Es ist bald Halbzeit beim Digitalisierungsprogramm Dazit. Rund 4 Jahre nach dem Start und knapp 5 Jahre vor dem Abschluss haben wir mit Programmleiterin Isabelle Emmenegger über den Fortschritt des Programms, die Kritik der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK), personelle Ressourcen und Sorgen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesprochen. Die Juristin war vor ihrer Zeit bei der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV) – die Anfang nächstes Jahr in Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) umbenannt wird – als Direktorin beim Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Estavayer sowie beim Bundesamt für Sport tätig.
Dazit ist 2018 gestartet und soll Ende 2026 abgeschlossen sein. Es ist quasi Halbzeit. Wie lautet Ihre Bilanz der ersten Hälfte?
Wir sind warm gelaufen und konnten bereits Stabilität ins Team bringen. Ich mag den Vergleich mit einem Marathon: Noch sind wir nicht in der Hälfte, aber gut unterwegs. Positive Zwischenresultate sind bei einem Marathon wichtig, und die konnten wir erzielen.
Ich dachte eher an ein Fussballspiel. Welches ist ihre Position? Trainerin, Captain, Sportchefin oder Präsidentin?
Ich habe selbst Fussball gespielt. Meine Stammposition war linker Flügel und ich hatte eine grosse Ausdauer. War Kapitänin der Mannschaft und einige Zeit auch Trainerin. Ich hatte diverse Rollen inne und das zeichnet mich wohl auch aus.
Und wie leben Sie Ihre Rollen?
Manchmal kämpfe ich für die Mannschaft, manchmal steuere ich sie, dirigiere sie. Aber wie würdet ihr mich beschreiben?
Mit am Tisch sitzen Martin Rohrer und Dominik Meier, beide Leiter Programm Management / Dazit, die wichtige Rollen im Team von Isabelle Emmenegger einnehmen.
Martin Rohrer: Für mich ist sie, um bei der Fussballanalogie zu bleiben, der Typ englischer Manager. Also eine Mischung aus Trainerin und Sportchefin, die die Mannschaft selbst zusammenstellt, aber auch aufstellt, führt und einen Matchplan mitgibt.
Nehmen wir an, Sie müssten in dieser Rolle eine Halbzeitansprache an Ihr Team halten. Wie lautet sie? Was war gut, was weniger, wo braucht es einen neuen Spielzug?
Isabelle Emmenegger: Ich bin wirklich ein kritischer Mensch und hinterfrage viel, trotzdem würde ich meine Ansprache anfangen mit: 'Weiter so!', weil wir trotz des eher trägen Verwaltungsumfeldes schon sehr viel erreicht haben. Ich habe auch keinen Grund, jemanden auszuwechseln in der Halbzeit und wir haben auch keine Ausfälle zu beklagen. Das ist nicht selbstverständlich in diesem Umfeld.
Spüren Sie Druck vom Publikum, respektive von der Wirtschaft oder bundesinternen Stellen?Vom Parlament! Wir müssen Einsparungen realisieren, Regulierungskosten senken, Stellen im administrativen Bereich reduzieren. Wir bauen dazu ein Nutzenmanagement auf – als allererste in der Verwaltung. Wir müssen viele messbare Resultate liefern und nicht nur Systeme ablösen.
Aber nicht nur das Parlament stellt Ansprüche an Sie.
Das ist so. Einerseits die Wirtschaft, andererseits andere Bundesämter und gleichzeitig unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter …
… wie bringen Sie dies unter einen Hut?
Das ist nicht so einfach, vor allem weil seit dem Start von Dazit immer wieder neue Ansprüche dazu gekommen sind. Wenn man loslegt und schnell Erfolge erzielt, kommen neue Ideen, was man auch noch machen könnte.
Ist Dazit also gewachsen seit dem Start, sind neue Teilprojekte hinzugekommen?
Nein, der Auftrag ist immer noch derselbe. Dazit ist nicht nur IT, sondern umfasst die Transformation der gesamten Eidgenössischen Zollverwaltung zum Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG), wie zum Beispiel auch die Anpassung von Berufsbildern, Rechtsetzung, Ausbildung oder Infrastruktur. Beim Start stand die IT noch im Vordergrund, inzwischen sind auch die anderen Bereiche weit vorangeschritten.
Martin Rohrer:
Die Dazit-Botschaft formuliert nur die IT-Vorhaben sehr konkret. Wie die Weiterentwicklung und Transformation der EZV umgesetzt werden soll, ist nur grob umschrieben.
Basis von Dazit ist noch immer Die Botschaft vom Jahr 2017
Nun ist diese Botschaft aber im März 2017 geschrieben worden. Das ist in der IT eine Ewigkeit her. Ist sie denn diesbezüglich noch aktuell?
Martin Rohrer: Nein, die Welt verändert sich. Die Ziele und Stossrichtungen sind selbstverständlich noch aktuell und massgebend, die Vorgehensweise für die Umsetzung wurde jedoch angepasst.
Müsste denn nicht die Botschaft angepasst werden, damit die richtigen Entscheide getroffen werden können? Oder ist das politisch gar nicht vorgesehen?
Isabelle Emmenegger: Nein, das ist nicht vorgesehen. Wir konnten jedoch die Kreditstruktur, die eng an Projekte gebunden ist, auflösen. So können wir schneller auf Veränderungen reagieren.
Sie hatten ursprünglich 7 Verpflichtungskredite. Jetzt nur noch einen einzigen?
Nicht ganz, aber wir konnten von 7 auf 4 Kredite reduzieren. Von dieser engen Bindung von einzelnen Krediten an Teilprojekte erhoffte sich das Parlament eine bessere Kontrolle. Diese starke Regulierung verhinderte jedoch, dass sich IT-Projekte schneller an die sich verändernde Welt anpassen konnten. Die Eidgenössische Finanzkontrolle hat diese Vereinfachung unterstützt.
Kontrolliert werden sie aber trotzdem noch.Ja, permanent. Wir erstatten diversen internen und externen Stellen Bericht und legen Rechenschaft ab.
Ist das diese 'träge Verwaltungsumfeld', von dem Sie zuvor gesprochen haben?
Nein. Wie träge Strukturen in der Verwaltung sind, hängt unter anderem stark von der jeweiligen Führung ab. Auch in der Verwaltung ist es möglich, Sachen voranzutreiben und Wege zu verkürzen. Aber das muss gewollt sein. Bei der EZV haben wir das Glück, mit Christian Bock einerseits einen thematisch affinen und vifen Amtsdirektor zu haben, und andererseits bei vielen Themen eine Vorreiterrolle in der Bundesverwaltung zu übernehmen. Das bringt uns einen gewissen Spielraum, Dinge auszuprobieren und zu gestalten.
"Wir sind wunschlos glücklich"
Was würden Sie sich von den verschiedenen Gremien, Behörden oder der Bundesverwaltung wünschen? Was brauchen Sie, um besser zu sein?
Wir haben alle Unterstützung, die wir brauchen.
Ehrlich wahr? Es ist bald Weihnachten und Sie sind wunschlos glücklich? Kein zusätzliches Milliöndli unter dem Tannenbaum nötig?
(schmunzelt) Im Umfeld des Programms Dazit bin ich tatsächlich zufrieden. Ich habe noch andere Themen auf dem Tisch, dort sieht es zum Teil anders aus.
Die Teilprojekte Biera und Quickzoll sind abgeschlossen und offenbar funktionsfähig im Einsatz. Was sind die nächsten grossen Schritte?
Wir haben natürlich noch weit mehr gemacht, zum Beispiel neue Anwendungen für unsere Mitarbeitenden. Der nächste grosse Wurf mit Publikumswirkung wird sicher das neue digitalisierte Handelswarensystem namens Passar sein.
Wann wollen Sie damit fertig sein?
Der erste Release kommt im Juni 2023. Ab diesem Zeitpunkt können unsere Partner ihre Systeme ans neue Warenverkehrssystem anbinden.
Wie flexibel sind Sie denn innerhalb des Projektteams, was die zeitliche Umsetzung der Teilprojekte angeht und wie viel ist durch die Botschaft strikt vorgegeben?
Themen vorzuziehen, ist immer möglich. Nach hinten schieben, geht hingegen nicht.
Ressourcen vorbezogen
Bedeutet das aber nicht, dass Sie früher mehr Ressourcen benötigen?
Doch, wir haben dementsprechend auch einen Vorbezug von Ressourcen begründet und beantragt. Es ging aber nicht darum, mehr Mittel zu erhalten, sondern früher. Also sofort statt erst 2025.
Aber nochmal zur zeitlichen Verschiebung von Projekten: Konkret führen Sie hier im Haus die inhaltliche Debatte dazu und gehen zum Parlament, um es sich finanzieren zu lassen?
Korrekt. Und die inhaltliche Diskussion findet in der EZV auf Stufe Geschäftsleitung und mit dem Departementsvorsteher Ueli Maurer statt. Digitale Transformation muss Chefsache sein, die kann nicht in die IT delegiert werden.
Das Budget für mehr Ressourcen gesprochen zu erhalten, ist das eine. Damit die richtigen Mitarbeitenden zu finden und einzustellen, das andere.
Wir spüren den Fachkräftemangel auch. Wir arbeiten diesbezüglich eng mit dem Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) zusammen, was uns hilft. Dennoch haben wir auch auf dem Markt, also ausserhalb der Bundesverwaltung, gute Mitarbeitende gefunden. Meine Wahrnehmung ist sogar, dass Dazit nach wie vor eine gewisse Sogwirkung auf dem Arbeitsmarkt hat.
Wie viele Menschen arbeiten derzeit für Dazit?
Rund 250 Personen. Je ein Drittel sind EZV- und BIT-Mitarbeitende sowie externe Leistungserbringer.
Ich spüre bei Ihnen eine grosse Freude und auch Loyalität zum Programm Dazit. Wenn jetzt die Finanzkontrolle einen kritischen Bericht schreibt und sagt, es seien keine Fortschritte erkennbar. Wie kommt das bei Ihnen an?
Wir wussten, was im Bericht stehen wird. Und wir hatten tatsächlich Pendenzen zu erledigen.
Die fehlenden Kontrollinstumente sind jetzt verfügbar
Sie sprechen die fehlenden Kontrollinstrumente an.
Ja, ein systematisches Nutzenmanagement hat bisher gefehlt. Das haben wir inzwischen aufgebaut. Jetzt können wir ausweisen, was gemessen werden muss. Aber dieser eine Satz, den Sie zitiert haben, ist aus dem Zusammenhang gerissen.
Trotzdem formulierte es die Finanzkontrolle so, und sie schrieb auch, dass seit 2018 Kontrollinstrumente fehlten, um die Erreichung der Ziele zu messen. Warum taten Sie sich 3 Jahre lang so schwer damit?
Für Dazit sind in der Botschaft 3 Ziele definiert: 1. die Ablauf- und Regulierungsfolgekosten um 125 Millionen Franken zu senken, 2. Effizienzsteigerung von 300 Vollzeitstellen vorzunehmen und 3. die Betriebskosten auf den Stand von 2017 zu senken und zu halten. Die EFK kritisierte, dass wir uns bislang zum Erreichungsrad dieser Ziele nicht geäussert haben. Per 31. Dezember dieses Jahres werden wir dies nun nachholen.
Geben Sie unseren Leserinnen und Lesern doch einen kleinen Vorgeschmack auf den 31. Dezember.
Wir haben zumindest keine schlaflosen Nächte, so viel kann ich verraten. Ich bin optimistisch, dass wir die Ziele erreichen werden, spätestens am Ende des Programms.
Eine weitere Zahl aus dem EFK-Bericht ist: 465 Millionen. So viel haben Sie ausgegeben statt der 393 Millionen, die ursprünglich vorgesehen waren.
In der Botschaft wurden einerseits finanzwirksame Mittel – der Verpflichtungskredit von 393 Millionen Franken – beantragt und andererseits interne Personalressourcen geschätzt. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass die Umsetzung von Dazit im Vergleich zur Planung von 2017 mehr interne Leistung erfordert. Dieser interne Mehraufwand hat keinen Zusammenhang und auch keine Auswirkungen auf den Verpflichtungskredit von 393 Millionen Franken.
Entscheidend sind also nicht die Gesamtkosten, sondern der Verpflichtungskredit?
Genau, es ist unsere Aufgabe, die internen Mehraufwände innerhalb der EZV zu kompensieren. Und ausgegeben haben wir die 465 Millionen Franken sowieso nicht. Nach vier von neun Jahren haben wir trotz Vorbezug von Ressourcen erst 138 Millionen Franken aus dem Verpflichtungskredit verbraucht.
Also kommen Sie mit den gesprochenen 393 Millionen Franken bis am Ende aus?Ja.
Aber es gab ja auch schon Projekte, bei denen Nachtragskredite beantragt worden sind.
Die noch anstehenden Kosten sind inzwischen gut einschätzbar und so können wir sagen, dass wir mit dem Kredit auskommen.
Also haben Sie keine Sorgen wegen des nächsten EFK-Berichts?
Nein, wir machen uns nicht im Vorhinein Sorgen. Wir haben die bisherigen Empfehlungen umgesetzt und wenn neue kommen sollten, dann hilft uns das ja auch.
Bis jetzt haben wir viel über bundesinterne Stakeholder gesprochen. Wie reagiert die Wirtschaft auf Dazit, was sagt Economiesuisse?
Es gibt eine Begleitgruppe Wirtschaft, die seit Anfang dabei ist und die regelmässig über Fortschritte informiert wird. Da sind Economiesuisse, Industrievertreter und weitere grosse Verbände dabei. Zudem gibt es auch Arbeitsgruppen, in denen Wirtschaftsvertreter mitarbeiten können.
"Die Einführung von Passar ist das nächste grosse Highlight"
Allen können Sie es aber wohl trotzdem nicht recht machen.
Das ist so, alle haben ihre eigenen Erwartungen und allen können wir nicht gleich gerecht werden.
Wie gehen Sie damit um?
Mit transparenter und offener Kommunikation sowie mit Kritikfähigkeit.
Sie Frau Emmenegger und Sie Herr Rohrer haben beide keine langjährige Vergangenheit beim Bund. Kommunizieren Sie deshalb offener und transparenter als andere?
Das kann schon sein. Bei unserem Projekt gehts um Steuergelder. Wenn nicht hier transparent sein, wo denn dann?
Leben Sie diese Offenheit auch gegenüber Mitarbeitenden? Gerade für die Grenzwächterinnen und Grenzwächter sowie Zöllnerinnen und Zöllner dürfte die digitale Transformation nicht nur einfach sein.
Auf jeden Fall. Transformation ist eine Herausforderung für das Management sowie für jeden einzelnen Mitarbeitenden. Wir sind deshalb oft draussen bei unseren Mitarbeitenden und hören ihnen zu. Das direkte Gespräch mit dem einzelnen Mitarbeitenden ist viel wichtiger als jede E-Mail, jedes Infobulletin und jede News im Intranet.
Wir haben sportlich angefangen, wir hören sportlich auf. Freuen Sie sich auf die zweite Halbzeit?
Ja, sehr sogar. Ich freue mich vor allem auf die Einführung von Passar – das werden wir hinkriegen.
Und was machen Sie nach dem Schlusspfiff?
Ferien. Hinzu kommt: Wir haben in den vergangenen Jahren so viele Zwischenziele erreicht und hätten es verdient, zusammen darauf anzustossen. Aber leider war das unter den gegebenen Umständen nicht möglich. Ich freue mich, dies nachzuholen.