach wie vor mehr Informationen sammle als ihm das Gesetz erlaube. Schon 2019 war bekannt geworden, dass linke Politikerinnen und Politiker teils dutzendfach in den Datenbanken des NDB aufgetaucht waren.

Handys und Computer überwachen

Die NGO-Koalition kritisierte weiter, dass die Revision dem Nachrichtendienst mehr Überwachungsmethoden unter weniger strengen Bedingungen gewähre. Eingedrungen werden könne etwa in Computer und Handys ohne Bewilligung des Bundesrates. Besonders gravierend und gefährlich sei, dass solche Massnahmen auch gegenüber Anwältinnen, medizinischem Personal und Medienschaffenden angewendet werden dürften.
Das sei ein schwerwiegender Angriff auf die Pressefreiheit, schreibt die Gewerkschaft Syndicom. Die Vorlage führe dazu, dass der Quellenschutz sukzessive aufgehoben und die Rolle von Journalistinnen geschwächt werde. Die Piratenpartei ist nicht damit einverstanden, dass der Nachrichtendienst die gesammelten Daten "auf ewig" speichern und an ausländische Geheimdienste weitergeben kann. Problematisch dabei sei, dass die Schweiz danach keine Kontrolle mehr über die Daten habe.
Auch die Meinung des Schweizerischen Anwaltsverbands hat es in sich. Gegenüber 'Der Bund' sagten Präsidentin Birgit Sambeth Glasner und Generalsekretär René Rall, dass in einem Rechtsstaat jeder Rechtssuchende mit seiner anwaltlichen Vertretung in völliger Offenheit kommunizieren können muss, ohne dabei befürchten zu müssen, dass die Kommunikation offengelegt oder anderweitig verwendet werde. Mit der Streichung des Schutzartikels im neuen Nachrichtendienstgesetz verkomme das Berufsgeheimnis zur Makulatur.

SVP: sinnvoll und angemessen

Die SVP hält die Revision für "mehrheitlich sinnvoll und angemessen". Es sei zu begrüssen, dass Präzisierungen vorgenommen werden. Diese brauche es für einen fest definierten Handlungs- und Rechtsrahmen.
Der Geheimdienst müsse in kürzester Zeit reagieren können, um Informationen im Interesse des Staatsschutzes beschaffen zu können, schrieb die Partei. Der Bundesrat solle deshalb zusätzlich zur Präzisierung der Beschaffungsregeln auch die Handlungsfähigkeit generell anpassen.
Ergänzen möchte die SVP das Gesetz mit einer Reihe meldepflichtiger Behörden wie dem Sozialdienst oder medizinischen Fachpersonen, damit diese Hinweise auf extremistische Gefährdungen weiterleiten können. Sicherstellen will die SVP zudem, dass die Daten einer Sperrfrist unterliegen und nicht gelöscht werden dürfen.

FDP: gute Balance zwischen Freiheit und Sicherheit

Für FDP und Mitte ist der Nachrichtendienst "unabdingbar" und "erste Verteidigungslinie der Schweiz", und er brauche "griffige Instrumente", um die Kernaufgabe des Bevölkerungsschutzes zu erfüllen.
FDP und Mitte begrüssten insbesondere die Aufhebung der Beschränkungen im Bereich Gewaltextremismus. Laut FDP ist zudem die Brücke zwischen Freiheit und Sicherheit im vorgelegten Entwurf zufriedenstellend geschlagen worden.
Die Vernehmlassungsfrist zur Revision des Nachrichtendienstgesetzes ist am Freitag abgelaufen. Über die Gesetzesänderungen wird als Nächstes das Parlament und je nachdem das Volk befinden.

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