Die Nutzung von breit zugänglichen KI-Tools im Studium ist Realität. In einer im März 2024 durchgeführten Umfrage unter Studierenden der Universität Zürich (UZH) haben 97% der 926 Befragten angegeben, dass sie Erfahrungen mit KI-Tools haben; so nutzten in den sechs Monaten vor der Umfrage beispielsweise 90% ChatGPT, 77% das Übersetzungstool Deepl und 37% den Schreibassistenten Grammarly. Deutlich mehr als die Hälfte nutzt solche Tools mindestens einmal pro Woche; nicht wenige mehrfach pro Tag. Meistens werden die Tools für das Schreiben oder die Verbesserung von Texten oder Programmiercodes verwendet – aber mehr als 60% sehen darin auch hilfreiche Instrumente zum Brainstormen, Lernen oder Forschen.
Es ist also keine Frage: Künstliche Intelligenz ist in den Universitäten angekommen. Die Umfrage unter den Studierenden zeigte allerdings auch, dass lediglich 14% ihr Wissen und ihre Kompetenzen zu KI-Tools durch Dozierende vermittelt erhalten haben. Die weitaus wichtigere Quelle waren Online-Lernressourcen (89%) oder Kommilitoninnen und Kommilitonen (48%). Lehrende werden aktuell von den Studierenden offenbar nicht als primäre Ansprechpersonen für die Erlangung von KI-Kompetenzen angesehen. Das sollte den Universitäten zu denken geben.
Wunsch nach einem "KI-Buddy"
Es wird aber nicht nur darum gehen, Studierende und Dozierenden der Universitäten "KI-fit" zu machen. Für die Hochschulen wird vielmehr die Frage zentral werden, welche KI-Dienstleistungen und Tools sie selbst anbieten wollen, um nicht völlig von Anbietern des Marktes abhängig zu sein. Ein wichtiges künftiges Instrument könnte ein "KI-Buddy" werden. Gemeint ist damit ein KI-System, das Studierende während ihrer ganzen Studienzeit begleiten und dabei verschiedene Funktionen bieten soll, die den Studienerfolg unterstützen sollen. In der genannten Umfrage wurde der "Buddy" als digitaler Begleiter mit folgenden Funktionen beschrieben:
- Wissen vermitteln: Unterstützung der Studierenden beim Zugang zu Bildungsressourcen aus dem Universitätsangebot, einschliesslich Kursen, Videos, Literatur und mehr.
- Beim Studienplan beraten: massgeschneiderte Beratung bei der Studienplanung auf der Grundlage der individuellen akademischen Ziele und Präferenzen.
- Vernetzen: Vermitteln von Kontakten zu Gleichaltrigen mit ähnlichen akademischen Interessen für gemeinsames Lernen und Studiengruppen.
Rund 65% der Befragten haben angegeben, dass sie wahrscheinlich einen solchen "KI-Buddy" nutzen würden, wenn er von der Uni angeboten würde. Es besteht auch eine hohe Bereitschaft, Daten aus dem akademischen Bereich (z.B. Studienunterlagen, Stundenpläne, Lernpräferenzen, Noten) mit ihm zu teilen. Gewünscht wird schliesslich eine Nutzung primär als persönliches Tool, nicht als Instrument der Universitätsverwaltung für Verwaltungs- oder Benotungszwecke. All dies zeigt eine grosse Bereitschaft unserer Studierenden, KI nutzen zu wollen. Was bedeutet das nun für die Universitäten?
Nicht bei den aktuellen Herausforderungen stehen bleiben
Viel ist bereits geschrieben worden zur Nutzung von KI an den Hochschulen. Das meiste davon orientiert sich allerdings an den unmittelbaren Herausforderungen, wie zum Beispiel der Vermeidung von Prüfungsbetrug. Fachleute haben sich deshalb im Rahmen des "Strategy Labs" der Digital Society Initiative (DSI) Gedanken zu längerfristigen Auswirkungen von KI an den Hochschulen gemacht. So denken wir, dass sich die Hochschulen auf folgende Entwicklungen einstellen sollten:
- Die Nutzung von KI-Tools dürfte neue Formen von Lehrveranstaltungen zur Folge haben. Anstelle von grossen Vorlesungen (dort vermittelte Inhalte dürfen in den Onlinebereich abwandern) gewinnen Kleinveranstaltungen mit projektbezogenem Lernen an Bedeutung.
- KI gewinnt im Selbststudium zunehmend an Bedeutung, sodass die Vermittlung von Lerninhalten vermehrt durch ein Wechselspiel von KI-gesteuertem Lernen zu Hause und Präsenzunterricht passieren wird. Durch die zunehmende Bedeutung des Selbststudiums arbeiten Studierenden auch in Gruppen an gewissen Fragestellungen und beurteilen sich gegenseitig.
- Interdisziplinäres Lernen wird generell an Bedeutung gewinnen, was in der Folge dazu führen kann, dass auch Lehrende vermehrt interdisziplinär zusammenarbeiten werden.
- KI ermöglicht eine projekt- und experimentorientierte Lehre in Fächern, wo dies mangels experimenteller Umgebungen bislang nicht möglich war.
- Ein "KI-Buddy" organisiert künftig vielleicht nicht nur Kurse, sondern vermittelt Lerninhalte. Dies kann zu einem Aufbrechen von Kurs- und allenfalls Fakultätsgrenzen und im Extremfall auch zur Auflösung klassischer Lehrgänge führen.
Diese Entwicklungen sollten von den Hochschulen nicht einfach unkritisch umgesetzt werden. Denkt man etwa an den Schreibprozess – für viele Studiengänge weiterhin eine zentrale Kompetenz – so könnten Studierende im Wettbewerb mit der KI an Selbstvertrauen verlieren. Die Fähigkeit Texte zu verfassen, kann verloren gehen, was auch Auswirkungen auf den Lernprozess hätte. Die Nutzung von KI-Tools kann zudem die "digitale Spaltung" verstärken: Indem starke Studierende viel mehr profitieren, da diese die Antworten einer KI kritisch hinterfragen, könnten schwache Studierende eher abgehängt werden.
Deshalb müssten sich die Hochschulen auch die Frage stellen, welche Fähigkeiten Studierende unbedingt behalten müssen, um eine kritische Nutzung von KI-Tools zu ermöglichen. Im Rahmen unseres "Strategy Labs" wurden unter anderem folgende Fähigkeiten benannt:
- Sozialisationsfähigkeiten: Um der Tendenz entgegenzuwirken, dass KI-Technologienutzung zu einer Isolation der Studierenden führen kann, müssen Fähigkeiten wie soziales Lernen, Einfühlungsvermögen, Resilienz und effektives Teamwork gefördert werden.
- Kritisches Denken: Um sicherzustellen, dass KI-Tools nicht unhinterfragt verwendet werden, ist der kritische Diskurs, das Denken in Modellen und Abstraktionen sowie die Fähigkeit zum Einnehmen verschiedener Perspektiven bei einer Analyse zu fördern.
- Handeln unter Unsicherheit: Um mit der Geschwindigkeit des technischen Fortschritts (und auch den bekannten globalen Herausforderungen wie z.B. dem Klimawandel) umgehen zu können, sind Fähigkeiten zu fördern, welche das Handeln unter Unsicherheit erleichtern.
Basierend auf solchen Überlegungen hat das "DSI Strategy Lab" konkrete Empfehlungen formuliert, wie eine positive Nutzung von KI in Bildung, Forschung und Innovation erreicht werden kann. Gerne laden wir Sie ein, diese
auf unserer Website herunterzuladen und anzuschauen.Über den Autor
Prof. Abraham Bernstein ist Direktor der Digital Society Initiative und Leiter der Dynamic and Distributed Information Systems Group der Universität Zürich. Er schreibt diesen Kommentar stellvertretend für alle Autorinnen und Autoren des neuen DSI Positionspapiers "KI in Bildung, Forschung und Innovation".