Seit März 2022 verhandeln die Vereinten Nationen (Uno) eine Konvention zur Bekämpfung von Cyberkriminalität. Diese sollte eigentlich bereits Anfang 2024 unter Dach und Fach sein, doch es gibt eine Reihe von inhaltlichen Streitpunkten, die zu Verzögerungen geführt haben. Am 11. November hat der Ausschuss für Soziales, Humanitäres und Kulturelles den Entwurf zur Resolution angenommen.
Zwischen dem 15. und 20. Dezember stimmt dann die Uno-Generalversammlung über die umstrittene "Cybercrime Convention" ab. Kritikerinnen und Kritiker monieren jedoch, dass die Resolution, die 2019 von Russland, China und weiteren Staaten wie Iran, Ägypten, Sudan und Usbekistan initiiert worden ist, gegen Menschenrechte verstossen könnte.
Wolf im Schafspelz
Eigentlich soll mit der Konvention die internationale Zusammenarbeit gegen Cyberkriminalität geregelt werden, doch nach der Meinung der Menschenrechtsorganisationen geht es mittlerweile fast um alle Arten von Verbrechen, die bereits eine digitale Komponente beinhalten.
So wird beispielsweise kritisiert, dass der Vertrag viel zu weit gefasst sei und in westlichen Ländern teilweise eine gehörige Rechtsunsicherheit mit sich bringe. Zudem könnte der Vertrag zu einem "erheblichen Spielraum für Missbrauch" führen, heisst es in einem
Brief von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen und Wissenschaftlern.
Die Hauptkritik der Unterzeichnenden zielt darauf ab, dass mit der Annahme der Resolution schlagartig alle UN-Staaten ganz legitim über eine ganze Reihe an Überwachungsinstrumenten verfügen könnten, egal ob sie die Demokratie und die Menschenrechte achten oder nicht.
Schweizer Beteiligung
An den Verhandlungen für den Entwurf der Konvention war auch die Schweiz beteiligt. "Wir haben uns von Anfang an aktiv in die Verhandlungen eingebracht, um den Menschenrechtsschutz zu gewährleisten", sagte eine Teilnehmerin der Schweizer Verhandlungsdelegation gegenüber
'Dnip.ch'.
Dieser Einsatz habe sich schlussendlich aber ausgezahlt, so die Ansicht der Schweizer Delegation. Am Ende sei ein Entwurf erarbeitet worden, in dem menschenrechtliche Minimalstandards verankert waren. Die Delegation stimmte dem Entwurf daher zu.
Das Eidgenössische Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) kommentierte den Entscheid: "Der nun verabschiedete Text ist ein hart erarbeiteter Kompromiss unter allen UNO-Mitgliedstaaten. Die Schweizer Delegation hat sich im Rahmen des gesamten Verhandlungsprozesses konstant und wiederholt für den Respekt menschenrechtlicher Verpflichtungen eingesetzt."
Internationale Kritik
Constanze Kurz, die Sprecherin des Chaos Computer Clubs, war mit
ihrer Einschätzung nicht ganz so milde und sagt zur Konvention: "Insgesamt betrachtet bringt der UN-Vertragsentwurf keine Verbesserung im Bereich der Sicherheit von Informations- und Kommunikationstechnologien, sondern nur das Risiko für eine Verschlechterung." Aus diesem Grund forderte sie eine Nein-Stimme bei der Abstimmung vor der Uno-Generalversammlung.
Die Konvention könnte sogar dazu führen, dass Staaten andere Nationen bei der möglicherweise nach nationalem Recht illegalen Überwachung unterstützen müssten. So könnte beispielsweise Russland die Sicherung von elektronischen Daten in einem anderen Land anordnen. Auch die gegenseitige Unterstützung bei der Echtzeiterfassung von Verkehrsdaten und dem Abhören von Inhalten wäre in der Konvention vorgesehen.
Hintertür für Überwachung
Die Schweizer Sektion von Amnesty International hat zu einer Ablehnung der Konvention aufgerufen. Die Menschenrechtsorganisation fordert, dass die Schweiz die Unterschrift unter diesen Text verweigert. "Die Konvention ist bereits im Titel viel zu weit gefasst und öffnet Tür und Tor für Missbrauch", schreibt sie auf eine Anfrage von inside-it.ch.
So könnten bei der Annahme der Resolution auch Forschende, Journalistinnen, Whistleblower und andere Personen verfolgt werden. "Der potenziell missbräuchliche Anwendungsbereich ist enorm", hält Mediensprecher Beat Gerber fest. "Die Konvention könnte eine globale Hintertüre für ungerechtfertigte Überwachung öffnen."
Dazu schreibt Gerber: "De facto handelt es sich nicht um eine Konvention zur Cyberkriminalität. Mit dieser Konvention kann vielmehr ein riesiger internationaler Überwachungsapparat geschaffen werden. Der unzureichende Schutz der Menschenrechte ist eine Einladung zum Missbrauch. Die Staaten sollten gegen diese Aushöhlung unserer Menschenrechte stimmen."
"Der grösste Eingriff in unsere digitale Integrität"
Auch für Pascal Fouquet, Vizepräsident der Piratenpartei Bern, ist klar, dass die Schweiz gegen die Konvention stimmen muss. Diese hätte "an zahlreichen Stellen viel stärker eingeschränkt werden müssen, um die Grund- und Menschenrechte zu wahren." Für ihn entstehen dadurch gravierende Grundrechtsverletzungen, die durch eine Annahme automatisch völkerrechtlich bindend werden.
Er betont dabei, dass bereits die Budapest-Konvention existiert, die aber nur Straftaten betrifft, die mit einem Computer verübt werden können. Die Cybercrime Convention geht aber einen Schritt weiter und umfasst auch "analoge Straftaten", die man mit der Technologisierung zunehmend besser überwachen kann.
"Die Cybercrime Convention steht für alles, wogegen wir die letzten Jahre gekämpft haben: Chatkontrolle, Vorratsdatenspeicherung, Kabelaufklärung, Uploadfilter. Die komplette Überwachung aller Kommunikation. Das ist der bislang grösste Eingriff in unsere digitale Integrität", sagt er gegenüber inside-it.ch.
Sollte die Schweiz sich nicht gegen die Konvention aussprechen, erhofft sich Fouquet, dass das Schweizer Parlament die Konvention nicht ratifiziert.
Pflicht zur Beihilfe?
Cybersecurity-Experte Christian Folini sieht das Problem darin, dass zahlreiche autoritäre Staaten ihren Einfluss geltend gemacht und den Anwendungsbereich der Konvention ausgedehnt haben. "Sie erlaubt (und verlangt) den Austausch von Personendaten bei einer Vielzahl von digital-unterstützten Strafdaten und verpflichtet die ratifizierenden Staaten, dass sie entsprechende Überwachungen ermöglichen."
"Dabei ist der Strafenkatalog ebenfalls von diesen Staaten mitgeprägt und umfasst auch Inhaltsdelikte, welche im Westen unter die Meinungsfreiheit fallen, in China und Russland aber als Hochverrat gelesen werden. Zahlreiche Staaten haben hier dagegen gehalten, sie haben versucht, die Konvention enger zu fassen, konnten aber nur beschränkten Erfolg erzielen", ergänzt er.
Für ein Urteil müsse man sich aber zuerst die finale Fassung im Detail ansehen, findet der Cybersecurity-Experte. Danach müsse man schauen, ob es möglich ist, genügend Leitplanken zu setzen, um die Schweizer Bevölkerung und nicht zuletzt auch die hier beheimateten internationalen Organisationen vor den ungebührlichen Zugriffen der autoritären Staaten schützen, so Folini.