Als Beauftragter von Bund und Kantonen für die Digitale Verwaltung Schweiz ist Peppino Giarritta seit März 2021 für die Koordination der digitalen Transformation zwischen den verschiedenen föderalen Ebenen des Staates zuständig. Bis 2020 arbeitete er in unterschiedlichen Funktionen im Kanton Zürich, zuletzt als Leiter der Hauptabteilung Digitale Verwaltung und E-Government.
Zuvor war er in der Privatwirtschaft tätig und an der Universität Zürich sowie am Cern in Genf angestellt. Giarritta ist ein promovierter Physiker und verfügt über einen Abschluss als Wirtschaftsingenieur.
Weshalb schreitet die Digitalisierung der Verwaltung in der Schweiz nur langsam voran?
Es gibt verschiedene Gründe. Im Unterschied zum privatwirtschaftlichen Handeln sind die gesetzlichen Grundlagen, denen die Verwaltungen unterstehen, massgeblich. Wir bewegen uns zwar in einem innovativen Umfeld, aber es tauchen bei der Digitalisierung immer neue Fragen auf, die sich teilweise nicht sehr schnell beantworten lassen. Das Bedürfnis an Sicherheit ist gross und es gibt viele verschiedene Stakeholder, die berücksichtigt werden müssen. Zudem ist die Digitalisierung in der Schweiz relativ spät in den obersten Führungsebenen angekommen. Da waren andere Länder und die Privatwirtschaft deutlich schneller.
Was muss passieren, damit sich das ändert?
Die Digitalisierung muss auf allen Ebenen Thema sein – insbesondere in den Führungsetagen. Es braucht einen Willen zur digitalen Transformation. Es braucht eine ausreichende Allokation von Ressourcen und strategische Prioritäten. Ergänzend dazu muss aber auch die nötige Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren vorhanden sein.
Für die Digitale Verwaltung Schweiz (DVS) ist eine gute Koordination über die verschiedenen staatlichen Bereiche, vor allem über die föderalen Ebenen, ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Ein weiterer sind Basisdienste und Basisinfrastrukturen.
Wie können Sie in Ihrer Rolle als Beauftragter von Bund und Kantonen für die Digitale Verwaltung Schweiz dazu beitragen?
In meiner Rolle bin ich zuständig für die DVS als Koordinationsplattform und für deren Gremien. Die DVS ist entstanden, weil der Bundesrat und die Kantonsregierungen die Notwendigkeit für die verstärkte Koordination zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden und Städten erkannt haben. Konkret geht es darum, den Wissensaustausch und die Koordination sowie die digitale Transformation der Verwaltungen aller föderalen Ebenen in der Schweiz zu fördern. Dazu werden auch gemeinsame Projekte angestossen.
Ist der Föderalismus ein Hindernis für die Digitalisierung?
Der Föderalismus ist gegeben und wir müssen über die Koordination das Beste daraus machen. Er bietet auch zahlreiche Chancen. Wir haben bereits einige Projekte gesehen, bei denen Innovationen in kleineren Strukturen entstanden sind und dann in grössere übertragen wurden. Insgesamt bietet der Föderalismus mehr Chancen als Hindernisse.
Was sind die grossen Herausforderungen für die Kantone?
Einerseits bestehen Abhängigkeiten gegenüber nationalen Projekten, die man als Kanton nicht alleine lösen kann. Andererseits stehen intern generelle Herausforderungen an. Darüber hinaus stellen sich organisatorische Fragen zur digitalen Transformation: Der Kulturwandel muss gefördert werden und auf der Ebene der Kantone muss für Akzeptanz gesorgt werden. Da sind die kantonalen Verwaltungen gefordert. Viele sind aber schon gut unterwegs und machen auf ihrer Ebene vorwärts.
Bei welchen Kantonen läuft es gut, bei welchen weniger?
Manche Kantone haben mehr Ressourcenstärke als andere. Sie können etwas entwickeln und eine gewisse Vorreiterrolle einnehmen. Das ist aber nicht nur in der Digitalisierung so, sondern auch in anderen Bereichen. Andere Kantone orientieren sich dann an diesen Möglichkeiten und versuchen Synergien zu nutzen.
Aber es gibt doch Unterschiede!
Ich würde nicht sagen, dass es grosse Unterschiede gibt. Das Feld ist eher wie bei einem Radrennen sehr nahe beieinander und auch kleinere Kantone können rasch innovative Projekte vorantreiben. Gesamthaft gesehen haben wir weder Kantone, die sehr weit voraus sind, noch solche, die abgeschlagen sind. Es ist alles recht nahe beieinander.
Seit dem 1. Januar 2022 koordinieren Sie bei der Digitalen Verwaltung Schweiz die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen. Welches Fazit ziehen Sie nach den ersten 1,5 Jahren?
Die Partnerschaft ist erfolgreich angelaufen. Das gemeinsame Bekenntnis zur behördenübergreifenden Zusammenarbeit spürt man auch in den Gremien. Diese Zusammenarbeit ist matchentscheidend. Zudem wurden auch bereits zukunftsweisende Entscheide gefällt. Darunter die Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Kantonen für Projekte der Agenda DVS. Dazu haben wir eine gemeinsame Strategie erarbeitet, die Ende Jahr vorgelegt und vom Bundesrat und den Kantonen verabschiedet werden soll. Da sind wir rasch vorwärtsgekommen. Des Weiteren sind wir erste Schlüsselprojekte angegangen.
Wo legen Sie die Schwerpunkte bei Ihrer Arbeit?
Einerseits sicher bei der angesprochenen Strategie. Dazu kommen aber auch die Basisdienste, die für alle wichtig sind. Wir wollen die Standardisierung fördern. Dieser Bereich muss noch ausgebaut werden, sodass ein grösserer gemeinsamer Nutzen erzielt werden kann. Zudem arbeiten wir auch an der derzeitigen Portal-Landschaft. In Zukunft sollen die einzelnen Portale stärker miteinander verknüpft werden. So soll ein nahtloses Verwaltungserlebnis und eine durchgängige Behördenabwicklung erreicht werden.
Wie viele Ressourcen haben Sie?
Um ihre koordinativen Aufgaben zu erfüllen, arbeiten zurzeit 12 Personen (rund 10 Vollzeitstellen) in der Geschäftsstelle DVS. Es wird aber weitere Mitarbeitende brauchen, um den Auftrag wahrzunehmen. Ergänzend kommen die zahlreichen Beschäftigten in den beteiligten Gemeinden, Städten, Kantonen und beim Bund hinzu. In der DVS engagieren sich unter anderem rund 80 Delegierte aller föderalen Ebenen sowie mehr als 200 Fachpersonen in den verschiedenen Arbeitsgruppen.
Welche Basisdienste sind für die Digitalisierung der Verwaltung besonders wichtig?
Im Moment sicher die staatliche E-ID. Und das aus verschiedenen Gründen. Die E-ID ist ein Schlüsselprojekt. Es wurden gewisse Erwartungen an den Staat gestellt und diese gilt es nun umzusetzen. Natürlich gibt es weitere wichtige Projekte. Aber zuerst muss die E-ID gelingen.
Weshalb ist die E-ID so wichtig?
Weil sie den Zugang zu staatlichen Leistungen vereinfacht und sicherer macht. Wir haben viele Dienste, die nicht umgesetzt werden, weil es keinen sicheren Zugang gibt. Und der Aufwand für einen solchen identifizierten Zugang ist derzeit noch sehr hoch. Gerade, wenn Vorgänge nur selten stattfinden. Sollte die staatliche E-ID scheitern, müssten zum Beispiel die Kantone eigene Lösungen finden.
Was bringt es, dass das Vorhaben vom Bund als DTI-Schlüsselprojekt eingestuft wurde?
Das Grossprojekt wird seiner Bedeutung gerecht. Es ist ein wichtiges Signal an das Parlament.
Wie beurteilen Sie die Erfolgschancen für die E-ID-Vorlage im Parlament?
Ich bin aus verschiedenen Gründen positiv gestimmt. Wir haben sehr viel in den Austausch und den Dialog investiert. Das hat meiner Meinung nach sehr gut funktioniert. Wir haben erklärt, was wir vorhaben und wie das System funktioniert.
Sie haben schon Pilotprojekte gestartet.
Ja, das ist eine wichtige Basis. Wir haben mit der Pilotierung angefangen, um Erfahrungen zu sammeln und die Risiken der Technologie zu reduzieren.
Wird die E-ID der Schweiz einen "Digitalisierungsschub" bescheren?
Ja, das glaube und hoffe ich. Derzeit ist der erwähnte hohe Aufwand oft ein Grund, weshalb gewisse Projekte nicht umgesetzt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Thema Sicherheit. Hierfür ist ein gewisses Vertrauen der Bevölkerung nötig. Ist dieses gewährleistet, wird es auch bei den Nutzenden nochmal einen Schub geben. Das wiederum hat auch eine Signalwirkung auf die Verwaltung.
Wie kann man einer möglichen Überidentifikation entgegenwirken?
Diese Befürchtung ist bekannt und wird ernst genommen. Das Vertrauen ist ein wesentlicher Faktor. Bei der E-ID wurden auch zusätzliche Abklärungen getroffen, damit der Gefahr einer Überidentifikation entgegengewirkt werden kann. Ob das Risiko begründbar ist, wird die parlamentarische Diskussion zeigen.
Welche Rolle spielt der Datenschutz beim Thema E-Government?
Vertrauen ist sehr wichtig. Der Datenschutz ist ein wichtiges Element des Vertrauens. Der Schutz von persönlichen Daten, aber auch die Möglichkeit zu selbstbestimmtem Handeln sind in der Schweiz wichtiger Kulturwert. Dem Datenschutz wird daher bei jedem Projekt eine grosse Bedeutung zugemessen. Er ist wichtig und darf nicht riskiert werden.
In der Realität sieht es aber manchmal anders aus. Ich denke da beispielsweise an den Skandal mit Meineimpfung.ch oder den Hack auf den Homeland-Security-Anbieter Xplain. Was muss unternommen werden, damit solche Vorfälle verhindert werden können?
Ich kann hier nur aus der Sicht der DVS sprechen. Für mich ist es wichtig, dass die gemachten Erkenntnisse aus diesen Fällen wieder zurückfliessen, sodass die Verwaltungen daraus lernen. Aber dafür müssen wir gerade beim Angriff auf Xplain zuerst die Untersuchungen abwarten.
Generell braucht es einen Aufbau und eine Pflege von Kompetenzen. Staatliches Handeln im digitalen Bereich bedeutet auch, dass der Staat über eine gewisse Grundkompetenz verfügt und sich um diese sorgt und nicht komplett abhängig von externem Know-how ist.
Muss der Staat wieder mehr Projekte in die eigene Hand nehmen?
Ich glaube, die Verwaltungen tun gut daran, wenn sie ihre Projektleitungen selbst übernehmen. So haben sie die erforderliche Kontrolle über die eigenen Lösungen und die dazugehörigen Ressourcen. Das ist auch ein Teil des Vertrauens. Der Staat muss die Verantwortung für seine Dienste übernehmen können. Alles selbst entwickeln, muss er deswegen nicht.
Sie haben die Multi-Plattform angesprochen. Braucht die Schweiz ein zentrales Portal für alle Dienstleistungen der Behörden?
Das mag vielleicht in gewissen Bereichen funktionieren. Easygov hilft bereits als zentrales Zugangsportal für Unternehmen – diese sind ja oft überkantonal organisiert und kennen die lokalen Gegebenheiten nicht immer. Dank Easygov können Firmen alles an einem Ort erledigen. Einen ähnlichen Ansatz für die Bevölkerung sehe ich im Moment aber nicht. Wichtig scheint mir, dass die staatlichen Dienstleistungen für die Anwenderinnen und Anwender nahtloser und durchgängiger werden.
Derzeit wird viel über den Einsatz von Microsoft 365 in der Verwaltung diskutiert. Wie stehen Sie zum Einsatz der Software?
Hierzu gibt es verschiedene Haltungen. Ich glaube, man kann sich der Technik nicht grundsätzlich verschliessen. Microsoft 365 ist marktdominierend. Ich glaube, wir brauchen auch Alternativen und Perspektiven zu dieser Lösung. Es gibt sensible Daten, die in Umgebungen gehalten werden, bei denen der Einfluss von externen Faktoren möglichst reduziert werden muss.
Braucht die Schweiz also eine eigene Cloud-Infrastruktur?
Die Diskussionen dazu sind bereits im Gange. Ich denke da an eine Swiss Government Cloud. Damit könnten Verwaltungsdaten in Umgebungen gehalten werden, die höchsten Sicherheitsansprüchen gerecht werden. Die Zeit wäre reif dafür, dass ein grundsätzlicher Entscheid dazu gefällt wird.
In dieser Cloud sollen dann nur Daten von Behörden gespeichert werden, die nicht in der Public-Cloud gespeichert werden dürfen?
Ja. In der Verwaltung gibt es ein Bedürfnis, Daten mit hohen Sicherheitsanforderungen in einer effizienten Umgebung zu nutzen. Das sind typischerweise Daten, die weder in einer Public- noch in einer Private-Public-Cloud gespeichert werden dürfen. Aber ich sehe durchaus auch Daten, die in einer Public Cloud gespeichert werden können.
Welche Daten sind das?
Das sind etwa Wetterdaten von Meteoschweiz oder Geodaten von Swisstopo. Es gibt aber auch andere Beispiele aus dem Bereich der Statistik. Aber auch diese Daten müssen immer differenziert werden. Es gibt Geodaten mit sensiblen Informationen, die nicht korrumpiert werden dürfen. Auch dort gibt es einen gewissen Schutzbedarf.
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