Fachkräftemangel spitzt sich "drastisch" zu

29. November 2022 um 11:40
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Auch in Zukunft werden IT-Fachleute zu den meistgesuchten Fachkräften gehören. Foto: Dylan Gillis / Unsplash

Stellen für IT-Fachleute lassen sich laut Adecco derzeit nur sehr schwer besetzen. Gerade Software-Entwickler und -Ent­wickler­innen werden händeringend gesucht.

Der seit Jahren anhaltende Fachkräftemangel in den Bereichen Informatik, Softwareentwicklung und Systemanalyse habe sich dieses Jahr erneut deutlich zugespitzt und einen Höchstwert erreicht, bilanziert Adecco den aktuellen Swiss Job Market Index.
Die Corona-Pandemie hat den Schweizer Arbeitsmarkt in den vergangenen zwei Jahren aufgewirbelt. Der Ausbruch und die Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie haben weite Teile der Wirtschaft 2020 und 2021 stark ausgebremst. In dieser Zeit seien die Arbeitslosenzahlen in die Höhe geschossen und gleichzeitig von den Unternehmen merklich weniger Stellen ausgeschrieben worden, schreibt Adecco. Dies habe dazu geführt, dass der Fachkräftebedarf 2021 einen Tiefstand erreichte.
Mit der Aufhebung der Massnahmen sei die Anzahl der Stellenausschreibungen rasant auf neue Rekordhöhen gestiegen, wie es weiter heisst. Für dieses Jahr weist Adecco einen Fachkräftemangel-Index von 155 Punkten aus. Ein Wert, der bislang noch nie registriert worden sei und auch das Vorkrisenjahr 2019 deutlich übersteige.
Der "Schweizer Fachkräftemangel Index" basiert auf Zahlen des Adecco "Job Market Index" sowie Zahlen der Arbeitsvermittlung und Arbeitsmarktstatistik. Der Wert von 2022 beinhaltet die Daten des 4. Quartals 2021 sowie die ersten 3 Quartale aus 2022. Als Basisjahr dient 2015 mit einem Indexwert von 100 Punkten.

Programmier-Kenntnisse stark nachgefragt

Am stärksten ist der Fachkräftemangel laut dem Index in den Gesundheitsberufen. Dahinter folgen Entwicklerinnen und Analytiker von Software und IT-Anwendungen. "Vor allem Softwareentwicklerinnen und -entwickler mit Erfahrung in objektorientierten Programmiersprachen wie Java oder C# und Front-End-Developer mit Kenntnissen von Angular oder React Frameworks werden zurzeit händeringend gesucht", so James Peck, Vice President von LHH Recruitment Solutions Schweiz.
Man könne davon ausgehen, dass auch in Zukunft IT-Fachleute zu den meistgesuchten Fachkräften gehören, heisst es im Index weiter. Gemäss Zahlen von ICT-Berufsbildung haben im Jahr 2021 rund 246'400 Personen eine ICT-Tätigkeit ausgeübt. Bis zum Jahr 2030 benötigt die Schweizer Wirtschaft 119'600 weitere Fachleute in diesem Bereich.
Etwas erstaunlich sei allerdings, dass die Berufsgruppe der Informations- und Kommunikationstechniker dieses Jahr 11 Rangplätze verloren hat. Dies, nachdem der Fachkräftebedarf in diesen Bereich 2021 schlagartig angestiegen war. Zu dieser Gruppe gehören etwa Telematikerinnen oder E-Commerce-Spezialisten, die offenbar von einem coronabedingt gestiegenen Bedarf profitiert haben. Nun scheint sich dies wieder zu normalisieren, schreibt Adecco.

Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Fast 120'000 IT-Fachleute werden in der Schweiz bis 2030 benötigt. Der allgemeine Mangel kann gemäss ICT-Berufsbildung teilweise gedeckt werden: Das Bildungssystem bringt bis 2030 weitere 37'800 ICT-Fachkräfte ein, die Zuwanderung aus dem Ausland noch zusätzliche 43'600.
So bleibt also eine Lücke von 38'700 ICT-Fachkräften, wie das Institut für Wirtschaftsstudien Basel berechnet hat. Mit Konsequenzen: Aus einer solchen Lücke würde hochgerechnet ein Wertschöpfungsverlust von 30 Milliarden Franken hervorgehen, erklärte Andreas Kaelin, Präsident von ICT-Berufsbildung Schweiz.
Der Verband fordert deshalb, noch mehr ICT-Fachleute auszubilden. Die Berufsbildung habe noch Potenzial. Allerdings verläuft die Schaffung neuer Ausbildungsplätze nur langsam, was Sorge bereitet.
Ebenfalls Abhilfe verschaffen könnten Personen, die "quer" in den ICT-Beruf einsteigen. Dies gestaltet sich allerdings nicht ganz einfach. Mitarbeitende ohne spezifische Aus- und Weiterbildung hätten einen schweren Stand, sagte uns die Gewerkschaft Syndicom vor einem guten Jahr. Aber die Bildungslandschaft in der Schweiz ist relativ durchgängig und ermögliche zielgerichtete Weiterbildungen. "Sei dies über Bootcamps, Nachdiplomstudiengänge oder auch produktspezifische Weiterbildungen und Zertifizierungen von grossen IT-Firmen", so SwissICT.
SwissICT-Geschäftsführer Christian Hunziker fügte an, dass es dringend weitere Umschulungsmodelle benötige. Ausserdem müsse die Branche auch für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund attraktiver gestaltet werden. Der Frauenanteil in der IT verharrt in der Schweiz bekanntlich auf einem sehr tiefen Niveau.

Ungenutztes Potenzial

Der Unternehmensberater Bain & Company hat sich in einer aktuellen Studie mit dem Frauenanteil in Unternehmen beschäftigt. Noch immer seien althergebrachte Stereotype für die Berufswahl von Mädchen entscheidend, so ein Fazit. In der Schweiz lag der Anteil weiblicher Studienabgänger im MINT-Bereich laut Zahlen des UNESCO-Institut für Statistik im Jahr 2017 bei lediglich 22%. Der Frauenanteil im Arbeitsmarkt sei unterproportional, weshalb "ein grosses Potenzial an Fachkräften ungenutzt bleibt", sagt Gilbert Grima, Bain-Partner im Zürcher Büro.
Ein weiterer Aspekt, den Unternehmen berücksichtigen sollten, sei das Bedürfnis nach Flexibilität, schreibt Bain. Zu Beginn der beruflichen Karriere sei dieses Bedürfnis bei Männern und Frauen etwa gleich ausgeprägt. Doch das ändert sich mit wachsendem Alter. Die Gründe liegen auf der Hand: Nach wie vor kümmern sich vorwiegend Frauen um Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen.
Der Unternehmensberater verweist zudem auf systemische Nachteile, gegen die Führungskräfte aktiv vorgehen sollten. "Noch immer beruhen viele Verhaltensweisen und Strukturen in Unternehmen auf unbewussten oder bewussten Vorurteilen gegenüber Frauen. Sie werden bei Beförderungen beispielsweise häufig übersehen und müssen den Grossteil der wenig karrieredienlichen Administration erledigen."

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