Gerüchte und Ärger über Post-Beschaffung machen die Runde

15. Januar 2020 um 14:26
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Weil Netcloud und Pure einen 30-Millionen-Zuschlag erhielten, kursieren Vorwürfe zu Muss-Kriterien und personellen Verwicklungen. Wir haben recherchiert.

Ein Zuschlag der Post sorgt in der Branche für mehr Frust als üblich. Gleich mehrere Anbieter und mögliche Anbieter äussern sich kritisch zum 30-Millionen-Auftrag für Datacenter-Infrastruktur, der nach einer langen, nämlich rund 10 Monate dauernden Ausschreibung an Netcloud und Pure ging.
Zuerst berichtete 'Inside Paradeplatz' unter Berufung auf einen nicht namentlich genannten Gesprächspartner. Basierend auf mehreren Gesprächen mit inside-it.ch stehen drei Vorwürfe im Raum.
Der erste Vorwurf: Netcloud/Pure erfüllen ein Muss-Kriterium der Ausschreibung nicht, aber hätten den Zuschlag trotzdem erhalten. Andere Anbieter offerierten eine High-End-Lösung, welche nach ihrer Ansicht nötig ist, um die Muss-Anforderung zu erfüllen. Aber damit seien ihre Angebote wesentlich teurer als die siegreiche Midrange-Lösung von Netcloud und Pure.

Muss-Kriterium Ports

Konkret soll es beim Muss-Kriterium um Ports gehen, wie auch der Finanzplatz-Blog 'Inside Paradeplatz' schreibt. In den vorliegenden Ausschreibungsunterlagen heisst es dazu an die Adresse von Data-Center-Spezialisten: "Die Storagesysteme werden mit mindestens 16 Gb FC im Storagefrontend und SAN (Multimode SFP) gemäss der im Pflichtenheft unter 'Mengengerüst' Kapitel 7.12 aufgeführten Spezifikation SAN / Storage ausgeliefert. Falls 32Gb Storagefrontend verfügbar ist, kann die Anzahl Ports halbiert werden. Dazu ist die entsprechende Anpassung der SFP und Fabricmodule im Cisco SAN-director zu berücksichtigen. Der Anbieter liefert eine Roadmap zum Update auf 32 GBit FC in den vorhandenen Systemen und macht eine Aussage zum Zeitpunkt der Verfügbarkeit und zu allfälligen Umrüstungskosten."
Hat das Netcloud/Pure offeriert, auch wenn Mitbewerber dies verneinen? Die Frage geht an Netcloud und Pure. "Erfüllt Pure das genannte Muss-Kriterium (Ports) und ist somit ein genannter Vorwurf nichtig?"
Ein Sprecher von Pure antwortet: "Aufgrund von NDAs mit unseren Partnern und Kunden können wir Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskünfte erteilen."
Und Netcloud-CEO Marc Schürch schreibt: "Wir haben mit der Post eine Geheimhaltungsvereinbarung. Aus diesem Grund darf ich keine Auskünfte erteilen."
Warum ein Pure-Produkt, das sowieso auf dem Markt ist oder kommen wird, unter ein NDA fallen soll, ist unklar.
Auf die Frage "erfüllt die Pure/Netcloud-Offerte alle Muss-Kriterien?", antwortet Schürch, er habe alles gesagt, was er sagen könne und verweist darauf, dass Netcloud "wegen der laufenden Rechtsmittelfrist keinen rechtskräftigen Zuschlag" habe.
Bleibt die Post, welche die Branche informieren könnte, dass die Vorwürfe unbegründet sind. Erfüllt die Netcloud/Pure-Offerte jedes Muss-Kriterium gemäss Ausschreibung vollständig? Statt klar mit "ja" oder "nein" antwortet die Post ausführlich in Juristendeutsch: "Wie bei allen Beschaffungen, die dem öffentlichen Vergaberecht unterstehen, hat die Post auch im vorliegenden Verfahren die Anforderungen an den Beschaffungsgegenstand sowie die Kriterien und deren Gewichtung für die Bewertung der Angebote im Voraus bekannt gegeben. Die angebotene Lösung der designierten Zuschlagsempfängerin wurde, wie in den Ausschreibungsunterlagen vorgesehen, im Rahmen eines Proof of Concepts (PoC) umfassend geprüft."
"Dabei hat sich bestätigt, dass mit der angebotenen Lösung die angestrebten Ziele und Bedürfnisse der Post erfüllt werden können. In Berücksichtigung aller Kriterien hat Netcloud die Anforderungen am besten erfüllt und damit das wirtschaftlich günstigste Angebot eingereicht."
Ob alle Muss-Kriterien erfüllt wurden, bleibt damit nicht ganz geklärt. Es ist auch nicht geklärt, ob die Post irgendwann plante, die Ausschreibung zurückzuziehen. Dies hätte sie sollen, falls sie die Anforderungen hätte ändern wollen. 
Und genau dies musste die Post 2019 peinlicherweise tun, als der Konzern erst im Dezember und im zweiten Anlauf Notebooks, Monitore und Mäuse beschaffen konnte, weil die erste Ausschreibung schlecht gewesen war.

War ein Rückzug der Ausschreibung ein Thema?

Deshalb geht die Frage an die Post: Gab es postintern jemals eine Diskussion, die Ausschreibung zurückzuziehen und falls ja, weshalb wurde sie nicht zurückgezogen? "Insbesondere bei grösseren Projekten finden regelmässig Besprechungen des Evaluationsteams statt, bei welchen über den aktuellen Stand sowie das weitere Vorgehen gesprochen wird. Detaillierte Angaben zu möglichen Erwägungen, Abklärungen und internen Diskussionen in Rahmen von Vergabeverfahren werden wie üblich nicht extern kommuniziert."
"Bei öffentlichen Ausschreibungen erfolgt der Zuschlag aufgrund der Rangfolge, die sich aus der Bewertung aller bekannt gegebenen Zuschlagskriterien ergibt. Dabei erhält die bestplatzierte Anbieterin den Zuschlag. Vorliegend rangierte nach Durchführung der Evaluation aller Kriterien die Netcloud auf dem zuschlagsberechtigten ersten Rang. Vorgängig wurde deren Angebot im Rahmen eines aufwändigen Proof of Concept eingehend und erfolgreich hinsichtlich Erfüllung der gestellten Anforderungen und Leistungsziele getestet."

Ein weiterer Vorwurf: Personelle Verwicklungen

Gleich zwei Mitbewerber von Netcloud/Pure äussern gegenüber inside-it.ch den Verdacht, dass eine langjährige Postmitarbeiterin, die im Datacenter-Kontext arbeitete, mit einem Pure-Mitarbeiter liiert sei. Darum fragten wir die Post: Hat die angesprochene IT-Mitarbeiterin eine Unbefangenheitserklärung unterzeichnet? Oder musste sie in den Ausstand treten? Wussten die Post-Verantwortlichen von der Beziehung mit dem Pure-Mitarbeiter und dessen Aufgabengebiet (Name ist uns bekannt)? Zu welchem Zeitpunkt geschah dies (bezogen auf jede der drei Fragen einzeln)? Der Postsprecher schreibt: "Zu Beginn einer Ausschreibung werden bei der Post alle Projektmitarbeitenden auf ihre Unbefangenheit sensibilisiert. Besteht ein Interessenskonflikt in Bezug auf einen potenziellen Anbieter oder ergibt sich ein solcher nach Kenntnis der teilnehmenden Anbieter, haben betroffene Mitarbeitende in den Ausstand zu treten und sind somit nicht mehr Teil des Evaluationsteams. Diesen Vorgaben wurde auch im von Ihnen nachgefragten Vergabeverfahren Rechnung getragen. Wir sind indessen nicht befugt, weitergehende Informationen zu aktuellen oder ehemaligen Mitarbeitenden der Post bekannt zu geben."
Auch Pure gibt keine Auskunft, ob der genannte,  auf seinem LinkedIn-Profil fachlich qualifiziert wirkende Mitarbeiter in die Offertstellung involviert war.
Ein Gesprächspartner von inside-it.ch erklärt, die Postmitarbeiterin habe die Post soeben verlassen, ebenso wie Markus Müggler, der zum Beschaffungszeitpunkt und bis Ende 2019 Leiter Infrastructure Operations bei der Post war.
Freiwillig oder unfreiwillig? "Uns ist es als Arbeitgeberin nicht erlaubt, detaillierte Informationen zu aktuellen oder ehemaligen Mitarbeitenden der Post bekannt zu geben. Nur so viel: Die beiden Abgänge haben keinen Zusammenhang mit der von Ihnen nachgefragten Ausschreibung," antwortet der Sprecher der Post.
Müggler jedenfalls wechselte nach rund 21 Jahren bei der Post soeben zur Migros Genossenschaft Aare. Er hat neu die Funktion des Leiter IT Operations inne, was man als Aufstieg interpretieren kann.
Ob einer der sechs in der Beschaffung Unterlegenen Einspruch erheben wird, ist aktuell noch offen. Erfahrungsgemäss ist dies eher unwahrscheinlich, zu gross ist oft die Furcht, auf einer Art geheimen "schwarzen Liste" der öffentlichen Hand zu landen.
Was sind die nächsten Schritte der Post bezüglich dieses Zuschlags? "Wie üblich in einer WTO-Ausschreibung läuft nach der Veröffentlichung des Zuschlages eine Beschwerdefrist. Diese muss abgewartet werden, bevor weitere Schritte vorgenommen und beispielsweise Verträge unterzeichnet werden dürfen.
Die Post erläutert wie üblich nach erfolgtem Zuschlag allen nicht berücksichtigten Anbietern, sofern sie dies wünschen, im Rahmen von Debriefings die wesentlichen Vor- und Nachteile ihres Angebotes im Vergleich mit dem berücksichtigten Angebot. Dabei ist sie jedoch grundsätzlich der Geheimhaltung verpflichtet."
Es wird sich zeigen, ob sich Netcloud und Pure nach Vertragsunterzeichnung erklären werden.

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